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Seitwert


»Renaissance am Rhein«

Die Ausstellung im LVR-LandesMuseum Bonn
16.09.2010 bis 06.02.2011

Besucht von Franz Siepe

Gleich im ersten Raum der Ausstellung „Renaissance am Rhein“ des LVR-LandesMuseums Bonn steht eine Feldschlange Karls des Kühnen neben zwei Ritterrüstungen. Auf mich allein gestellt, wäre ich als Besucher ohne besonderes Interesse an Militaria aller Zeiten wohl ziemlich achtungslos an diesen Sachen vorbeigegangen. Aber ich war in einer Gruppe, die von einer Dame geführt wurde, deren museumsdidaktisches Talent erst gar keine Unaufmerksamkeit zuließ; selbst nicht vor der auf eine Lafette montierten Kanone des kühnen Burgunderherzogs (1433-77), der damals seine Hand vergeblich nach den Ländern am Rhein ausgestreckt hatte. Das Gerät symbolisiert das Ende der mittelalterlichen Ritterschlachten und verweist auf die frühneuzeitliche Kriegsführung mit Söldnern und Landsknechten. Es sei, so die Führerin, horizontal nur mühsam auszurichten gewesen, doch habe man es ohne viel Aufwand vertikal heben und senken können.

Feldschlange Karls des Kühnen

Gebhard II. Truchsess von Waldburg
Weiter ging es zu einem dem Münsteraner Maler Hermann tom Ring zugeschriebenen Porträt von 1579, welches Gebhard II. Truchsess von Waldburg darstellt und den Truchsessischen Krieg ins Gedächtnis ruft. Gebhard verliebte sich in die evangelische Stiftsdame Agnes von Mansfeld, wurde selbst evangelisch und heiratete die schwarzhaarige und braunäugige „schöne Mansfelderin“. Weil er indes seine Ämter als Erzbischof und Kurfürst nicht aufgeben und sein Territorium verweltlichen wollte, wurde er exkommuniziert und abgesetzt. Ein Wittelsbacher trat seine Nachfolge in Köln an, so daß die Gefahr einer protestantischen Mehrheit im Kurfürstenkollegium gebannt und die Katholizität im Reich gesichert war. So mächtig und wieder auch machtlos ist Amor, wenn er einen Mächtigen trifft.

Unschwer jedenfalls ist schon aus dem Bisherigen zu erkennen, daß die Bonner Ausstellungsmacher „Renaissance“ nicht als einen rein kunsthistorischen Terminus auffassen. Vielmehr verstehen sie ihn als „regionalhistorischen Epochenbegriff für den Zeitraum von etwa der Mitte des 15. Jahrhunderts bis um 1600“. Im Katalog heißt es weiter: „Der Vorteil und die Leistung eines so verwendeten Renaissance-Begriffes liegt in der enormen Synthesefähigkeit, die es erlaubt, ganz unterschiedliche kulturelle, soziale und politische Zusammenhänge am Rhein als Manifestationen einer neuen Mentalität und Denkart zu deuten.“

Der Weite dieses Renaissance-Begriffs entspricht sowohl der Umfang der Ausstellung mit ihren mehr als 350 Exponaten, die zum großen Teil von in- und ausländischen Leihgebern zur Verfügung gestellt wurden, als auch das beachtliche Volumen des Katalogs. Dessen Textteil umfaßt etwa ein Viertel; der eigentliche Katalogteil gliedert sich – nicht ganz analog der Ausstellungslogik – in diese fünf Abschnitte:

1. Der Raum und die Menschen,
2. Die Länder am Rhein im europäischen Kontext,
3. Die Renaissance als Innovationsprozess,
4. Welt im Aufbruch: Renaissance am Rhein und
5. Ausblick: Das Rheinland um 1600 – Neue Herren, neue Grenzen.

Diesen Abschnitten sind wiederum insgesamt neun Unterabteilungen zugeordnet:

Die Rheinlande – Grenzen und Wahrnehmung,
Zeitgenossen, Machtpolitik und Krieg,
Beharren und Aufbruch: Kaiser, Reich und Territorien,
Herausforderung und Antworten: Reformation, katholische Reform und Konfessionalisierung,
Der Fürstenhof als „Motor“ der Erneuerung,
Klöster, Stifte und Orden: Antworten auf die Reformation,
Vita rustica: Das Leben auf dem Lande
Stadtkultur: Exemplum Köln.

Gemessen an Italien, dem Ursprungsland von Renaissance und Humanismus, wurden die katholisch dominierten Länder am Rhein von den Veränderungen in allen Lebensbereichen mit etwa hundertjähriger Verzögerung erreicht. Rheinisch-katholischer Beharrungswille nahm alles allzu Neue, allzu Reformerische und Reformatorische nur widerstrebend an: „Über Humanismus im Rheinland zu sprechen“, so der Historiker Harald Müller im Katalog, „heißt in gewisser Weise ein rheinisches Defizit zu berühren, wenn nicht ein Trauma. Denn in den sogenannten Dunkelmännerbriefen blamierten einflussreiche Humanisten zu Beginn des 16. Jahrhunderts Vertreter der Kölner Universität literarisch bis auf die Knochen, indem sie deren sprachliche Defizite in satirischer Zuspitzung offen legten: als ‚inhumanissimi – extrem unhumanistisch‘ (wenn nicht sogar ‚absolut unmenschlich‘) galten die Kölner Theologen in Humanistenkreisen um 1512, weil sie weder das Griechische noch das Lateinische, geschweige denn das Hebräische im Ansatz zu beherrschen schienen“.

