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Die
Vorbereitung der Rezension
zur Vorbereitung des Romans
»Das Schreiben ist ein ewiger Selbstbetrug, denn immer will man fertig werden,
um dann sofort wieder mit dieser quälenden Kondition des Unfertigen und des
erneut einsetzenden Nervenkriegs gegenüber den Zumutungen des Werks zu
beginnen.«
Goedart Palm über Roland Barthes Vorlesungen
am
Collège de France 1978-1980
»Die Vorbereitung des Romans«
Wie
soll ich nur anfangen? Vorrede, Vorspiel, Vorwort. Gewiss: Hinter dem Horizont
geht es vermutlich weiter, aber zuerst müssen horror vacui, Antriebslosigkeit
und Banalisierungslüste überwunden werden. Schreibhaltungen, wie wir sie großen
Autoren unterstellen, werden in unserer Click-and-find-Logik instantaner
Darstellungen immer unplausibler. Die mehr oder minder wilden Sprünge der
You-Tube-Generation durch den eigenen kulturellen Ramschladen bescheren keine
literarischen Geländegewinne. Wenn schon diese Lebenswelten so formlos sind und
zum digitalen Patchwork verkümmern, wie soll dann die Hoffnung begründet werden,
dass sich Schreiblüste noch zu einem großen Roman, einem unsterblichen Epos oder
einem Gedicht von erhabener Verbindlichkeit vervollkommnen?
Die Verfertigung der Gedanken beim Schwadronieren ist ungleich einfacher als
diese Prozedur beim Schreiben, zumal mit digitalen Schreibprogrammen, die nun
endlose Korrekturen, Repetitionen, Versionen eröffnen, ohne dass es noch legitim
erscheint, zum Schluss zu kommen. Wie entstanden weiland große Werke? Roland
Barthes schreibt in seinem letzten Werk solchen Schreibhaltungen nach: »Die
Vorbereitung des Romans« handelt zuvörderst von der existenziellen Paradoxie des
Schriftstellers, einerseits zum bedingungslosen Schreiben getrieben zu sein und
andererseits mit großer Angst davor zurückzuschrecken. Obsession, Begehren und
Angst treiben den Schriftsteller zu mitunter unglaublichen Veranstaltungen und
Vorkehrungen, die unwahrscheinliche Produktion gegen alle Widerstände möglich zu
machen, mit einem Wort: der Schriftsteller setzt sein Leben daran respektive
verschenkt es, wenn er nur produktiv im emphatischen Sinne werden kann. Die
fundamentale Unruhe des zum Schreiben Verurteilten ruft nach der Methode. Wo
schreibe ich? Mit welchem Material? Welchen Gesetzen gehorcht die Proxemie des
Schreibtischs? Friedrich Nietzsche wurde hier zum Spätberufenen dieser
diätetischen, ergo-nomischen Fragen, die etwa durch Wanderungen gelöst wurden,
die seine Schrift unleserlich machten, aber den begehrten »Flash« bescherten.
Anderen Schreibhaltungen misstraute der Professor in Sils Maria. Selbst die
Tischdecke auf seinem Schreibtisch musste bestimmten Farben und Mustern folgen,
um seinen permanenten Kopfschmerz zu lindern.
Wie werde ich also der, der ich sein könnte, muss auch und gerade im Blick auf
scheinbar triviale Umstände beantwortet werden? So wie Pelikan den perfekten
Schulfüller für folgsame Kinderhände entwirft, braucht es auch später komplexe
Konditionen des Geräts, der Haltung, der Räume etc., wenn der geniale Schreibakt
gelingen soll. Diese Produktionsbedingungen umtreiben viele Autoren im Sog des
Schreibens und Schreibenwollens und sind oft als Erklärung für individuelles
Scheitern geeignet. Man kann bekanntlich Bleistifte »tot« spitzen, was eine
schöne Metapher für das Elend der Präliminarien ist. Roland Barthes wollte nicht
nur spitzen, sondern einen veritablen Roman schreiben, es blieb jedoch bei der
Vorbereitung, genauer gesagt: bei einer Vorlesungsreihe am Collège de France.
Oder ist die Vorbereitung gerade das, was wirklich wichtig ist? Jeder Künstler,
nicht nur der Schriftsteller, kennt dieses Problem, abstrakt schaffen zu wollen,
aber nicht zum konkreten Werk zu gelangen. Schreiben ja, aber Figuren und Dramen
entwickeln, wenn der Modus des Schreibens »an und für sich« so erhaben und
unbefleckt vom Schicksal ist. Die Wege sind so verschieden wie unwegsam (de
periculis contingentibus) gebaut, dass Roland Barthes viele Vorbereitungen
trifft, um die »Vorbereitungen« zu beschreiben. Dieser Schriftsteller schreibt
in einem Rausch, einige Stunden später sind ewige Werke fertig, jener schreibt
sich die »Finger wund«, ohne dass die fertige Textgestalt je erscheinen will.
Kafka schrieb das »Urteil« in einigen nächtlichen Stunden vom 22. zum 23.
September 1912, die als euphorischer Zustand erfahren werden und vielleicht als
Geburtsstunde eines Schriftgottes gelten können. Diese divine Berufung musste
indes dem Beruf abgerungen werden. Das Büro raubt dir die Lebenszeit und man
kann dieses Elend, für das Überleben zu arbeiten, allenfalls dadurch ein wenig
kompensieren, dass man aus Rache noch besser schreibt. Für Franz Kafka ist der
Kampf gegen die Fremdbestimmung und zu Gunsten seines Werks ähnlich wie das, was
wir heute »waterboarding« nennen: »…es handelt sich nur darum, solange es geht,
den Kopf hoch zu halten, dass ich nicht ertrinke.« Musil schrieb und schrieb und
schrieb, was immerhin die Paradoxie milderte, die Roland Barthes markiert: Das
Schreiben ist ein ewiger Selbstbetrug, denn immer will man fertig werden, um
dann sofort wieder mit dieser quälenden Kondition des Unfertigen und des erneut
einsetzenden Nervenkriegs gegenüber den Zumutungen des Werks zu beginnen.
