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»Da
hätte ich meine Koffer packen sollen.«
Von Georg Patzer Nein, natürlich ist sie nicht missgünstig. Oder raffgierig. Aber schließlich will sich doch leben. Und ihr kleiner Laden gibt einfach nicht so viel her. Früher, ja, mit Lawrence, da lief es: „Es gab alles. Möbel. Steingut. Ankauf überhaupt kein Problem. Und wenn man ein gutes Auge hatte – wie ich –, dann konnte man sich die Rosinen rauspicken.“ Alles lange her. Aber dann wird die alte Miss Ventriss krank. Natürlich besucht sie sie: „Ganz dünn, die kleine Hand. Wie vertrocknetes Laub. Tragisch. Wundervoller runder Nachttisch mit umlaufender Zierleiste.“ Und im Haus sieht sie, was das für eine Schatzkammer ist: überall antike Möbel, Broschen, Uhren, alte Handarbeitsstickereien... Sie beschließt, Miss Ventriss ein wenig zu betreuen. Aber dann kommen auch die anderen Händler, „fangen die Haie schon an zu kreisen“. Sie nicht, nein, sie ist ja aus Freundschaft gekommen. Aber als Miss Ventriss dann stirbt, erbt alles eine Nichte aus Kanada, die ihr nur eine Kiste mit Kleinkram schenkt, weil sie so freundlich gewesen ist. Dabei auch eine Zeichnung eines Fingers in einem schönen Rahmen. Und als dann ein Mann sich für den Rahmen interessiert, verkauft sie die Zeichnung gleich mit. Und dann stellt sich heraus, dass der Mann Angestellter eines Auktionshauses war, und die Zeichnung von Michelangelo, eine Studie zur Hand Gottes in der Sixtinischen Kapelle. Viele kleine Gauner und große Verbrecher bevölkern die neuen Monodramen von Alan Bennett: die betrogene Betrügerin aus dem Kramladen, die Frau des Serienmörders, der sich immer penibel die Gummistiefel abwäscht, ehe er ins Haus kommt, der Pädophile, der hinterher meint, dass die Kleine das doch sicher gewollt habe. Die Frau, die ihrer Nachbarin beisteht, als die ihren Mann erschossen hat, weil er sie zu sadistischen Spielen gezwungen hat, und später erfährt, dass ihr eigener Mann auch beteiligt war. Und die sich dann doch nicht traut: „Da hätte ich meine Koffer packen sollen“, sagt sie am Schluss. „Stattdessen bin ich raus und habe mich eine Weile ins Gewächshaus gesetzt. Typisch.“
Es
sind eher ungewöhnliche Situationen und oft nicht die Alltagsbürger aus dem
Vorgängerbuch „Ein Kräcker unterm Kanapee“, aber stilistisch genauso aufgebaut:
Ein Mensch, der von der Bühne herunter oder in die Kamera hinein spricht und
erzählt. Was damals so schön war, die leise, menschenfreundliche Entlarvung der
Alltagsverstrickungen, funktioniert jetzt nicht. Vor allem, weil Bennett seine
Personen manchmal vorführt, sie dem Gespött des Lesers preisgibt. Oder weil man
schon nach zwei Seiten weiß, worauf die Geschichte hinausläuft. Das ist schade,
denn in seinen Beobachtungen des Alltags, vor allem der kleinen Abweichungen und
winzigen Fluchten, die sich manche leisten, der stillen Leiden, an die sich
viele gewöhnt haben, darin ist Alan Bennett immer noch ein Meister. Gerade wenn
er keine auffälligen Stories erzählen will, sondern das Leben der kleinen
Menschen. |
Alan Bennett |
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