Derartige Polemiken sind jedoch cum grano salis zu nehmen. Denn immerhin war der Einfluß des Erasmus von Rotterdam nicht unbeträchtlich; und eine Figur wie der hochgelehrte Konrad Heresbach steht paradigmatisch für die Tatsache, daß das Rheinland keine Insel innerhalb des gesamteuropäischen Kulturtransfers war.

Bartholomäus Bruyn, Die drei Stände der Christenheit
Gleichwohl waren die Länder am Rhein kaum eine Region forcierten Fortschritts: Selbst der produktivste, innovativste und anerkannteste Maler Kölns jener Zeit, Bartholomäus Bruyn d.Ä., hatte seinen konservativen Auftraggebern in Themenwahl und Stil entgegenzukommen und wird daher noch heute von der Kunstgeschichte weitgehend marginalisiert. Sein Gemälde „Die drei Stände der Christenheit“ ist insofern ein Anachronismus, als es die mittelalterliche Ständeordnung (Klerus, Adel und Bauern) inszeniert und dem damals bereits erstarkten Bürgertum aus Handwerkern und Kaufleuten keinen Ort zuweist.

Nichtsdestoweniger ist das Ständebild Bruyns ein erstklassiges Dokument der Herrschaftsapologie: „TU SUPPLEX ORA (du bete demütig)“ sagt das Spruchband über den Klerikern, „TU PROTEGE (du beschütze)“ steht über den Adligen; und in unüberbietbarer Deutlichkeit ist den kleinen, in der Tiefe des Raumes grabenden und im Schweiße ihres Angesichts schuftenden Bauern vorgeschrieben: „TUQUE LABORA (und du arbeite)“.

 Nach Pieter Brueghel d.J., Bauernadvokat
Seltsamerweise blieben im Rheinland gewaltsame Bauernaufstände wie in anderen Landstrichen aus. Ein Wandtext der Bonner Ausstellung möchte diese Besonderheit u.a. mit der relativ günstigen Stellung der rheinländischen Bauernschaft erklären, die seit dem Mittelalter von Frondiensten befreit war, dafür aber Geld abliefern mußte. Als dennoch einmal ein Adliger, der Unterherr Otto von Bylandt, Frondienste für die Errichtung seines repräsentativen Schlosses verlangte, klagten die Bauern ihr altes Recht ein. Ein kommentierender Wandtext formuliert mit bildungsbürgerlicher Herablassung: „Dass die Bauern den Rechtsweg gegen ihren Unterherrn einschlugen, wirft einen bezeichnenden Blick auf den beachtlichen Bildungsstand bäuerlicher Schichten zu dieser Zeit.“ Demnach wäre „Bildung“ ein Gegengift gegen revolutionäre Anwandlungen der Unterdrückten?

Hans Vredeman de Vries,
Das Gleichnis vom armen Lazarus und dem reichen Mann
In den oberen Regionen der Gesellschaft ging es im Rheinland zu wie andernorts und überall: Der reich gewordene Bürger eiferte in Habitus und Lebensstil dem niederen Adel nach, dieser dem hohen und der wiederum dem König oder Kaiser. Und ganz unten blieb den armen Lazarussen bloß die Hoffnung, nach dem hiesigen Elend dereinst in Abrahams Schoß zu landen.

Gegen Ende des so schön geführten Ausstellungsrundgangs waren noch zwei „Highlights“ zu bestaunen, die Zeugnis gaben von der erlesenen Fest- und Tafelkultur derer, die demütig beten und tapfer beschützen. (Ein Besucher bedauerte, Büchners „Hessischen Landboten“ nicht zur Rezitation parat zu haben.) Da war das eine Mal ein Raum der „Fürstlich Jülischen etc. Hochzeit“ von 1585 in Düsseldorf gewidmet. Anläßlich der Eheschließung des Erbprinzen Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg mit Jakobe von Baden – die Verbindung war von den katholischen Mächten dieser Welt lanciert worden – zeigte der Hof, daß und wie er eine Woche lang zu feiern und 1500 Gäste mit Festbanketten, Tänzen, Turnieren, Feuerwerken etc. bei  Laune zu halten verstand.

