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Foto: Uwe Dettmar /
SV Mit seinem antiutopistischen Roman »Die Abschaffung der Arten« gewährt Dietmar Dath dem verstörten Leser seiner Vision einen faszinierenden Blick in den düster sprudelnden Märchenbrunnen der Zukunft Es ging schon ein Raunen durch den feuilletonistischen Blätterwald, als die Jury die verbleibenden sechs Kandidaten für den Deutschen Buchpreises benannte. Erfolgsromane wie Martin Walsers »Ein liebender Mann«, Feridun Zaimoglus »Liebesbrand«, Marcel Beyers »Kaltenburg« oder Uwe Timm’s »Halbschatten« blieben auf der Strecke. Besonders einer der verbliebenen sechs Romane, entzog sich den typischen Kategorien der Literaturkritik: Dietmar Daths »Die Abschaffung der Arten«. Ein schwieriger, sperriger Roman über eine nahezu menschenlose Zukunft. Umso deutlicher war das Aufatmen der Kritiker und Feuilletonisten zu hören, als Uwe Tellkamp mit seinem Dresdener Gesellschafts- und Wenderoman »Der Turm« der diesjährigen Buchpreis zugesprochen wurde – durchaus zu Recht. Denn im Gegensatz zu Tellkamps immer noch sehr gegenwärtigen Sujets scheint Daths Materie auf den ersten Blick dieser Welt entrückt – eo ipso ist dem natürlich auch so, aber eben nicht ausschließlich. Warum sollte ausgerechnet ein Roman solche Lorbeeren erhalten, der sich einer flüssigen Lektüre geradezu widersetzt? Nun, eine Antwort auf diese Frage haben die wenigsten gefunden. Nachstehend folgt ein weiterer Versuch:
»Die Abschaffung der
Arten« ist eine von der ersten bis zur letzten Zeile hin durchkomponierte
Anti-Utopie, die bei aller Faszination aber wahrscheinlich nur ihr Autor selbst
in all den Feinheiten nachvollziehen kann. Diese finstere Zukunftsvision ist
unbequem, widerspenstig und verrückt – alles andere als angenehme Literatur und
dies gleich in mehreren Dimensionen. Dath lässt auf den mehr als 500 Seiten ein
sprachliches Feuerwerk abbrennen, an dem sich ganze Jahrgänge von Linguisten,
Historikern, Naturwissenschaftlern und Zukunftsforschern die Zähne ausbeißen
könnten. Natur- und kulturwissenschaftliche Fachtermini gehen in freien
Wortkreationen – latinisiert, gräzisiert, universalisiert – auf, so dass die
Grenze zwischen Wahrheit und Fantasie auf eine Weise verwischt, die selbst der
kundige Leser kaum zu erkennen vermag. Einzig die Kälte der technisierten
Langage macht die Grenze zwischen dem Jetzt und Daths Schreckensszenario
deutlich. Wie viele Jahrhunderte oder Jahrtausende sich zwischen der Gegenwart des Lesers, im Roman als »Zeitalter der Langeweile« bezeichnet, und dem Zeitalter der »Gente« befinden, in dem der Roman seinen Ausgang nimmt, lässt sich nicht sagen. Fraglich ist vielmehr, ob dies überhaupt die richtige Kategorie ist, mit deren Hilfe man an diesen Roman herantreten sollte. Wohl eher nicht. Welche Kategorien stattdessen passend sind, ist schwer zu sagen. Wer weiß schon, welche Klassifizierungen in einem zeiträumlichen (N-)Irgendwo in einer x-beliebigen Dimension eine Rolle spielen!? Dennoch der Versuch, an dieser Stelle zunächst die grobe Handlung der Dath’schen Fiktion zu beschreiben: Die Gente – molekulargenetisch manipulierte, »amorphisierte« Nachfahren irdischer Lebewesen in Tiergestalt – regieren seit der »Befreiung« die Erde. Menschen existieren nur noch vereinzelt als wilde Horden in den Urwäldern oder dienen den Gente als domestizierte Sexsklaven in »umgekehrt sodomistischen Verhältnissen« - eine Art Kollateralschaden in der »besseren« Gentegesellschaft. Diese Zivilisation lebt in drei kontinentalen Stadtgesellschaften, deren Namen Landers, Kapseits und Borbruck schon aus anderen Dath-Werken bekannt sind. Der Fortschritt der Technisierung und Wissenschaft läuft jedoch aus dem Ruder und die keramikanische Zivilisation – eine technogenetische Fortentwicklung aus Gente und Maschine – vernichtet unter der Führung des unspezifischen Wesens Katahomenleandraleal die Gentezivilisation. Deren armselige Überreste fliehen sich in einer Art »Arche Noah«-Projekt auf den Mars und die Venus und versuchen, die dortigen Lebensbedingungen an ihre Notwendigkeiten anzupassen – die Zeit des Terraforming. Der Kampf um Lebensraum bzw. um Relevanz durch bloße Existenz, in dem der Mensch schon lange keine Hauptrolle mehr spielt, setzt sich in den kosmischen Dimensionen fort und führt die letzten Gente-Nachkommen schlussendlich auf die Erde bzw. das, was von ihr übrig ist, zurück.
