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Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

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Seitwert


Die Transformation einer Region

Drei Bildbände, die beispielhaft den Strukturwandel des Ruhrgebiets behandeln.

Von
Ursula Siepe

Während die Befürworter des Projekts »Stuttgart 21« befürchten, ein »Projektstopp würde die heutige Wirtschaftsregion Baden-Württemberg zurück in die Steinzeit befördern«, meinte jüngst der Moderator einer SWR-Fernsehsendung: »Die Amputation des denkmalgeschützten Bahnhofs treibt einem die Tränen in die Augen.« Einst war der Stuttgarter Bahnhof selbst, so Dieter Bartetzko in der FAZ (13.10.10), ein »Symbol des Fortschritts und der Beschleunigung«; und heute steht er gefährdet da als ein schützenswertes Zeugnis der Vergangenheit.

Es ist ja eine dem Programm des Denkmalschutzes innewohnende Dialektik, konservatorische Bemühungen auch auf Dinge zu richten, die zur Zeit ihres Entstehens durchaus destruktiven Charakter hatten. So erhellt es beispielsweise aus der Bildbeschriftung eines Fotos von 1952, das alte Fachwerkhäuser in Essen vor einer gigantischen Industriekulisse zeigt. Dort war zu lesen: »Dieses Bild ist kennzeichnend für Essens Fortentwicklung im letzten Jahrhundert: Fördertürme und Fabrikschlote sind über die Zeugen der Vergangenheit hinausgewachsen.«

Mit »Zollverein« wurde 1986 die letzte Essener Zeche geschlossen; und für die heute heranwachsende Generation sind Fördertürme und Fabrikschlote Relikte einer untergegangenen Epoche wie vielleicht das Klappern der Mühle am rauschenden Bach. Die Zeche Zollverein mit ihrer Kokerei, die noch Anfang der 1970er Jahre zur modernsten und größten Anlage Europas ausgebaut worden war, jedoch wegen der Stahlkrise 1993 aufgegeben werden mußte, ist heute Weltkulturerbe! Das und vieles mehr zu dem Prozeß, »wie aus Arbeit Kultur wurde«, kann man von Eckhard Bolenz und Markus Krause in dem Text-Bild-Band »Die andere Schönheit« erfahren, dessen Optik von der Gestaltungskunst des Kölner Greven-Verlags und wesentlich von den brillanten, großformatigen und eindrucksvollen Bildern des Krefelder Architekturphotographen Florian Monheim lebt.

Solingen: Gesenkschmiede Hendrichs (Schleiferei).
Foto: Florian Monheim

Das Buch ist Produkt der Zusammenarbeit des Verlags mit dem LVR (Landschaftsverband Rheinland), dessen Mitarbeiter die beiden Autoren sind. Zum Aufgabenbereich des LVR zählt u.a. auch die Bewahrung des »kulturellen Erbes« in der Region der Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln. In diesem Sinne pflegt der Verband auch das »LVR-Industriemuseum«. Dessen »Schauplätze« sind: die Textilfabrik Cromford in Ratingen (wahrscheinlich die älteste Fabrik auf dem Kontinent überhaupt), eine Tuchfabrik in Euskirchen; eine Baumwollspinnerei, eine Papiermühle und eine Gesenkschmiede im Bergischen Land, eine Zinkfabrik in Oberhausen und dort auch das ehemalige Hauptlager der Gutehoffnungshütte, ein Zeugnis des »Neuen Bauens« Mitte der 1920er von Peter Behrens.

Die Kulturabteilung der Schwesterorganisation des LVR, des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, unterhält die »Industriemuseen« im östlichen Nordrhein-Westfalen: drei die Geschichte des Ruhrbergbaus markierende Zechen, die Hattinger Henrichshütte, eine Ziegelei und eine Glashütte in Ostwestfalen sowie das Schiffshebewerk Henrichenburg.

