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Gutmenschen, die
»Jüdische
Allgemeine«
lesen Von Georg Patzer
Das ist doch mal eine
schöne Frage: »Wie ist es, als Jude in Kanada zu leben?« Aber das Gegenüber,
eine kanadischer Jude, versteht die Frage einfach nicht. Erst denkt er, er hätte
sich verhört. Als sie sie noch einmal wiederholt, versteht er sie inhaltlich
nicht: Wie soll es schon sein? Kalt wahrscheinlich, aber das ist es ja für alle,
Frankokanadier, Indianer, Juden und Katholiken. Das merkt auch Lena Gorelik, eine junge Schriftstellerin, 1981 in Leningrad geboren und als »Kontingentflüchtling« mit ihrer russisch-deutschen Familie nach Deutschland gekommen. Nach zwei Romanen hat sie jetzt eine Sammlung von Briefen oder Aufsätzen oder Feuilletons – man weiß nicht so recht, was es ist – veröffentlicht, in denen sie ihrem Sohn Mischa gestehen muss: »Es tut mir so leid, dass ich Dir das nicht ersparen konnte: Du bist ein Jude«. Wie sie ihm auch viele andere Sachen nicht ersparen kann: ein gebrochenes Bein, ein gebrochenes Herz. Oder die Reise, die er nach Asien unternehmen wird, und dann wird er »zurück nach Deutschland kommen, um Mathematik zu studieren, was, wenn wir mal ehrlich sind, Du schon hättest machen sollen, als Mama Dir dazu riet.« Aber erst muss sie ihm natürlich erklären, wie das ist: ein Jude zu sein. Dass die zehn Vorurteile stimmen, denn »alles, worüber Juden Witze machen, trifft zu«: Dass Juden Hakennasen haben und Glatzen, dass sie viel Geld haben (leider sind die Goreliks nicht mit Rothschilds verwandt), Wucherer sind, schlau und gerissen, Lobbyisten, inzestgefährdet (Woody Allen) und an einer Weltverschwörung basteln: »Leider dürfen bei der Weltverschwörung nur auserwählte Juden mitmachen. Mich laden sie nicht dazu ein.« Dass die meisten Feste »lustig« sind, weil sie an Vertreibungen oder ähnliches erinnern. Dass Matze »so lecker ist wie es klingt«.
In diesem Ton geht es fast
durch das ganze Buch. Manches ist eigentlich nicht schön, aber es ist doch auch
witzig, vor allem wenn man feststellt, dass Klischee und Wirklichkeit oft
deckungsgleich sind, dass Übertreibungen doch passen. Das ist nicht ganz neu,
sondern seit Jahren immer wieder ein Thema für Autoren wie Maxim Biller, Barbara
Honigmann oder Rafael Seligmann. Leider fällt Goreliks Buch sehr auseinander:
Zum einen erklärt sie in ihren Anmerkungen am Rand des Buches manches, das ihr
jüdisch erzogener Sohn einfach wissen wird, das heißt, sie schreibt dann doch
für die Philosemiten, die die »Jüdische Allgemeine« lesen und für deren
Katharsis sie sich nun mal nicht verantwortlich fühlen will. Zum anderen
schleicht sich nach und nach ein bitterer Ton in ihre ansonsten netten und
hübschen Plaudereien, wenn sie über die christlichen Gutmenschen schreibt oder
über die Konvertiten, die dann 150-Prozent-Juden sind und bei der
Aufnahmeprüfung die 613 Gebote lernen müssen, »denen wir (…) nicht folgen;
häufig, weil wir sie gar nicht kennen.« Oder wenn sie auf manchen
Schlechtes-Gewissen-Brüderlichkeits-Veranstaltungen angegafft wird, bis sie sich
wie im Zoo fühlt und am liebsten einen Judenstern anlegen möchte. Und
schließlich wird es sogar noch richtig kishonesk und ein wenig zu vorhersehbar,
wenn sie ironische Feuilletons über Taxi- und Busfahren in Israel plauscht. Und
da hat das Buch auch formal nichts mehr mit den Briefen an ihren Sohn zu tun,
dem sie doch erklären wollte, wie es ist, als Jude in Deutschland zu leben. |
Lena Gorelik |
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