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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
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Glanz&Elend
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Sprachschnörkelverliebtheit

Über Christian Krachts in jeder Hinsicht überschätzten Roman »Imperium«.

Von Gregor Keuschnig

Als die Geschichte beginnt, ist August Engelhardt auf einem Schiff die dünnen Beine übereinanderschlagend und einige imaginäre Krümel mit dem Handrücken von seinem Gewand wischend grimmig über die Reling auf das ölige, glatte Meer schauend. Man ist am Anfang des 20. Jahrhunderts und der Ort, der angepeilt wird, heißt Herbertshöhe. Deutschland hat Kolonien.

August Engelhardt hat es tatsächlich gegeben. Einigen gilt er als "erster Aussteiger". Die Einschätzungen differier(t)en zwischen Visionär und Spinner; Tendenz zum letzteren. Engelhardt war nach Deutsch-Neuguinea aufgebrochen, erstand dort eine Kokosnussplantage (mit diebischem Vergnügen wird erzählt, wie er bereits beim Kauf übers Ohr gehauen wird), gründete einen "Sonnenorden" und pflegte seinen "Kokovorismus", d. h. eine Art Kult um die ausschließliche Ernährung durch die Kokosnuss. Er tat dies meist splitternackt, wobei die Inselbewohner diese Zivilisationslosigkeit des Migranten zwar schockierte, von ihnen aber großzügig toleriert wurde. Leider hatte Engelhardt überhaupt kein merkantiles Talent (was forsch als Kapitalismuskritik umgearbeitet werden konnte), plagte sich zusehends mit leprösen Schwären, wurde am Ende wahnsinnig und starb dann kurz nach dem Ersten Weltkrieg. So weit, so gut. Aber es geht - wie fast immer - nicht nur um Fakten, es geht um Literatur. So dichtet Kracht seinem Roman-Personal einiges an, verquirlt es mit tatsächlich Geschehenem und etlichen Anekdötchen und das in einer maniriert-barocken Sprache, einer Mischung aus Elfriede-Jelinek-Duktus und "Prospero's Books" von Peter Greenaway mit einer Prise Robinson-Crusoe-Abenteurertum (man beachte die Personalie Makeli, Engelhardts "Freitag", der am Schluss dann Faust II und Ibsens "Gespenster" in deutscher Sprache vorgetragen zu würdigen weiß). Abgerundet wird dies mit einem schönen Umschlag im Tim-und-Struppi-Look (und stark an Michael Ondaatjes neues Buch Katzentisch erinnernd).

Sprachschnörkel, abgehangen ironisch

Entweder man gibt sich dem wortgewaltigen, zum Teil schwülstig-verschraubtem, gelegentlich abgehangen ironisch (Thomas-Mann-Epigonentum par excellence) daherkommenden Elaborat hin und vergnügt sich damit noch nicht einmal unter dem berühmten Fritz-Kortner-Niveau. Oder man kann mit solcher Literatur nichts anfangen, erschrickt vor deren artifizieller Sprachschnörkelverliebtheit, die zuweilen natürlich (in doppeltem Sinn) antiquiert daherkommen und denunziert das dann in neokolonialem Gestus, begierig die Vokabeln "Kanacke" und "Negermädchen" herausklaubend und - quasi als Todesstoß - ein anderes Büchlein des Autors heranziehend (einen, wie man hier schön nachlesen kann eher in skandalisiert-affektiertem Ton verfassten Mailwechsel). Hymne oder Zertrümmerung - ein dritter Weg scheint fast unmöglich. Wirklich?

Vielleicht zurück zur Literatur, zu dieser Moritat ohne den üblichen, so erleichternden Moralausgang. Wer spricht denn da? Ein allwissender Erzähler. Ein Zyniker - dem Duktus nach kaum unser Zeitgenosse, aber wer weiß? Auf jeden Fall jemand, der seine Figuren für eine gelungene Pointe ohne mit der Wimper zu zucken lächerlich macht. Etwas, was natürlich leicht fällt und die Figuren platt wie Pappkameraden werden lässt. Da erzählt ein hochnäsiger Schnösel, dem man halb angeekelt und halb neugierig bis zum Schluss folgt. Der freilich einigermaßen enttäuschend ist: das Schicksal jeder Figur wird auf konventionell-altmodische Art und Weise aufgelöst und so gar nichts Geheimnisvolles eines Epochenuntergangs bleibt.

