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Worte
der Liebe
Von
Georg Patzer |
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»Wenn er schrieb, hatte er nie Angst, aber nur dann«, schreibt er in sein Notizbuch. Aber das ist ja gar nicht wahr, wie er später selbst erkannte: »Durchgestrichen, als verlogen.« Denn es ist nicht so einfach, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Sich selbst zu erkennen, sich seine Fehler einzugestehen. Die Alkoholsucht, das Alter an der Schwelle zum Tod, der erste Sex in einer streng religiösen Welt, in der »so etwas« natürlich verboten ist, vor allem, wenn er 15 ist und sie 51. Eine unerbittliche, komplizierte, sich selbst immer wieder unterbrechende Selbsterforschung unternimmt der schwedische Schriftsteller Per Olov Enquist in seinem neuen Roman »Das Buch der Gleichnisse.« Sie beginnt, als er im Februar 2011 einen Notizblock mit Liebesgedichten seines früh verstorbenen Vaters zugeschickt bekommt, von dem er glaubte, dass er von der Mutter verbrannt wurde. Neun Seiten fehlen. Für Enquist, der sich nur schwach hinter seinem Erzähler versteckt, beginnt damit eine Reise in die Vergangenheit, in die Kindheit in Västerbotten, zur Kusine aus Istermyrlinden, zum Postfräulein von Brattby, vor allem aber zu Ellen, die ihm zum ersten Mal schlief, auf dem »astfreien Kiefernholzboden des Larssonhofs«. Neun Jahre später sieht er sie wieder, zum letzten und einzigen Mal, sie schickt ihn weg, will ihn nie wieder sehen, und als er fährt, weint sie. Nach ihrem Tod bekommt er eine Einladung zur Beerdigung und erinnert sich an ihre Worte: »Schreib einen Brief, wenn ich tot bin.« Er denkt über seine Mutter nach und die vielen Verwandten, die in der Pfingstbewegung mit ihren »brennend Gläubigen« verhaftet bleiben, von denen viele verschwinden und sich viele umbringen, wie Siklund, der sich in der psychiatrischen Anstalt eine Plastiktüte über den Kopf zieht. Was ist die Liebe? Darum kreist, wie viele Romane Enquists, auch dieses Buch. Ein Buch voller Zweifel, auch an sich: »Nie wird er über die Liebe schreiben können. Er taugt nicht. Die Zeichen unbegreiflich.« Nur in Gleichnissen kann er sich ihr, vielleicht, nähern. Oder vielleicht nicht einmal so. Denn immer wieder unterbricht sich der Erzähler, fällt sich ins Wort, korrigiert sich, fragt, setzt neu an, mit neuen Erkenntnissen, mit neuen Fragen. Die symbolträchtigen neun fehlenden Seiten: Hat die Mutter sie herausgerissen, weil sie zu »sündig« waren, zu sinnlich? Hat sie sie verbrannt? Hat sie sie aufbewahrt? Oder hat der Vater sie vorher schon herausgerissen? Waren sie vielleicht leer? Was ist Wahrheit, was Erfindung?
Es gibt keine
Gewissheiten, nicht über das Leben, erst recht nicht über die Liebe. Aber auch,
wenn man sie nicht erklären kann: »Wer wären wir, wenn wir es nicht versuchten«.
Als er mit 15 verführt wurde, hatte er noch keine Wörter dafür und sucht in der
Bibel nach ihnen: »Es war am ehesten Seligkeit, er suchte einige Augenblicke
nach den Wörtern, aber es waren hauptsächlich die Worte der Psalmisten, die sich
einstellten, und da er gerade jetzt den Psalmisten nicht hier hineinziehen
wollte, hörte er auf, an die Wörter zu denken, und streichelte sie nur.« Erst
viele Jahre später, in diesem Roman, fand er sie. |
Per Olov
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