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Konstanze Berner Um es vorwegzunehmen. Alle Leser, die aus Gewohnheit oder Neugier gern zuerst die letzten Seiten eines Romans lesen, um dann auf Seite eins zu beginnen, sollten die Hände von dem neuen Boyle-Roman lassen. Für jeden „normalen“ Leser ist „Die Frauen“ von Thomas Coraghessan (T.C.) Boyle wie eine unerbittliche Treibjagd, an deren Ende den Leser ein Massaker erwartet, das seinesgleichen sucht. Cormac McCarthy oder Joseph Conrad hätten es nicht brutaler erfinden können. Boyle’s neuestem Geniestreich liegt einmal mehr das Leben einer amerikanischen Lichtgestalt als Romanvorlage zugrunde. Schon seine Romane „Willkommen in Wellville“ (1993) und „Dr. Sex“ (2005) drehten sich um das Leben zweier amerikanischer Symbolfiguren; im ersten Fall um den Erfinder der Kellogs Cornflakes, John Harvey Kellogs und im zweiten Fall den berühmten amerikanischen Sexualforscher Dr. Alfred Charles Kinsey. „Die Frauen“ setzt diese Reihe der Porträts von überlebensgroßen US-Gestalten nun fort. Kellogs und Kinsey, beides höchst narzisstische Persönlichkeiten, die Ihre Schatten auf die nachwelt warfen und ihre unmittelbare Umwelt mit ihren Allmachtsphantasien geradezu terrorisierten. Ebendies trifft auch auf den berühmten Stararchitekten und Ökopionier, Frauenhelden und Chauvinisten, Egomanen und Exzentriker Frank Lloyd Wright zu. Ist Boyle’s neuer Roman also der Abschluss einer heimlichen Trilogie über amerikanische Verführer (er nennt sie Egomaniacs) oder ein weiterer seiner geschichtsträchtigen Romane, zu denen man unzweifelhaft auch „Riven Rock“ (1998) und seinen Debüt-Roman „Wassermusik“ (1987) zählen kann? Es stimmt wohl beides. Boyle rekapituliert in seinem neuen Buch „Die Frauen“ das Leben Wrights anhand seiner vier Frauen. Catherine (Kitty), Mamah, Miriam und Olgivanna waren die vier Auserwählten des eigensinnigen Architekten, eine exotischer als die andere. Sie alle dienten ihm auf ihre Weise der Bewältigung des eigenen Lebens. Mamah bedeutete die Befreiung aus der Engstirnigkeit und Gewöhnlichkeit des Alltags mit Kitty. Miriam half ihm aus dem Dunkel, in das ihn der Verlust von Mamah gerissen hatte. Und seine Beziehung mit Olgivanna entsprach der Rückkehr in eine Normalität abseits der drogendurchrauschten Realität, in die Miriam sein Leben zog. Vorerst soll hier der Versuch gestartet werden, den komplexen Aufbau von „Die Frauen“ zu skizzieren. Zunächst sei angemerkt, dass Boyle erzählen lässt und damit ähnlich wie Scott Fitzgerald in „Der große Gatsby“ vorgeht. Boyle’s Nick Carraway ist der fiktive Wright-Schüler Tadashi Sato, dessen Sammlung eigener und fremder Erinnerungen der Leser mit „Die Frauen“ in der Hand hält. Aus dem japanischen übertragen hat das Werk der nicht minder fiktive Schwiegersohn O’Flaherty (ein irischstämmiger amerikanischer Schriftsteller), der dem Werk auch noch seinen eigenen Stempel verpasst hat. Die Realität des Buches, in dem der Leser blättert, wird also zum Teil der romanesken Fiktion, die uns zugleich permanent zwingt, zu fragen, was nun Tadashis und was O’Flahertys Anteil an dieser erzählten Biografie ist. Tadashi hat Wright den Romanangaben zufolge erst 1932 kennen gelernt, als er als Stipendiat auf dessen heiligen Landsitz Taliesin gelangte. Zu diesem Zeitpunkt lebte Wright schon knapp acht Jahre mit Olgivanna zusammen und hatte mit ihr bereits zwei Kinder. Die Ex-Frauen Miriam, Mamah, Kitty lernte er nie kennen, so dass Tadashis Erzählung hauptsächlich auf Mythen und Erzählungen rund