Aber wer mag auf Dauer schon narzisstische Erzähler, die derart auf ihr Sujet herabblicken. Und ist nicht zu lächerlich, wie der Niedergang des "Imperiums" (vulgo: Deutschlands) im Kleinen bereits vorweg genommen wird - und das, obwohl es doch bis zur knappen Hälfte des 20. Jahrhunderts so aussah, als würde es das Jahrhundert der Deutschen werden. Aber als gut fünfundzwanzig Engelhardt-Jünger die neu aus dem Boden gestampfte Hauptstadt Rabaul erreichen und dem Kokovorismus frönen wollen, interveniert der Gouverneur beim Guru, doch für eine rasche Desillusionierung nebst Rücktransport zu sorgen (die Kosten werden Engelhardt von dem zu erwartenden Ernteertrag debitiert - dieser Ertrag wird dann niemals eintreten).

Da droht also das "Imperium" von 25 armseligen, von der Reise geschwächten und teilweise bereits todkranken Gestalten herausgefordert zu werden. Gegen Ende steht dann Engelhardt, ein Erfolgloser, längst verlassen von seinen Helfern, ein in mehrfacher Hinsicht Kranker, selber zur Disposition. Der Gouverneur erpresst einen heruntergekommenen Kapitän damit, den Kokosnuss-Mann umzubringen. Aber der Kapitän erinnert sich an schöne Schachpartien und daran, von Engelhardt immer wie ein vollwertiger Mensch angenommen worden zu sein und hat mit dem inzwischen vom Freigeist und strengen Vegetarier zum Antisemiten und Autokannibalen mutierten Mann (es bleibt nicht bei der Verkostung der Finger- und Zehennägel) mehr als nur Mitleid. Er kann es nicht und das Ende Engelhardts verzögert sich. Der Gouverneur wird abkommandiert; der Krieg ist ja schließlich verloren.

Ausflüge des Allwissenden

Immer wieder bricht Krachts Erzähler aus der Chronologie aus; meist nur für ein paar Momente. Inmitten der kolonialen Tropenhelm-Langeweile des "Deutschen Clubs" und/oder Engelhardts konfusem Vegetarier-Nudisten-Programm (nein, eine Satire auf den grassierenden Biowahn unserer Zeit ist hier nicht zu entziffern), leistet sich der Allwissende Ausflüge in die große, weite Welt und berichtet von vergangenen und zukünftigen Tagen. Was damit bezweckt werden soll, bleibt diffus. Geht es darum, das Schicksal zu evozieren? Oder auch nur um die Gleichzeitigkeit disparater Ereignisse in der Welt zu spiegeln? Handelt es sich um ein Spiel? Oder ist es pure Lust an der Provokation, etwa wenn (mindestens) zweimal der Mann mit einer absurde[n] schwarze[n] Zahnbürste im Gesicht vorkommt? Einmal beinahe lauernd im spektralen Münchner Sommerlicht nur ein paar Jährchen bevor seine Zeit gekommen sein wird, eine tragende Rolle im großen Finsternistheater zu spielen. Und noch einmal, weiter in der Vergangenheit suchend, als ein Granatsplitter sich wie ein weißer Wurm in die Wade des jungen Gefreiten der 6. Königlich Bayerischen Reserve-Division bohrt und dann doch einigermaßen bedauernd festgestellt wird, lediglich ein paar Zoll höher, zur Hauptschlagerader hin und nur wenige Jahrzehnte später hätten die Großeltern des Erzählers auf der Hamburger Moorweide nicht die mit Koffern beladene[n] Männer, Frauen und Kinder am Dammtorbahnhof in die Züge verfrachtet und ostwärts verschickt gesehen. Aber es bleibt nicht bei den assoziativen Cameo-Auftritten dieses Scheusals. So wird beispielsweise simultan zur Kokosplantage in der Südsee in der fernen Schweiz ein anderer junger Vegetarier herbeiphantasiert, bei einem Patentamt beschäftigt und den theoretischen Unterbau für seine Dissertation zusammenträgt, die Jahre später das gesamte bisherige Wissen der Menschheit auf den Kopf stellen wird. (Die anderen Gäste möge der geneigte Leser entdecken.)

Was bleibt also? Hyperaktive Zeitgenossen, die mit moralinsaurem Betroffenheitsgeifer Literaturkritik immer mehr zur Literatenkritik verkommen lassen. Und dann diejenigen, die sich im Gegenzug mit der übertriebenen Lobhudelei dieses eher mittelmäßigen Büchleins als Salon-Avantgardisten billig profilieren können. Beide Seiten missbrauchen den Gegenstand ihrer Betrachtung für ihre schnöde Selbstdarstellung. Das Buch wird gut verkauft werden und Christian Kracht vermutlich bis auf alle Zeiten ein Attribut wie "umstritten" oder "problematisch" bekommen. Damit zieht dann die Karawane weiter. Bis zum nächsten Skandal.

Es ist zum Kotzen. Gregor Keuschnig

Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
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Christian Kracht

Imperium
Roman
Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-04131-6
256 Seiten, gebunden
Lieferbar
Euro (D) 18,99

 


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