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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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Ganz und gar nicht blöd! Seeßlen und Metz über Empörung im digitalen Kapitalismus
von
Peter V. Brinkemper In der Süddeutschen Zeitung fasst Johan Schloemann seine Kurzkritik zu dem Suhrkamp-Pamphlet bündig zusammen unter dem Titel: »Kultur: Selber blöd«, und spricht von einem »pubertären intellektualistischen Gegrantel«, »einem überlangen Leserbrief« und einer vertanen Chance durch die Autoren Seeßlen und Metz. Dabei könnte man zunächst einmal dem ersten Drittel des «Spektakel«-Bandes durchaus im Sinne einer niveauvollen kritischen Analyse zustimmen: Der heutige Kapitalismus erweist sich als total digitalisiertes und globalisiertes Dienstleistungsnetzwerk, in dem die alten Kategorien von Rohstoff, Verarbeitung, Arbeitsbegriff, Wertschöpfung, Gebrauchswert, Tauschwert, Mehrwert, greifbares Produkt, Lohn und Konsum als entsubstanzialisierte Variablen eines abstrakten Börsenspiels völlig auf den Kopf gestellt werden - zugunsten eines inflationären Ecotainments, das alle gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Bereiche durchdringt und einer wachsenden Nivellierung und Relativierung im Sinne der »Blödmaschinen«-Theorie aus dem gleichnamigen Suhrkamp-Vorgänger-Band Vorschub leistet. Was soll bitte an dieser Diagnose falsch sein? Natürlich kann man sich dagegen wehren, wie im reportageförmigen Mittelteil des Textes, die Welt als Wille und Vorstellung von Red Bull und dem postmortalen Steve Jobs zu sehen, aus der Perspektive eines unternehmensinternen angebissenen Apfels, der seine Markenpolitik über den gesamten Planeten ziehen will, so dass selbst iGoogle 2013 in die Knie gehen soll. Und man kann auch den Effekt der Interessenszentrierung, Zielgruppenorientierung, Entwirklichung, Desinformation und politischen Willensschwächung im Zeitalter des Web 2.0 immer noch im ernsten Ton als schmerzliche Entfremdung statt als allseits fröhlich selbst vollzogene Verblödung darstellen, unter dem Zwang einer nicht mehr klassenförmig verortbaren Ideologie, als universale Infotainment-Lauge eines ungebremsten Casino-Kapitalismus im Sinne des unverhohlenden Mitt-Romney-Stils. Aber zeigt sich nicht hier gerade das Recht von Seeßlen und Metz, auf einen komödiantischen Ton zu setzen, weil die Tragik, angesichts aller sinnlosen Tode und Opfer, ganz und gar nicht erschöpft ist, sondern gerade in der vorgetäuschten Fröhlichkeit als neuem Oberflächen-Opium liegt? Heute muss ein Präsidenten-Hund eben einen halben Tag frei bellend auf einem Autodach aushalten können, wenn schon sein Herrchen nicht einen Halbsatz richtig hinkriegt. Immerhin ist sich auch die Süddeutsche nicht zu schade, Romney dauerhaft agenturgesteuert und infotainmentlike zu dissen. Aber vielleicht haben Seeßlen und Metz in »Kapitalismus als Spektakel«, das in vielen Passagen an Fritz Haugs »Kritik der Warenästhetik« (1971) und Guy Debords »Gesellschaft des Spektakels« (1973) erinnert, zu stammtischhaft, zu anschaulich, zu plastisch daherphilosophiert, so dass man dieses Skript geradezu als Anleitung in den »Baumarkt« stellen könnte. Gegen diese Art von fröhlicher Yabadu-Philosophie in Verbindung mit offensichtlich simplem Nachrichten-Recycling opponiert der SZ-Feuilletonist Schloemann puristisch auf heftigste, als ob hier ein Dammbruch einer transgressiven Underdog-Stilistik erreicht wäre, - um über die weinerliche Occupy-Zelt-Romantik hinaus - vielleicht bald konkret die PS-Stärke eines OffRoadFullSizePickUps anzugeben, bei der sich volle Geldautomaten relativ reibungslos aus den angezeigten bösen Banken herausreißen und elegant an einem Fallschirm befestigt wegschleifen ließen, falls man nicht gleich einen direkten Draht zur Druckerei der EZB hat.
Wiederum
anders fällt die Handbuch-Anlage des umfangreicheren Bandes
»Bürger
erhebt euch!« aus. Hier grenzen Seeßlen und Metz in ihren besten Passagen, vor
allem im Schlussteil, recht seriös, politisch und verfassungsrechtlich korrekt
den für viele europäische, auch deutsche Bürger typisch romantischen Impuls zur
(imaginären) Revolution und zum Umsturz ein. Gegen die neuste zynische
Finanz-Spekulations-Bourgeoisie setzen sie auf die Wiederkehr und Stärkung des
Citoyen, auf aktiv-intellektuellen Protest, Widerstand und zivilen Ungehorsam
eines nicht ausschließlich egostischen, sondern solidarischen, urbanen und
weitblickenden Staatsbürgers, Europäers und Weltbürgers, um dem derzeitigen
brachial um sich greifenden Neoliberalismus einen wirklichen und wirksamen
Einhalt im ganz alltäglichen Alltag zu gebieten, der möglichst gewaltfrei und
maximal demokratisch und verfassungskonform wäre. |
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