Ob hier Existenz
tatsächlich als physisch-anatomisch aufgefasst werden muss, bleibt bis zum
Schluss unklar, ebenso wie man sich die »pherinfonische Kommunikation« – den
über das olfaktive System ablaufenden unmittelbaren und grenzenlosen Austausch
der Gente durch Duftstoffe – vorstellen soll. Und dies sind nur zwei Beispiele
der bleibenden Unklarheit.
»Die Abschaffung der
Arten« ist die düstere Vision einer selbstverschuldeten, menschenleeren Zukunft,
an deren Anfang der Wunsch nach ewiger Existenz und an deren Ende die Apokalypse
steht. Es ist eine Mahnung gegen die Technisierung und Maschinisierung des
Lebens, gegen den schöpferischen Wahnsinn der Molekurlargenetik, deren Resultate
ungewiss sind und sich vielleicht eines Tages gegen die Menschheit wenden. Wenn
denn erst das Zeitalter der Stärkeren und Widerstandsfähigeren begonnen hat. Für
Dath ist klar, wer dann die Macht übernehmen wird: Es sind die Maschinen. Wer
diesen soziohistorischen Gedanken auf den Grund gehen will, sollte sich Daths
kleinen, ebenfalls im Suhrkamp-Verlag erschienenen Band »Maschinenwinter –
Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift« zur Hand nehmen, der sich
nachgerade wie ein soziotheoretischer Begleitband zu Daths dystopischen Roman
liest. »Was kommt nach dem Menschen« fragt er darin provokant, um gleich danach
zu behaupten, dass dies nur eine »humane transzendierende maschinelle Existenz«
sein könne. Vielleicht sei diese Existenz auch bionischer oder pharmakologischer
Natur, aber »das Ereignis müsse etwas Technisches sein«, heißt es dort. Dies
allein reichte eigentlich schon aus, um selbst dem zivilisationskritischen Leser
Schauer über den Rücken zu jagen. Doch liest man in diesem klugen wie
streitbaren Bändchen weiter, stößt man auf die wirkliche Katastrophe, die
Dietmar Dath mit »Der Abschaffung der Arten« in aller Konsequenz zu Ende denkt:
»Wir leben, wie wir leben, nur, weil es Maschinen gibt, aber wir leben
gleichzeitig so, als könnten wir dem, was sie tun, keine Richtung geben.« Der
totale Kontrollverlust des Menschen über die Konsequenzen des eigenen Tuns wäre
die natürliche Folge. Der technische Fortschritt also als ethische Frage, denn
wer sagt, dass der menschlichen Zivilisation eines Tages nicht die maschinellen
oder molekulargenetischen Prozesse tatsächlich aus dem Ruder laufen? Zwar ist
die Vorstellung maschineller Intelligenz noch fern, doch wenn das menschliche
Denkvermögen maschinisiert werden kann, ist die Schaffung maschineller
Erkenntnis nicht undenkbar. Optimisten könnten nun behaupten, dass dies nur die kulturpessimistischen Gedanken eines radikalen links-konservativen Denkers seien. Doch ganz so einfach ist dies nicht: Denn selbst für den bestmöglichen Fall, dass das Spiel mit den arteigenen biologischen Eigenschaften und den scheinbar Leben erleichternden technischen Errungenschaften nicht außer Kontrolle gerät und ein sorgenfreies, ewiges Leben ermöglicht, stellt sich doch die Frage, was ein solches infinites Dasein wert ist, in dem der technische Fortschritt die menschliche Existenz zunehmend delegitimiert? Worin besteht dann die Berechtigung menschlichen Seins, wenn Maschinen Maschinen steuern und dem Menschen die Arbeit abnehmen? In der finalen Kontrolle der Supramaschinen? Kehrt sich hier die der Fortschritt gegen seinen Erfinder. Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen und zunehmender Prozessautomatisierung in der Produktion kann man dies nicht mehr so ganz verneinen. Und inwiefern erhält sich die Menschheit ein Bewusstsein ihrer Existenz, wenn sie nichts mehr von dem kennt, das ihre Geschichtsbücher füllt? Wenn es keine Zeugen gelebter Kulturhistorie mehr gibt, weil der Generationenbegriff aufgrund der Unendlichkeit des Seins obsolet geworden ist? Welche Relevanz hat Kultur noch, wenn sie nur noch historisch-lexikalischer Ballast ist und nichts mehr mit menschheitsgeschichtlicher Verankerung oder Distanzierung gemein hat? Die Äonisierung des menschlichen Lebens als Vorspiel zur Dekultivierung und Entzivilisierung? Nun, die Optimisten müssen erst gefunden werden, die auf diese Fragen passende Antworten finden. Dath bemüht jedoch auch ganz gegenwärtige Probleme und Fragen, auf die er die Nachfolgegeneration zurückblicken lässt. Die Zukunftsvision der Dystopie als Gesellschaftskritik der Gegenwart – ein bekanntes Mittel in der Geschichte der Sozialutopie und folgerichtig für den politischen Literaten Dath. Er steht damit in der klassischen Tradition der utopistischen Literatur, angefangen bei den Positivisten Platon (Politeia), Thomas Morus (Utopia) oder Tommaso Campanella (Civitas Solis) bis hin zu den pessimistischen Zukunftsvisionären George Orwell (1984) Aldous Huxley (Schöne neue Welt) oder Jewgeni Samjatin (Wir). Daths Nihilisierung aller raumzeitlichen Kategorien schafft den »Nicht-Ort«, dieses »Nirgendwo«, in dem die genannten Utopisten ihre Visionen angesiedelt haben. An diese angelehnt ist auch die Entkopplung der Sexualität in »Die Abschaffung der Arten« von der gegenwärtigen gesellschaftlichen Realität. Rein sprachlich steht diese Anti-Zukunft mit ihren sonderbaren und außergewöhnlichen Wortgenesen dem Orwell’schen Neusprech-Experiment am nächsten und will so auch auf der artikulatorischen Ebene eine Neuzeit als Unzeit schaffen. Ein Verharren in den heutigen Sprachmustern hätte das Wesen des Romans in atavistischer Manier untergraben. In diesem Verständnis ist Dietmar Daths Zukunftsroman bei aller Verwirrung ein ebenso genialer wie verstörender literarischer Wurf. Er ist einfallsreich, wagemutig und konsequent. Dath verzichtete zugunsten der erzählerischen Stringenz auf das Verständnis seiner Leser – und auch seiner Kritiker. »Die Abschaffung der Arten“ geht weit über den status quo des weithin bekannten Weltwissens hinaus, spielt mit Möglichkeiten und spinnt sie faszinierend-verwirrend kongenial weiter. Dath macht sich mit diesem Roman einmal mehr zum Grenzgänger par excellence, wandelnd zwischen Wahrheit und Dichtung, Klamauk und Realität, Wissenschaft und Kunst.
Bei
allem Durcheinander ist Daths politische Sicht hinter den Dingen eine höchst
faszinierende. Friedrich Nietzsches Zarathustra in dem Mund gelegte Aussage,
dass man noch Chaos in sich haben müsse,
»um
einen tanzenden Stern gebären zu können«,
schwebt auch über Daths Roman. Denn selbst wenn
»Die
Abschaffung der Arten«
in seiner intellektuellen Arroganz und Kaltblütigkeit verschrecken mag, ist es
doch beruhigend zu wissen, dass es noch Autoren gibt, die über das Hier und
Jetzt hinausgehen und in scharfer Kritik gegen die sie umgebenden Umstände
anschreiben.
»Die
Abschaffung der Arten«
hätte daher trotz aller Schwächen und Unzulänglichkeiten ebenso gut den
Deutschen Buchpreis erhalten können, es wäre sogar die mutigere Entscheidung
gewesen. Nun wird Daths Roman – möglicherweise kaum gelesen und verkannt –
leider in den hinteren Regalfächern der Buchhandlungen landen. Seine Lektüre
hätte aber eine gesellschaftliche Debatte anstoßen können, die die
Maschinisierung des Alltags im Namen der Effektivität und maximalen
Gewinnbringung rechtzeitig hinterfragen könnte. Es ist zu hoffen, dass diese
auch ohne den Buchpreis für Daths biopolitischen Anti-Gesellschaftsentwurf
geführt wird. Eine Diskussion nach der Katastrophe, wie sie jetzt über das noch
kürzlich angeblich unumstößliche neoliberale Modell des Finanzkapitalismus
geführt wird, könnte in diesem Fall zu spät sein. Daths Roman zeichnet davon ein
eindrückliches Bild.
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Dietmar Dath |
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