Lässt sich aus den zahlreichen Vorkehrungen des Schreibens und aus den
Erfahrungshorizonten bedeutender Schriftsteller auf das Werk schließen oder
demonstriert sich in diesen Untersuchungen nur die persönliche Schwäche Roland
Barthes, den angekündigten Roman nicht schreiben zu können und dann doch
»nur«
über Werkbedingungen zu sprechen? Die
»Vorbereitung«
des nie geschriebenen Romans ist jedenfalls auch eine autobiografische Arbeit,
in der sich Barthes immer wieder neben
»seine«
Autoren stellt, allen voran Marcel Proust, dessen Existenz- und
Schreibbedingungen er detailliert analysiert. Marcel Proust ist für ihn der
paradigmatische Autor, weil die
»Recherche«
selbst einen gleichsam materialistischen Zugang zu den Bedingungen der
Erinnerung schildert. Bei Proust steht die Genese literarischer Produktionen so
stark im Zentrum, dass – wenigstens hier – die spezifischen Veranstaltungen des
Schreibens Aufschluss über dieses epochale Werk geben könnten. Barthes liest
diesen Roman folglich auch als eine genetische Theorie des Schreibens. Prousts
Existenz wird als Schnittstellenereignis von Text und Leben beschrieben: Nur der
völlige Rückzug auf das schreibende Selbst bei völliger Offenheit der
Wahrnehmung garantiert die Produktivität. Roland Barthes hat wohl darauf
gehofft, vom mimetischen Leser zum kreativen Autor eines Romans werden zu
können. Den Hiatus will er überspringen, indem er als Leser schreibt und als
Autor liest. Barthes´ Problem war indes nicht lösbar, weil der Schriftsteller
einen Text schreibt, ohne dass das Wissen um die Entstehungsbedingungen den Text
je erklären könnte. Es ist ähnlich wie bei den unabgeschlossenen Debatten der
analytischen Philosophievarianten zum
»Mentalismus«.
Leicht verliert man sich in den Untiefen einer Philosophie, die den
Geist-Körper-Gegensatz transzendieren will, um dann wieder auf Qualitäten zu
stoßen, deren materielles oder physiologisches Pendant sich (gegenwärtig) der
Erfassung entzieht. In einem ähnlichen Begründungsdilemma steckt Barthes,
solange er Existenzbedingungen von Schriftstellern beschreibt, die teilweise
idiosynkratisch bis kontingent erscheinen und zum anderen Teil hin unterbestimmt
sind, wenn es um die letztgültige Erklärung des Werks geht. Sollte die Erklärung
des Werks nicht ohnehin eine uneinlösbare Anmaßung der Exegeten sein? Barthes
muss scheitern, weil etwa die zahlreichen Fotografien der Proust´schen
Szenarien, die er abbilden lässt, nicht der Text selbst sind. Ina Hartwig von
der Frankfurter Rundschau notiert dazu:
»Unter
Einbeziehung Lacanscher Begriffe, damals intellektuelles Allgemeingut, verkündet
Roland Barthes: »Die
PHOTOGRAPHIE - und darin liegt, glaube ich, die Originalität, die Neuheit
unseres Seminars - lässt den TRAUM, das IMAGINÄRE (bei) der Lektüre, auf das
REALE treffen««
Das Reale bei Lacan ist aber nicht das Reale, das im veristischen Charakter von
Fotografien liegt. Das Reale im Sinne Lacans ist nicht die Realität der
Fotografie, sondern bezieht sich auf das Unfassbare, auf eine nicht auf den
Begriff zu treibende Sphäre, die also auch im Traum und somit in der Imagination
liegen kann. Insofern muss man bei Barthes´ Kategorienverwendung vorsichtig
sein, weil er – und das zeitlebens – nicht kanonisch sein wollte, sondern auch
das semilogische Wissen und dessen durchaus bizarre Begrifflichkeiten immer
wieder gegen den universitären Strich bürstete.
Wenn wir die
»Vorbereitung
des Romans«
als das Dilemma der semiologischen Methode selbst nehmen, können wir auch in
dieser Annäherung an den schriftstellerischen Produktionsprozess erkennen, dass
wir immer nur auf Zeichen von etwas stoßen, nicht aber auf dieses
»Etwas«
selbst. Dabei geht es nicht darum, das
»Ding
an sich«
oder das »Genie«
transzendental wiederzubeleben, sondern wir müssten auf Beschreibungen stoßen,
die nicht in dem semiologischen Verweisungsdreieck verschwinden. Annäherungen,
Umkreisungen, Berührungen des begehrten Objekts erklärt uns die Semiologie, aber
längst nicht die kreativen Akte selbst, selbst nicht Roland Barthes, so
empfindsam und erfindungsreich er als Herr im pluralen Reich seiner Zeichen auch
ist. Seine »Vorbereitung«
ist die Geschichte eines relativen Scheiterns, weil der Leser viel über die
Konditionen der Literatur erfährt und auch das Scheitern nur eine Frage der
Perspektive ist, aber eine Wahrheit sich als Fazit der finalen Vorbereitung
aufdrängt: Ein Roman ist ein Roman ist ein Roman... Goedart Palm
|
Roland Barthes
Die Vorbereitung des Romans
Suhrkamp Verlag
Taschenbuch
550 Seiten
18,00 EUR
ISBN-10 351812529X
ISBN-13 9783518125298
Ausgabe in pdf-Format
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