Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik |
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Foto: Uwe Dettmar /
SV Mike Oldfield verschmolz Anfang der 1970er Jahre verschiedene Stile zwischen Rock, Ethno und Klassik zu einer sinfonischen Band von rund 20 Instrumenten, die er allesamt selber spielte und auf Tonspuren zu einem Klangerlebnis bündelte. Eine Art medial und architektonisch auskonstruierter Narzissmus, der in Wahrheit, wie die Tragik des Narziss selbst, die Liebe in das Andere seines Spiegelbildes ist, ein Exorzismus der Spektralität, der imaginären Befindlichkeit einer mikrostrukturell wiederholbar unendlich gemusterten Wohlfühltapete, mit und gegen sich selbst in eine musikalische Zeitreise zu geraten, die klanggesättigt in die kulturellen Sonnenuntergänge jener psychedelischen Auslauf-Zeit hinausführte. Kein Wunder, wenn es weiter hinten in letzten Aufzeichnungen von Daths Opus heißt, dass es um Musik gehen könnte, »mit der man durch die Zeit reisen oder durch den Raum springen kann« (Gruß an London), eine Art »defensives Waffensystem« (Gruß an Washington) oder auch »Liebesweihefestspiel« (Gruß an Bayreuth...). Dergleichen schnell nachvollziehbare und dabei im Kontext immer wieder neu verschweißte Kulturzitate reißen den Anspruch in gewaltige Höhen. Und hierin liegt auch der Widerspruch: Daths recht spekulativer Roman hat im Feintakt der erzählerischen und dialogischen Einzelabschnitte eine perkussive Wucht, die in der schnellen poetischen Kombination von Bedeutungen, der synthetischen Collagierung zahlloser Codes und Umchiffrierung von Namen und Klassifikationen liegt und seinem zitierten musikalischen Ideal Jannis Xenakis nachkommt. Pop-Literatur ist hier ein formalistisch auskonstruiertes Oberflächenphänomen, hart an der Grenze der Lesbarkeit, als digitaler-Eso-Pop. Eine Esoterik freilich im Sinne der rastlosen permanenten Kompilations-Verarbeitung, nicht immer der glaubhaften kontinuierlichen Komposition einer empfundenen epischen Weite. Und so bleibt der Leser, fürs erste, verwirrt, durch Einfalls-Overkill, Sprach-Flirren und Handlungs-Action, wenigstens, was den Gesamtsinn wie die Einzelbedeutungszusammenhänge betrifft. Das miniaturistische Feuerwerk untergräbt die angedeutete große viersätzige Form. Das Sonaten- und Sinfonie-Schema bleibt ein Klischee. Eher stochastische Mannheimer Raketen als Wiener Klassik.
Es ergibt sich das Panorama
einer posthumen und posthumanen Epoche, um den Aufstand und Bürger-Krieg der
animalischen Lebewesen untereinander, jener »Gente«,
die sich jenseits der alten Behäbigkeit von Genreszenen im Sinne der
LaFontaineschen Fabeln und im Ausbruch aus Michael Crichtons elektrisch
eingezäumtem »Jurassic
Park«
zu einem globalen Parcours ansetzen, intelligent angetrieben und verbunden über
das Geruchs-Nachrichtennetz des Pherinfosystems. Unterlegt mit philosophischem
und einzelwissenschaftlichem Internet-Hypothesen-Patchwork werden die Tiere in
ihren individuellen und gattungstypischen Ausprägungen zu Verkörperungen von
kollektiven Schwarm-Prozessen, die im kreativen Wettbewerb den Prozess des
evolutionären Wandels behindern oder anfeuern und die alten Klischees von Mensch
und Tier, Weibchen und Männchen, Kultur und Natur, Intelligenz und Dummheit
postdarwinistisch auf den Kopf oder die Füße stellen.
Daths harter biopolitischer Anarchismus und sein
antihumanistischer illusionslos-satirischer Ton ziehen stellenweise aus der
aktuellen Cross-Over-Debatte von Genforschung und Darwinismus den derzeit
plausiblen und in allen feinen und groben ‚Nuancen’ ausgekosteten Schluss, dass
sich das vernünftige Ethos der Narration in actiongeladene Neozoologie, und
diese sich in Netz-Poesie auflöst. Die oberflächlich geordnet erscheinende
Taxonomie der Arten aufgrund bestimmter Formmerkmale stellt ein falsifizierbares
Design in lauter wimmelnden Foren dar; gleiches gilt von der phylogenetischen
Zuordnung aufgrund der in geschlechtlicher Fortpflanzung rekombinierten Genome.
Die Realität wird dargestellt als furchtbar fruchtbar, zeugungswütig und
tötungsbereit in einem; aber auch als beliebig zerlegbar und neu
zusammensetzbar. Die rhythmische Härte der Comic-Erzählung entsteht durch
sorgfältige und sinnfällige Komposition gleichzeitig zuschlagender Faktoren. Die
fast täglich auftauchenden Paniknachrichten von unbekannten Arten und Subspecies
im Regenwald und in den Tiefen der verschmutzten Ozeane plädieren gleichfalls
darauf, dass die alte Linnésche Ordnung im feinbeschilderten Garten der Natur
durch den Filter des umweltfeindlichen Verhaltens der Raubtiergattung Mensch
sich konstituiert hat. Nach dem abrupt eingetretenen Ende dieser brutalen
anti-ökologischen ‚Nachhaltigkeit’ ist also überall ein karnevalesker Ausbruch
von zahllosen weiteren und durchaus widersprüchlichen Lebensformen und ihrer
wilden Vermengung, Vertilgung und Veränderung auf diesem Planeten zu erwarten.
Die Natur ist ihr eigenes Labor, ein Hexenkessel der unterschiedlichsten, immer
wieder neu durchmischbaren oder auch voneinander trennbaren Sorten, ein
Sommernachtsalbtraum und ein heidnischer Sodomismus zwischen Mensch und Tier,
der die patriarchalische Ordnung des übersichtlich angepflanzten Samens des
»Menschenmännchen“
in einer klassischen botanischen Plantage in den Wildwuchs eines im Artenraum
umherirrenden Befruchtungswüstenstaubes mit phylogenetisch absurdesten
Verästelungen und Verwirrungen in der Entartungsdüne verwandelt. Solche
Überlegungen sind nur das Vorspiel zu noch weiteren pro-dionysischen
Ausführungen, (»Zagreus«
lässt grüßen), in denen sich der erzählerische und argumentative Diskurs Daths
über das Vexierspiel der Arten und Exemplare zwischen äußerster Künstlichkeit
und kreatürlicher Vitalität, gattungsbezogener Repräsentativität und
indifferenter Selbstbezüglichkeit, deterministischer Intellektualität und
intentionsloser Zufälligkeit, eindeutigerer Adaption und multifunktionaler
Ambiguität in immer neuen poetisch-spekulativen Spiralen entfaltet. Dath lässt
die Gene und ihre Ingredienzien kleine abrupte Melodien von der auch
biopolitisch umstrittenen Zukunft pfeifen. Eine produktive Zumutung, die ehrlich
nur als Langzeit-Leseerlebnis denkerisch und ästhetisch vollends aufgeknackt
werden kann. Schlagt den Brehm zu. Mit der Gemütlichkeit der Tiere ist es bei
Dath vorbei. Der Leser erhält so ein zyklopisches Insektenauge, mit dessen
Facetten er seine Umwelt und das mögliche Morgen misstrauisch und kaum mehr
artgerecht durchmustern wird. Peter V.
Brinkemper |
Dietmar Dath |
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