Köln: Hauptbahnhof (Bahnsteighalle). Foto: FlorianMonheim
Insgesamt werden im vorliegenden Buch 52 Objekte in Wort und Bild vorgestellt; darunter auch ein großer Teil der »Ankerpunkte« auf der 1999 gegründeten »Route der Industriekultur Ruhrgebiet«, so daß die Auswahl vielleicht nicht ganz so »sehr persönlich« ist, wie der Umschlagtext behauptet, aber dennoch wohl »teilweise überraschend«. Zu den unerwarteten Dingen sind sicherlich das Düsseldorfer »Dreischeibenhaus« (Thyssen-Haus) und der Kölner Hauptbahnhof zu zählen. Heute noch in ihrer ursprünglichen Funktion genutzt, stehen sie als architekturgeschichtliche Denkmäler unter Schutz.

Die Präsentation der Objekte ist alphabetisch angeordnet: von Aachen mit seinen Bauten der niedergegangenen Textilindustrie, über das Mindener Wasserstraßenkreuz bis hin zur Wuppertaler Schwebebahn.

Essen: Villa Hügel (Südfassade). Florian Monheim
Neben der Vielzahl der in aller Regel stillgelegten Betriebe findet sich so gut wie alles zum Funktionieren industrieller Produktion Erforderliche: Häfen und Brücken, Elektrizitätswerke und Talsperren; sogar ein Parkhaus und ein Bahnbetriebswerk werden vorgestellt. Natürlich mußten auch die Menschen: Kapitalisten und ihre Arbeiter, irgendwo leben und wohnen. Und so wird sowohl die klassizistisch-prunkende Kruppsche Villa Hügel im Buch aufgenommen als auch die Essener Gartenstadt Margarethenhöhe, in der die Krupps ihre Arbeiter und Angestellten so bürgerlich als möglich unterbringen und sie somit zugleich politisch sedieren wollten. Die Haushaltung der schloßähnlichen Villa Hügel indes beschäftigte zeitweise um die 500 Leute. (Apropos Kapitalismuskritik: Auch das Engelshaus in Wuppertal ist in diesem Buch beschrieben und abgebildet. Der Betrachter der Innenräume bekommt einen guten Eindruck von der fürstlichen Wohnumgebung, in der Friedrich, der Geldgeber und Genosse von Karl Marx, aufwuchs.)

Man sieht: Das Verständnis von »Industriekultur«, wie es diesem Buch und auch dem üblichen Begriffsgebrauch zugrunde liegt, ist recht breit angelegt, wobei mit den Autoren zu erwägen ist, ob nicht der ökonomisch erzwungene »Strukturwandel« besonders im nordrhein-westfälischen Industriegebiet, vulgo »Kohlenpott«, der eigentliche Impulsgeber dafür war, aus der Not des Verlustes und des Bewahrenwollens die Tugend der »Kultur« zu machen. So gesehen, ist »Kultur« auch dort ein Synonym »für alles, was man hat, ohne es loswerden zu können« (Konrad Paul Liessmann).

In ihrem einführenden Essay schreiben Eckhard Bolenz und Markus Krause mit Blick auf die Verabschiedung des nordrhein-westfälischen Denkmalschutzgesetzes (1980): »Erhaltung und Konservierung waren [...] auch als ein kulturpolitisches Mittel zu sehen, Entfremdungsprozesse abzumildern.« Folglich galt es, das, was man nicht loswerden konnte oder wollte, irgendwie zu bewahren; am schönsten und besten, indem man es in »Kultur« transformierte. Der vorliegende Band ist Dokument und zugleich Agens dieses Transformationsprozesses, indem er – Monheims kongeniale Photographien machen drei Viertel des Seitenvolumens aus – das gegenwärtige Zwischenleben der denkmalgeschützten Objekte: noch nicht ganz Vergangenheit und noch nicht ganz museale Zukunft, ästhetisiert und damit ihre Kulturwürdigkeit lanciert.

