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»Dummheit
ist nicht meine Stärke«
»Monsieur
Teste«,
Paul
Valérys »Dämon der Möglichkeiten«
ist
einer der Schlüsseltexte in der Literatur des 20.Jahrhunderts.
Von Bernd Leukert
Kein Wunder,
dass Thomas Bernhard, den die französische Literatur sonst gar nicht
interessierte, das Buch immer wieder kaufen musste, weil er es immer wieder
zerlas.
Es geht ein säulenheiliger Anspruch von diesen beschreibend-reflektierenden
Texten aus, der auf ein paradoxes Ziel hinausläuft: Monsieur Teste ist
unmöglich. Seine Art, sich und die Welt zu analysieren, ist eine Art zu sterben.
Es ist »Der fremde Blick auf die Dinge, der Blick eines Menschen, der nicht
versteht, der außerhalb dieser Welt steht, Auge an der Grenze zwischen Sein
und Nichtsein – es ist der des Denkers.«
Im
Jahre 1895 beschließt in Montpellier der 24jährige
Paul Valéry, wohnhaft in dem Haus, in
dem August Comte knappe hundert Jahre zuvor geboren wurde, sich über sich selbst
Klarheit zu verschaffen. Ganz in cartesianischer Tradition beginnt er mit einem
gedanklichen Selbstreinigungsprozess: »Ich war von dem akuten Leiden Präzision
befallen. Ich drängte zum Äußersten der sinnlosen Begierde nach Verstehen, und
ich suchte in mir die entscheidenden Punkte meiner Fähigkeit der
Aufmerksamkeit.« Geradezu spüren will er die Anstrengung des Cogito,
deshalb lehnt er Fähigkeiten ab, die ihm über Begabung oder Talent in den Schoss
fallen. Der Clarté opfert er nahezu alles, was er kennt: »Ich verwies
nicht allein die Literatur, sondern überdies fast die ganze Philosophie zu den
Vagen Dingen und den Unreinen Dingen, denen ich mich mit ganzen Herzen
versagte.« Kurz, er erfindet sich nach seinem Ebenbilde eine Kunstfigur, die er
Monsieur Teste
nennt, eine intellektuelle Gliederpuppe, die »nichts anderes als der Dämon der
Möglichkeiten selbst« ist. Der Autor beschreibt in der Ich-Form seine Figur,
indem er sie mit Eigenschaften ausstattet, die sie von anderen Menschen
unterscheiden, und, letztlich, die sie vom Menschen unterscheiden; Monsieur
Teste wird aber auch briefweise von seiner Frau Émilie charakterisiert, die mit
großer Klugheit ihre Schlichtheit betont und ihren liebesunfähigen Mann als
rätselhaftes Wunder begreift: »Er ist streng wie ein Engel, werter Herr.«; in
Briefen, fragmentarischen Dialogen und Porträts oder einem mit merkwürdigen
Gebeten gefüllten Logbuch wird er der Selbststilisierung preisgegeben: »Ich
missachte eure Ideen, um sie in aller Klarheit zu betrachten, fast als wertloses
Ornament der meinigen; …«. Doch nicht alles kommt mit dem Hochmut der Poètes
maudits daher, Die ‚Textsorten’ wechseln; und im kurzen »Spaziergang mit
Monsieur Teste«, wo der Autor weniger von seiner philosophischen Figur und mehr
von sich selbst berichtet, wird Valéry ausgesprochen belletristisch: »Wir nehmen
das köstliche Treiben in uns auf. Unsere Augen trinken das gefleckte Licht, wie
es auf jedes zufällig gestreifte Gesicht ein Lächeln legt, über die Stirn jeder
Frau huscht, die sich zwischen den schmalen Wagen und den anderen Geschehnissen
flink hindurchwindet. Eine bleiche Straße, zarte Schattenklippe mit samtweichen
Balkonen, schwebt, abschüssig hier, an einem leicht lichtflirrenden Himmel; und
vor uns sind, versunken im reinen, unauslotbaren Boden, dem Licht entsteigt,
Passanten aufgetaucht, gleichen uns und strömen in der Sonne auseinander.«
Dieses über die Jahre mit Passagen aus den Cahiers angereicherte,
dennoch schmale Konvolut, das unter dem Titel »Monsieur Teste« als einer der
Schlüsseltexte in der Literatur des 20.Jahrhunderts erkannt wurde, ist neu in
der Bibliothek Suhrkamp herausgekommen. Der Text ‚folgt’ nicht nur der Fassung,
die im Band 1 der Frankfurter Werkausgabe im Inselverlag 1992 veröffentlich
wurde. Er ist mit ihr identisch.
Übernahme des Artikels mit freundlicher Genehmigung von
Faust-Kultur.
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Paul Valéry
Monsieur Teste
Aus dem Französischen von
Max Rychner, Achim Russer und Bernd Schwibs
Mit einem Nachwort von
Bernhard Böschenstein
Bibliothek Suhrkamp 3009
96 Seiten
11,00 Euro
Leseprobe
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