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Ein Blick in tiefsten Grund Dacia Marainis Roman Der Zug in die jüngste Nacht lotet Befindlichkeiten zwischen Heißem und Kaltem Krieg aus Von Christiane Pöhlmann
Wir
schreiben das Jahr 1956. Es ist die Zeit, in der das Reisen noch half: In Zügen
gab es noch keine Großraumwaggons, sondern Abteile, Mitreisende kriegten vom
Proviant ebenso wie von Familienfotos ab, man teilte intime Geheimnisse und
stritt über die Weltlage. Jedenfalls manchmal.
Als ihr Mitreisender Hans als österreichisch-ungarischer
Jude an der Grenze Schwierigkeiten bekommt, bürgt sie spontan für ihn und
behauptet, seine Verwandte zu sein. Wie sehr Hans diese Geste beeindrucken muss,
lässt sich schon bald erahnen, als die vom Misstrauen geprägte Atmosphäre des
Kalten Krieges plastisch und überzeugend geschildert wird. Als Hans selbst
erzählt, wie seine Eltern von Freunden geschnitten wurden, sobald sie den gelben
Stern tragen mussten. Individuelle und staatliche Kontinuitäten Die Suche nach Emanuele bringt Hans und Amara nach Polen, Ungarn und Österreich. In Amaras Gepäck befinden sich Briefe von Emanuele aus seiner Wiener und Łódźer Zeit. Sie werden gegen die Lebensgeschichten von Menschen geschnitten, die ihnen bei ihrer Suche begegnen. Maraini relativiert dabei weder Antisemitismus noch Kalten Krieg, sondern zeigt vielmehr auf, welche Verhaltensmuster und Haltungen sich gehalten haben. Dabei zielt sie nicht nur auf einzelne Menschen, die vielleicht lieber wegsehen und sich ihre Courage für bessere Zeiten aufsparen, sondern mit dem Ungarn-Aufstand auf ganze Staaten. Angst, Bequemlichkeit und eigene Interessen (wie die Suezkrise) verhindern oft genug Tage, an denen "die Menschen Nein sagen, ihr Schweigen brechen, sich darüber freuen, endlich sie selbst zu sein, ohne etwas vortäuschen zu müssen", verhindern Artikel, in denen über diese Tage berichtet wird, verhindern die Unterstützung für Menschen, die solche Tage gestalten. Erzählerisch und kompositorisch weiß sie die beiden Zeiten und die verschiedenen Erzählstränge geschickt zu verweben, einzig der Ungarn-Aufstand gerät ihr vielleicht ein wenig zu lang; so verdienstvoll es ist, die Geschichte des kleinen Landes näher zu beleuchten, durchbricht es doch die bisherige geschickte Verzahnung mehrerer Zeitebenen. Schonungslose Wiederbegegnung Über lange Strecken lässt das Buch der Leserschaft die Möglichkeit, sich zurückzulehnen und zu sagen: Bravo, Amara! Die Nazis hatten es darauf angelegt, jüdische Menschen zu vernichten, wollten "ihre Namen auslöschen, ihre Körper misshandeln und sie für immer dem großen Vergessen der Geschichte überlassen". Amaras Suche nach Emanuele ist auch ein Versuch, diesen Menschen ein individuelles Schicksal zurückzugeben. In dem Sinne noch einmal: Bravo und Chapeau. Doch Amara sucht auch ihre einstige Jugendliebe, sucht nach einem bestimmten Bild, das sie auch nach Jahren mit erotischen Phantasien verbindet. Und hier wird es für alle unangenehm. Zum Glück. Denn Amara trifft Peter Orenstein, einen ausgemergelten, gespenstischen, vor der Zeit alt gewordenen Mann, der behauptet, Emanuele zu sein. Instinktiv blockt Amara ab. "Man kann sich zwar verändern, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Etwas muss doch bleiben von dem Menschen, der einmal existiert hat". Da spricht die Zeitgenossin, die sich bei allem Engagement, bei aller Empathie und bei allen eigenen Erfahrungen das Grauen der Shoah nicht vorzustellen vermag. "Der Krieg ist seit elf Jahren vorüber. Eigentlich genug Zeit, um sich zu erholen" – der Graben zwischen beiden könnte kaum tiefer sein. Trotzdem sucht Amara diesen Peter ein zweites Mal auf. Er legt nun Beweise für seine Identität vor – in einem Sturzbach verbaler und körperlicher Gewalt. "Du hältst dich für was Besseres«, wirft er ihr vor, "weil du nicht mit dem Abschaum in Berührung gekommen bist, den Ekel vor dir selbst nicht kennengelernt hast." Um dann zu konstatieren: "Um zu überleben, ist man zu allem fähig, und das ist die widerlichste Strafe, die raffinierteste, das, was uns eigentlich umgebracht hat." Ein Roman, der nie zu spät kommt Die 1936 geborene Dacia Maraini hat meist zeitgenössische Themen aufgegriffen. Bei ihr paaren sich in seltener Meisterschaft eine linke, feministische Weltanschauung und literarisches Vermögen. Ihre historischen Romane waren bisher vor allem dem alten Sizilien vorbehalten. Mit Der Zug in die jüngste Nacht wendet sie sich nun der jüngeren Vergangenheit zu. In einer schnörkellosen Sprache entwirft sie in plastischen Szenen das facettenreiche Bild Europas während Faschismus und Kaltem Krieg. Überzeugend gestaltet sie erste Auseinandersetzungen mit den Lagern, noch vor jeder etablierten Gedenkkultur.
Das Ende hält sie offen. Amara hat in Abgründe gesehen, die
sie – vielleicht – nie hat sehen wollen. Maraini deutet an, ihre Protagonistin
würde die Augen nun nicht mehr verschließen. Ob sie auch die Kraft findet,
einmal Nein zu sagen, steht auf einem anderen Blatt. |
Dacia Maraini
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