Die Begleittexte bieten dabei wesentlich mehr als pure Gegenstandsbeschreibungen: Zwar lassen sie sich jeweils separat und parallel zum jeweiligen Bild lesen, doch entsteht am Ende ein beeindruckend belehrendes Panorama, das Industrie- und Technikgeschichte, Architektur- und Verkehrsgeschichte sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte zusammenfügt.

Oberhausen: Gasometer (Zylinder des Innenraums mit künstlerischer Lichtinstallation). Foto: Florian Monheim
Grundsätzlich sieht, sofern wir Bolenz/Krause folgen, das nordrhein-westfälische Denkmalschutzkonzept vor, bewahrenswerte Industriebauten entweder in ihrer alten Funktion zu erhalten oder aber sie neuer Nutzung zuzuführen. Diese Neunutzung geschieht entweder durch Musealisierung (sei es durch Bestandspflege, sei es durch Fortführung als »Schaubetrieb«) oder durch komplette Umnutzung, wie sie prominenterweise mit dem Gasometer in Oberhausen geschehen ist. Inzwischen ist der Gasometer ein vielbesuchter Veranstaltungsort für »Events« aller Art: Ausstellungen, Theateraufführungen, Konzerte etc.

 

Duisburg: Landschaftspark Duisburg-Nord (Hochöfen mit Windenhäusern und Gichtgasleitungen). Foto: Florian Monheim
Ein weiteres Beispiel für die Umnutzung ruhrgebietstypischer Industrieanlagen ist der »Landschaftspark Duisburg-Nord«, den man der Bevölkerung zur Freizeitgestaltung anbietet. Blickt man auf ein Foto Florian Monheims, das zwei Hochöfen des Hüttenwerks abbildet, darf man wohl mit Bolenz und Krause die Frage stellen: »Kann [...] ein stillgelegter Hochofen im Landschaftspark Duisburg ‚schön‘ sein?«

Seit Baudelaire definiert sich die Kunst der Moderne »durch Mimesis ans Verhärtete und Entfremdete« (Adorno). Von diesem mimetischen Impuls, der das Mechanische, Mortifizierte und Mortifizierende mit der Kamera ästhetisiert, war beispielsweise die Industriephotographie des Ehepaars Bernd und Hilla Becher getragen. Auch für den Photographen Horst Lang repräsentierte die »Industrielandschaft [...] jene andere Schönheit«, (so Andreas Rossmann in der Einleitung zu »... als der Pott noch kochte«). Wenn nun das hier besprochene Buch diese Formulierung als Titel übernimmt, evoziert es damit seinerseits unterschwellig einen Bezug zur sachlichen Foto-Ästhetik der industriellen Moderne. Besieht man sich aber Monheims Photographien, so liegt bereits auf den ersten Blick nichts ferner als die Wahrnehmung, hier werde Lebloses mit kalter Distanz stilisiert. Im Gegenteil: Eine Metaphysik des Entfremdeten ist diesen Bildern nicht zu entnehmen. Zwar entsubjektiviert auch Monheim seinen Blick; doch individualisiert er die Objekte und verleiht ihnen einen eigenen Charme: den Charme des geretteten Noch-Lebens.

Mit welchen photographischen Mitteln aber erreicht es Monheim, unpersönlich und zugleich »warm« zu gestalten? Ein Unterschied zu den »kalten« Photographien etwa der Bechers springt sogleich ins Auge: der, daß Monheim in Farbe arbeitet. »Alles Lebendige«, so Goethes »Farbenlehre«, »strebt zur Farbe.« Charakteristisch ist das reiche und fließende Sonnenlicht, das bei Außenaufnahmen Schatten zeichnet und tages- oder jahreszeitliche Konturen verleiht. Wasserspiegelungen oder Winterschnee und das immer wieder in das Bild hineinwachsende Grün verweigern sich jeder Ideologie asketischer Naturverweigerung. Manchmal ist das weißbewölkte Himmelsblau geradezu postkartentauglich.

