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Seitwert


Höchstens suboriginell.

Über Sascha Lobos »Strohfeuer«:

»Literatur ist nicht Kapitulation vor der Realität. Und Authentizität erringt man nicht in kolportagehafter Anbiederung an eine gewesene Wirklichkeit.«


Von Gregor Keuschnig

 

Irgendwann sitzt Stefan, der knapp 25jährige Ich-Erzähler in Sascha Lobos Roman "Strohfeuer", in seiner Stammbar, einer Yuppiehölle und dachte weiter nach. In der Pose des nachdenklichen Mannes an der Bar gefiel ich mir außerordentlich gut; im Glas einen neunzehnjährigen Glencraig, den einen Ellenbogen aufgestützt, die Hand lose zum Kinn geführt, den Oberkörper bei geradem Rücken leicht nach vorn gelehnt. Verschiedene Körperhaltungen werden durchprobiert und er überlegte, mit welcher mich Frauen am ehesten ansprechen würden. Und der Leser erfährt noch: Mit meiner Wirkung im Raum beschäftigte ich mich oft, eigentlich immer und die Kontrolle über meine Wirkung war ein wesentlicher Teil meiner Kommunikation.

Stefan leidet in diesem Buch an vielem - nur nicht an mangelndem Selbstbewusstsein. Sein Narzissmus wird nur noch von der Rüpelhaftigkeit seines Teilhabers Thorsten übertroffen. Beide betreiben so etwas wie eine Werbe-, IT- oder Marketingagentur – eine dieser merkwürdigen "Dotcom"-Firmen in der Blütezeit der New Economy Ende der 90er Jahre. 2001 kommt es zum ökonomischen Zusammenbruch auch für die Agentur im Roman, der mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verknüpft wird. In Wirklichkeit zerplatzte die Blase ja schon anderthalb Jahre vorher. "Strohfeuer" erzählt Stefans (und Thorstens) Geschichte mit dieser Agentur.

Erzählt? Naja. Bücher, die schon auf der ersten Seite mit einer Bewerbungsschreiben-Prosa für die Position des Türstehers eines neu eröffnenden Bordells aufwarten, sollte man eigentlich schnellstens entsorgen: Ich war ein Meister darin, Nuancen in Mimik, Gestik und Aussprache von anderen Menschen wahrzunehmen und geschickt und schnell darauf zu reagieren. Und kurz darauf kommt Stefan zu der Erkenntnis: weil ich Gesichter lesen konnte, konnte ich auch Menschen manipulieren. Nach dieser geballten Dosis Hybris treibt dem Leser nur noch die Hoffnung knirschend weiter.

Aber die Sprache Lobos versagt fast immer, wenn Stefan über sich und seine Befindlichkeiten schwadroniert. Vieles ist entweder unfreiwillig komisch oder irgendwann nur noch redundant. So ist das Sexualleben Stefans trotz Freundin Lena durchaus promiskuitiv, aber mehr als vögeln oder ficken bekommt man nicht geboten. Dafür gibt es dann ein Kapitel mit der Schilderung einer Nachtfahrt von 1450 Kilometern in siebeneinhalb Stunden. Lena schickte beziehungsproblematische SMS und Stefan wollte sie in Gstaad überraschen, nachdem er noch eine ehemalige Kollegin gevögelt hatte. Beim Lesen der Autofahrt hat man das Gefühl, die realen siebeneinhalb Stunden neben Stefan zu sitzen. Ausgiebig wird man über den jeweiligen Tachostand informiert. Irgendwie passend dann Lenas Reaktion, die ihrem Lover natürlich nicht um den Hals fällt, sondern ihn sehr ernst ansieht. Immerhin ist ihr Ausspruch treffend: "Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, bei dem eine nächtliche Reise in die Schweiz nicht zwingend bedeutet, dass er mich liebt." In seinem fortschreitenden Realitätsverlust interpretiert Stefan dies als coole[n] Liebesbeweis. Auch das Geschenk eines Super-Kopfhörers, dessen Preis er vorsorglich nur ungenügend entfernt, damit man ihn noch erkennen kann, verfängt nicht, weil er den Kopfhörer aus Versehen in seiner Größe gekauft hatte. Aha.

Viele Bilder Lobos wirken in ihrem geradezu krampfhaften Bemühen um Originalität paradoxerweise gerade deswegen hölzern. Etwa wenn es von Lena heisst, sie sei das Gegenstück zu einer Sonnenblume: Wenn die Sonne unterging, blühte sie auf. Als Stefan einmal ungekämmt ins Büro kommt, macht ihn Thomas auf seine Bumspalme aufmerksam. Oder wenn Sandra, die Kollegin, ihre Augenbrauen einzeln heben konnte, ist dies das Napalm des Flirtens (ich glaube, das kann Ines Pohl auch). Die Verhandlungsstrategie des Good Cop, Bad Cop-Rollenspiels ist ein uralter Hut. Und die Sprichwortverballhornung Aus dem Browserverlauf, aus dem Sinn für das Vergessen des Partners, ihn beim Surfen auf Pornoseiten erwischt zu haben, ist höchstens suboriginell. Vollends ins Lächerliche kippt es, wenn versucht wird, die Hybris Thorstens als Groteske zu inszenieren. Beispielhaft da die Szene, als ein säumiger Zahler mit mafiosen Methoden zur Überweisung der Wucher-Rechnung genötigt werden sollte: Man wollte ein Schwein vor seinem Haus und in dessen Beisein köpfen. Leider müssen zwei unschuldige Ferkel dran glauben und das im Kofferraum erstickte Tier dient als Hitlerschwein dem allgemeinen Amüsement der Belegschaft.   

