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Bücher & Themen Artikel online seit 17.01.13 |
Abgründe des Journalismus
Annalena McAfee
beweist mit ihrem
Debutroman »Zeilenkrieg« Von Patrick Wichmann
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Zuletzt hat es die Frankfurter Rundschau und die Financial Times Deutschland erwischt: Das Zeitungssterben ist spätestens seit Ende des vergangenen Jahres auch hierzulande mehr als deutlich zu spüren. Schuld an dieser Misere sind jedoch nicht ausschließlich die Leser – auch die Presse selbst trägt ihren Teil dazu bei. Einen Einblick in die Welt des gegenwärtigen Journalismus bietet die britische Journalistin Annalena McAfee mit ihrem Roman »Zeilenkrieg«. »Nur dreitausendachthundert Wörter standen zwischen ihr und einem Vertrag mit dem angesehensten Magazin des britischen Journalismus, zwischen Erfolg und Scheitern, Anerkennung und grausamen Vergessen.« Ein Portrait von Honor Tait, der fiktiven Ikone des New Journalism und fiktionalisierten Marguerite Higgins, soll der Nachwuchsreporterin Tamara Sim den Durchbruch verschaffen, soll endlich für eine Festanstellung und das Ende der ebenso arbeitsamen wie unterbezahlten Freien Mitarbeit bedeuten. Doch die »Doyenne des britischen Journalismus« erweist sich für die unerfahrene Tamara als hohe Hürde, macht sie doch ihrem Ruf als eigenwillige und abweisende Zynikerin alle Ehre. Um diese Zweier-Konstellation baut McAfee Stück für Stück ihren Roman und schafft durch die beiden Journalistinnen ein Gegensatzpaar, wie es unterschiedlicher wohl kaum sein könnte: hier die Grande Dame des 20. Jahrhunderts, eine moderne Madame de Staël, die mit Picasso und Sinatra, aber auch Franco und Hitler bekannt war, dort die Boulevardreporterin, deren Hauptaufgabe darin besteht, Prominente in Charts zu ordnen, die sich etwa um Zellulite oder Achselbehaarung drehen. »Vom As zum Fass: Erst nett, dann fett.« Und so werden die beiden Figuren auch zu Symbolen ihrer Zeit: Honor Tait als Vertreterin von Intellekt und Engagement, Tamara Sim als Personifizierung von Oberflächlichkeit und Kulturverfall, die sich in »Selbstbewusstsein, gepaart mit Ignoranz« den Weg bahnt. »The Spoiler«, wie das Buch im englischen Original heißt, zielt dabei in besonderer Weise auf den Journalismus ab. Schon die Namen der Beilagenblätter des chronisch in den roten Zahlen steckenden »Montior«, Tamaras Arbeit- und Auftraggeber, verraten etwas über den Zustand der zeitgenössischen Berichterstattung: In »Fr!day« wird über Pop berichtet, »L(oo!)k« kümmert sich um Mode und »Psst!« spioniert das Privatleben der Stars und Sternchen aus. Seriosität fällt plumper Effekthascherei zum Opfer, inhaltliches Niveau weicht äußerlichem Glanz, Hochkultur weicht Popkultur. So wird auch die Redaktion selbst gewissermaßen zum neunten Kreis der Hölle. Beruflich versucht hier jeder, den anderen auszubooten und ihm die beste Geschichte zu klauen. Privat spielen Sex und Drogen im Leben der Redakteure die zentrale Rolle, jagt eine wilde Party mit anschließendem Seitensprung die nächste. So wird jeder der Mitarbeiter zu einer Karikatur seiner selbst: der Herausgeber versinkt in Eitelkeiten, Sportredakteure treten ausschließlich in Jogginghosen auf, im Feuilleton herrscht blinde Weltflucht und externes Desinteresse und Tamaras Chef, der Leiter des Boulevardteils, verdient sein Geld mit gefälschten Spesenabrechnungen und ist ausschließlich auf seine zahllosen Affären fokussiert. Sie alle sind Produkte, aber eben auch Schöpfer einer Zeit, die »Ruhm mit Rechtschaffenheit gleichsetzt«. Vor diesem Hintergrund ist es also kein Wunder, dass auch Tamara, die sich ihres Bachelor-Abschlusses in Medienwissenschaften rühmt, in Oberflächlichkeit gefangen bleibt. Ihre Welt ist das Showbusiness. Und so hat sie auch keinerlei Interesse an dem neuen Buch Taits und ihrem gesamtem Œuvre – was zählt, ist ausschließlich die Bekanntschaft und möglichst Intimität mit den Größen der Vergnügungsindustrie, reizvoll ist für sie lediglich ein breites Namedropping. »Sie kämpfte sich zwar nach Kräften durch ihre Beiträge, hatte aber keine Lust, sich eingehender mit ihnen zu beschäftigen, indem sie auch noch die Bücher las. Ganz abgesehen davon – wo hätte sie die Zeit hernehmen sollen?« Insbesondere die Figur der Tamara gerät McAfee da bisweilen schon eine Spur zu einfältig. »Willkommen in Olympia« wird sie etwa in Taits Gesellschaftsrunde, dem »Monday Club« begrüßt und weiß dazu nur: »‚Wirklich?‘, gab Tamara verwirrt zurück. Sie war ganz sicher, in Maida Vale zu sein« zu erwidern. Angesiedelt ist das Ganze im ausgehenden 20. Jahrhundert und damit vor der langsamen Einführung des Internets in alle nur erdenklichen Lebensbereiche – und damit eben auch in den Journalismus. »Diese Internetgeschichte ist nur eine Mode, die bald vorbei ist. Genau wie das Dampfgrammophon und das Sinclair-C5-Elektrofahrzeug. Langfristig lässt sich damit kein Geld verdienen.« So wird selbst die Mittzwanzigerin schon wieder zum Auslaufmodell und vom technikaffinen Nachwuchs überholt; sogar ihre Halbwertszeit ist bereits erschöpft.
Annalena McAfee beweist
mit ihrem Debutroman eine große Lust am Erzählen und berichtet äußerst
detailgetreu über den Stand des zeitgenössischen Journalismus. Augenzwinkernd
baut sie dabei Klischees ein, wie den Taxifahrer der »auch mal in der Branche
tätig« war und eben auch das »Horrorszenario« Internet. Dass dabei die
Geschichte bisweilen dann doch ein wenig vorhersehbar ist, kann man ihr ebenso
gut verzeihen, wie das etwas moralinsaure Ende. »Zeilenkrieg« ist in seinen
besten Momenten eine äußerst treffende Satire auf die Abgründe im Medienbetrieb
unserer Zeit. – »Idiotische Moralgeschichten für eine unmoralische Zeit.« |
Annalena McAfee |
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