Ein weiteres Indiz völlig undogmatisch-professionellen Umgangs mit der Kamera ist die Vielfalt der Perspektivenwahl: Kaum einmal werden die Monumente frontalansichtig zu statuarischen Monolithen. Indes zeichnen sich Monheims Bilder doch durch die frappante Abwesenheit von Menschen und menschlichem Treiben aus. (Geduld, sagt er, sei vonnöten gewesen, um diese seltenen Augenblicke zu erwischen. Manchmal habe er allerdings auch mit einem rot-weißes Plastikband absperren müssen.) Und so scheinen die abgelichteten Industriedenkmäler wie herausgehoben aus ihrer funktionalen Bedingtheit und werden autonomisiert, gleichsam zu Objekten eigenen Rechts.

Wenn man nun die modernistische Industriephotographie – von der »Neuen Sachlichkeit« (z.B. Renger-Patzsch‘) bis zu den »Typologien« der Bechers – als »Mimesis ans Entfremdete«, wie oben gesagt, versteht, dann könnte man vielleicht in Monheims Arbeiten die Mimesis an das denkmalschützerische – paradoxe – Programm erkennen, qua Bewahrung der baulichen Relikte eines entfremdeten Zustands die drohende Gefahr neuerlicher, postindustrieller Entfremdung zu bannen. Heimat soll wieder werden, was jüngst noch, vielleicht doch, Heimat war. Währenddessen quittieren die Beschäftigten der Solinger Gesenkschmiede Hendrichs (seit 1986 LVR-Industriemuseum) die Kulturifizierung ihres Betriebs mit pathoslosem Fatalismus: »Gestern stellten wir noch Werkzeuge her, heute produzieren wir Exponate.«

Wie virulent das Thema Strukturwandel und Photographie im Kulturhauptstadt-Jahr ist, erweisen die beiden Parallel-Ausstellungen (27.9.2010-16.2.2011) im Essener Ruhr Museum, das seit neuestem – ein idealtypischer Fall kulturifizierender »Umnutzung« – in der Kohlenwäsche »auf Zollverein« untergebracht ist.

Ehemalige Krupp-Rennanlage, Essen 1991 (Detail).
Foto und Copyright: Joachim Brohm

Der bei Hatje Cantz erschienene Katalog zur Ausstellung »Alles wieder anders. Fotografien aus der Zeit des Strukturwandels« bringt weit über 400 Fotos von etwa 60 Photographen und speist sich dabei weitestgehend aus dem umfänglichen museumseigenen Fotoarchiv. Er ist thematisch (z.B. »Wohnen«, »Arbeit«, »Konsum«) in dreizehn Rubriken unterteilt. Die weitaus größte Anzahl der Fotos ist schwarzweiß und stammt aus den 1970/80er Jahren, der Zeit des Niedergangs der Montanindustrie. Bilder aus den 1990ern finden sich erstens – kaum überraschend – gehäuft im Kapitel über »Industriekultur« und zweitens in dem mit »Emscher« übertitelten. Die Renaturierung dieses alten Flüßchens, das zur einbetonierten Kloake gemacht worden war, hat für die Region nicht nur einen enorm pragmatischen, sondern auch einen eminent symbolischen Wert. Und sinnigerweise wird der Betrachter unter der Überschrift »Landschaft« dessen ansichtig, was bleibt, wenn sich keine (denkmal)schützende Hand der nutzlos dastehenden Industrieanlagen erbarmt: verödetes Brachland und sich selbst verschrottendes Elend.