Tafelschiff aus dem Besitz Jakobs III. von Eltz
Welt im Aufbruch“ ist der Katalog-Abschnitt übertitelt, der die pompöse Düsseldorfer Lustveranstaltung des Jahres 1585 – auch musikalisch – reanimiert, an der aber Kurfürst und Erzbischof Jakob III. von Eltz nicht teilnehmen konnte, weil er da schon vier Jahre tot war. Doch was feine Lebensart bedeutet, wußte auch er, wie das andere Schluß-„Highlight“: das „Tafelschiff“ aus seinem Besitz, erkennen läßt. Dieses einzigartige Meisterwerk der Kölner Renaissance-Schmiedekunst diente als Weingefäß. Den guten Tropfen ließ man dem Bug entrinnen, auf dem ein Narr steht, der den Erzbischof vor der Sünde des Sichbesaufens warnte. Da dem Kirchenfürsten aber der Ruf nachgeht, ein untadeliges, sittsames Leben geführt zu haben, wird diese Mahnung wohl entweder überflüssig oder eben wirkungsvoll gewesen sein.

Überhaupt scheinen die Rheinländer damals in der Besorgnis gelebt zu haben, sich durch liederliches, den Geboten Gottes und/oder der Sittlichkeit zuwiderlaufendes Verhalten zum Narren zu machen. Zugleich relativierten sie aber das Gewicht dieser Besorgnis mit typisch rheinischer Nonchalance. Das sehen wir an Kat. Nr. 187, einem figürlich geschnitzten Handtuchhalter für „gehobene Wohnkultur“, der als Umschlagsabbildung (s.u.) auch den parallel zur Ausstellung erschienenen Tagungsband „Städte, Höfe und Kulturtransfer“ aus dem Verlag Schnell & Steiner schmückt: Ein Mann kann seine Hände nicht bei sich behalten und umarmt in eindeutiger Absicht eine als verheiratet identifizierbare Frau, die sich dem Tête-à-tête offensichtlich nicht verschließt. Der Mann, ein Narr! Und die ganze lüsterne Turtelei erwachsener Leute ist ein Possenspiel, zu dem drei weitere Narren die Musik spielen.

Der Aachener Kunsthistoriker Andreas Gormans widmet in seinem Tagungsbeitrag diesem sinnigen Kunstwerk des Kalkarer Bildschnitzers Arnt van Tricht einige hinreißende, hochgescheite Seiten über Liebe, Lust und Narretei in Antike und rheinländischer Renaissance. So schreibt er: „Wenngleich Ehebruch und Triebhaftigkeit zwei ernsthafte Vergehen darstellten, so bediente der Handtuchhalter gleichwohl ein deutlich gewandeltes Narrenverständnis. Eine todernste Sache war er jedenfalls nicht; als ironische Selbstspiegelung belegt das Meisterwerk vielmehr, dass Laster und Liebe, Gelächter und Belehrung, Witz und Ironie thematisch eng beieinander lagen. Der Handtuchhalter Van Trichts forderte mithin dazu auf, mehr oder weniger betroffen nach dem versteckten Narren in sich selbst zu fahnden.“

War je die wissenschaftliche Betrachtung eines Handtuchhalters so aufklärerisch, so freundlich moralisierend? Ist weiterhin vorzugsweise dem Rheinländer das „Minimalprogramm der Humanität“ (Walter Benjamin) in die Wiege gelegt, demzufolge jeder Jeck anders ist? – „Jet jeck simmer all (Etwas jeck sind wir alle)“. Diese Erkenntnis wäre gewiß nicht die übelste, die man aus der Renaissance-Ausstellung des LVR-LandesMuseums Bonn mit nach Hause nehmen könnte.

Während der Tagungsband von Schnell & Steiner einige zentrale Aspekte des Ausstellungsthemas vertieft (z.B. Stadtansichten, Humanismus, Entdeckung antiker Monumente, Kunst- und Kulturaustausch, Druckmedien und Sozialstruktur), geht das vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz herausgegebene Kunststätten-Heft „Orte der Renaissance im Rheinland“ in die kulturräumlich-geographische Dimension, indem es siebzehn Orte mit mehr oder weniger bekannten Renaissance-Denkmälern in Text und Bild vorstellt. Wegen seines handlichen Formats eignet sich dieses Heft ausgezeichnet als preiswertes Vademecum für eine Renaissance-Rheinreise auch in Städte wie etwa Jülich, Dierdorf oder Braubach, die sonst vielleicht nicht unbedingt ganz oben auf der Ausflugs-Wunschliste stehen.
 













Katalog:

LVR-LandesMuseum Bonn (Hg.)
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010
540 S., ca. 500 farbige Abb.
39,80 € im Buchhandel,
29,80 € in der Ausstellung
ISBN 978-3-7757-2707-5

Stephan Hoppe, Alexander Markschies, Norbert Nußbaum (Hg.):
Städte, Höfe und Kulturtransfer. Studien zur Renaissance am Rhein. 3. Sigurd Greven-Kolloquium zur
Renaissanceforschung
Schnell & Steiner, Regensburg 2010
324 S., zahlreiche, z.T. farbige Abb.
49,90 €
ISBN 978-3-7954-2387-2

Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz (Hg.):
Orte der Renaissance im Rheinland (= Rheinische Kunststätten Heft 525)
Köln 2010
63 S., ca. 50, zumeist farbige Abb.
5,00 €
ISBN 978-3-86526-057-4



 


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