Beim Moralisieren reicht es maximal zur veritablen Bauernschläue. Etwa, wenn Stefan vor sich selber bekräftigt, Lena nicht angelogen zu haben, als sie ihn fragte, ob er Sandra oder Kathi geküsst hätte. Ich sagte nein, denn ich hatte Sandra und Kathi geküsst. Das es dann zum Dreier kam, war auch nicht mitteilungsnotwendig, denn schließlich: Nach Sex hatte sie nicht gefragt. Stefans Spezialität ist es nicht zu lügen und dennoch unglaublich weit von der Wahrheit entfernt zu sein. Wenn er es mit einer gerade entlassenen, anderen Kollegin treibt, die zudem noch von ihrem Freund schwanger ist, fand er es anregend und zudem angenehm, dass wir nicht auf Verhütung achten mussten. Und die Ausflüge in die Kindheit als geachtete[r] Murmelbankier für wenige Tage kommen über den Erkenntniswert einer studentischen Vertretungsstunde in VWL nicht hinaus.

Übertroffen werden Stefans Charakterdefizite vom etwas älteren Thorsten, einem auf den ersten Blick einnehmenden und vertrauenerweckenden Menschen der Kategorie Kühlschrankverkäufer in Grönland, in Wahrheit cholerisch, größenwahnsinnig und rücksichtslos, dennoch enorm umtriebig und durchaus "kreativ", der auch schon mal ein Geschäftsmodell mit Benzin zum Downloaden entwirft. Nach einem Ausraster kurz vor der unvermeintlichen Insolvenz der Agentur "gesteht" Thorsten seinem Kumpel unter dem Brüggel'schen Syndrom zu leiden. Parallelen zu ganz anderen Betrügern, die so gerne "epibrieren", kommen einem da zwangsläufig.

Natürlich kann man einwenden, dass genau die Hybris und Großkotzigkeit einer Welt, die so einfach gestrickt und oberflächlich ist, "abgebildet", geschildert werden sollte: Da sind Nerds sind eben so, wie man sich Nerds vorstellt. Frauen erst recht. Und Dotcom-Gründer entweder Sexualprotze oder – wie Thorsten – in diesem Punkt eher ein bisschen unterbemittelt. Und im Büro werden strombergmäßig die Joghurts mit kleinen Schildchen versehen. Entwicklungen bei den Protagonisten finden nicht statt; 25jährige Greise. Tiefgang ist nicht zu erwarten, weil nicht vorhanden. Daher, so könnte man argumentieren, sei es nicht Lobos Fehler, dass man zuverlässig nach einer Minute weiss, wer ein Arschloch ist (der bleibt es dann auch für den Rest des Buches).

Aber Literatur ist nicht Kapitulation vor der Realität. Und Authentizität erringt man nicht in kolportagehafter Anbiederung an eine gewesene Wirklichkeit. Die Komprimierung aller möglichen Klischees in bestimmte Figurentypen sollte man Dieter Wedel überlassen (der so was besser kann). Lobo würzt seinen Roman zuweilen mit Ironie, ja Zynismus und stattet seine Hauptfiguren mit einer gehörigen Portion Arroganz aus, damit es vielleicht noch als Popliteratur durchgeht. Aber auch das verfängt nicht, weil letztlich nur ein gleichförmiger Ton erzeugt wird. Einen Ton, den man inzwischen überall liest, sieht und hört.   

In der Schilderung dieser merkwürdigen Gründerzeitstimmung Mitte der 90er Jahre ist das Buch besser. Es gewährt Einblicke in die Potemkin'sche Welt der Dotcom-Unternehmen mit ihrem Gefasel von der Weltmarktführerschaft. Etwa, wenn ernsthaft vor dem Teufel Umsatz gewarnt wird und stattdessen lieber wöchentlich neue Leute eingestellt und opulente Partys gefeiert werden, um gemäss dem Branchencode Wichtigkeit und Potenz zu simulieren. Investoren werden mit dieser Art von Schneeballsystem eine gewisse Zeit betäubt. Das wird erzählt, ohne es mit dem Presslufthammer einfach nur zu behaupten. In den besten Szenen gelingen hier Evokationen der historischen Situationen. Und man ahnt, wie die "Web-2.0"-Blase mit ähnlichen Heilsversprechen (weil ähnlichen Protagonisten) entstehen konnte.  

Ein Ernst-Wilhelm Händler, also gute Literatur aus und über die Arbeitswelt, ist selten. Zuweilen driften sie entweder in eine Skurrilität ab (Wilhelm Genazinos "Abschaffel"-Romane beispielsweise). Andere sind entweder zu dicht an ihrem Gegenstand oder haben wenig Ahnung und interpretieren nur ihre Eindrücke, die sie aus zweiter Hand gewonnen haben. Jemand wie Kathrin Röggla gehört zur zweiten Kategorie. Sascha Lobo in die erste. Sein nächstes Buch kann fast nur besser werden. Gregor Keuschnig

Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.

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Sascha Lobo
Strohfeuer
Rowohlt Berlin
Hardcover, 288 S.
18,95 €
978-3-87134-678-1


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