»Baracken« für Kohle-Transportbänder. Foto: Heinrich Hauser,
Copyright: Sammlung Geller & Geller

Die andere, parallele Sonderausstellung präsentiert die, so das Ruhr Museum, »klassische Fotoreportage zum Ruhrgebiet«: »Schwarzes Revier. Fotografien von Heinrich Hauser«. 1928 hatte der Schriftsteller mit seinem Auto diese Gegend durchkämmt und seine Kamera in neusachlicher Manier auf solche Objekte gerichtet, die – retrospektiv – noch heute als charakteristisch für das Ruhrgebiet gelten: montanindustrielle Metall- und Backsteingiganten; und davor und dazwischen und am Rande: Spuren des inmitten dieser Apparaturen produzierenden, überlebenden und sich reproduzierenden Menschenlebens. Als Begleitbuch zur Ausstellung ist im Bonner Weidle-Verlag die unprätentiöse, jedoch um so gehaltvollere Dokumentation der Hauser-Reportage unter dem Originaltitel »Schwarzes Revier« (Erstveröffentlichung 1930 bei S. Fischer) erschienen. Dieses Juwel, mit einem Nachwort von Andreas Rossmann versehen, ist ein würdiges Komplement zu den beiden anderen hier vorgestellten Bänden, das Ansichten der Ruhrgebiets-Industrialisierung aus der Blütezeit zwischen den Weltkriegen liefert. Hausers Texte bezaubern noch heute, indem sie die Prosa des Revier-Alltags in die hochgescheite Poesie eines teilnehmenden Beobachters verwandelt.

Im Kapitel »Städte« notierte Heinrich Hauser damals: »Der stärkste Eindruck, den ein Besucher empfängt, der die Städte des Reviers 1919 gekannt hat und sie 1929 wiedersieht, ist nicht der Zuwachs an Grundfläche und Bevölkerung, sondern der innere Ausbau, die Verschönerung des Stadtbildes, die Verbesserung der Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen, die Entwicklung zur Zivilisation. Tatsächlich haben viele Städte in diesem Jahrzehnt ihren Kolonialcharakter so weit eingebüßt, daß man sie kaum wiedererkennt. Der Geist dieser Entwicklung wird besonders deutlich, wenn man bemerkt, daß keine Stadt sich selbst als Reinprodukt der Industrie erkennt, sondern immer als ‚Industrie- und Gartenstadt‘, als ‚Industriestadt im Grünen‘, als ‚kultureller Mittelpunkt‘.«

»Kultur durch Wandel, Wandel durch Kultur« lautet das Motto, mit dem sich Essen neben Pécz (Ungarn) und Istanbul zur Kulturhauptstadt Europas 2010 qualifizieren konnte: »RUHR. 2010, Essen für das Ruhrgebiet«! »Kultur«: ein vieldeutiger, ebenso dehnbarer wie prätentiöser Begriff, der sich, wie gesehen, heutzutage sowohl auf eine zum Museum gewordene Gesenkschmiede und einen in Funktion befindlichen Hauptbahnhof als auch auf einen zum Erlebnispark umgewandelten Industriebetrieb applizieren läßt. Angesichts dieses Wucherns von »Kultur«, empfiehlt es sich vielleicht doch, mit Kants »Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht« mäßigende Besinnung anzuraten: »Wir sind im hohen Grade durch Kunst und Wissenschaft kultiviert. Wir sind zivilisiert, bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber, uns für schon moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel.«


 

Eckhard Bolenz und Markus Krause (Text), Florian Monheim (Fotos):
Die andere Schönheit.
Industriekultur in Nordrhein-Westfalen
Greven Verlag, Köln 2010
224 Seiten mit etwa 230 farbigen Abbildung
Leinen mit Schutzumschlag, 48,00 €
ISBN 978-3-7743-0466-6

Sigrid Schneider (Hrsg.):
Alles wieder anders.
Fotografien aus der Zeit des Strukturwandels
Hatje Cantz, Ostfildern 2010
448 Seiten mit 449 Abbildungen, davon 167 farbig
gebunden mit Schutzumschlag
39,80 €
ISBN 978-3-7757-2752-5

Heinrich Hauser:
Schwarzes Revier
hrsg. von Barbara Weidle
Weidle Verlag, Bonn 2010
223 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Fadenheftung, fester Einband
19,90 €
ISBN 978-3-938803-25-7



 


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