um Frank Lloyd Wright fußt. Boyle stellt so eine geschickte Analogie zur realen Mythisierung der amerikanischen Ikonen und Persönlichkeiten her, die in einer Erzählung aus seiner Perspektive nicht möglich wäre. „Ich will meine eigene Bedeutung nicht hochspielen – ich war eine Zeitlang ein Rädchen in seinem Getriebe, ein Rädchen von vielen und nicht mehr. Doch ich kannte ihn, und ich kannte jene, die ihn schon gekannt hatten, als ich noch ein kleiner Junge in kurzen Hosen gewesen war“ weist Tadashi den Leser vorsichtig auf sein Halbwissen hin. Tadashis Rückschau beruht insbesondere auf den Erlebnissen und Perspektiven der vier Frauen Wrights. „Die Frauen“ ist daher ein Buch über einen realen Architekten aus der Feder eines fiktiven Architektenschülers anhand der Erinnerungen und Kommentierungen von Wrights vier Frauen. Dies verspricht auch mehr Spannung, als das Buch eines Schülers über seinen Lehrer. Der Clou von „Die Frauen“ ist die besondere inhärente Architektur des Romans. Tadashi schreibt sich rückwärts der Ausgangskatastrophe entgegen. Mehr als fünfhundert Seiten lauert dieser Showdown, der als Auftakt alles verderben würde, im Untergrund des Romans auf seinen Auftritt und kommt dann stürmischer und fulminanter, als sein unterschwelliges Zittern vermuten ließ. Ausgangspunkt aller Handlungsstränge ist stets Wrights Wohn- und Arbeitsstätte Taliesin in Wisconsin. Hier lebte und arbeitete der Stararchitekt zusammen mit seinen Schülern und Freunden und hier spielen sich die großen und kleinen Tragödien seines außerordentlichen Lebens ab. Dabei erinnert die in sich geschlossene Welt Taliesins an die geradezu utopischen Modelle des Zusammenlebens, die schon in Boyle’s Romanen „Drop City“ oder „Dr. Sex“ eine zentrale Rolle spielten. Die zwanzig Ehejahre mit Catherine in Chicago (bevor Wright Taliesin errichten ließ) und die sechs gemeinsamen Kinder spielen in Boyle’s Roman kaum eine Rolle. Auf unbeglichenen Rechnungen lässt er seine erste Frau sitzen und verschwindet mit seiner Geliebten Mamah Borthwick nach Europa. Hier, genauer gesagt in Italien, entwickelt er die Feinheiten seines Prärie-Haus-Stils, mit dem er der amerikanischen Architektur ein neues, ein ökologischeres Gesicht verlieh. Etwa 100 dieser Häuser stehen heute noch in den USA. T.C.Boyle lebt in einem solchen, von Wright entworfenen Prärie-Haus. Seit fünfzehn Jahren bewohnt der Althippie mit seiner Frau und seinen drei Kindern das 1909 erbaute Stewart-Haus im kalifornischen Santa Barbara, Ortsteil Montecito. Ein Gebäude, das sich seiner Umgebung eher anpasst, als sie zu dominieren. Nach einem Besuch des New Yorker Guggenheim-Museums, für dessen Bau Wright 1943 den Zuschlag erhielt, stieß Boyles Frau auf die Anzeige für das Haus. Sie wollte unbedingt einziehen – Boyle hatte keine Wahl. Doch es sind nicht die Prärie-Häuser, die Wright zur amerikanischen Ikone und zu einem der weltweit gefragtesten Architekten gemacht haben. Es sind von ihm entworfene Jahrhundertbauwerke wie das Guggenheim-Museum in New York oder das Imperial-Hotel in Tokio, die Fallingwater-Villa in Pennsylvania oder das Rosenbaum-Haus in Alabama, die ihn ebenso unsterblich wie von sich eingenommen machten. In einem Fernsehinterview sah sich Wright einmal dazu veranlasst, in der ihm eigenen „Bescheidenheit“ seine Bedeutung in der Architekturwelt zu formulieren: „Und wenn man mir auch vorwirft, dass ich mich als größten Architekten der Welt bezeichne, ich finde es nicht wirklich arrogant." Was soll man dem noch hinzufügen. Vielleicht dass mit Wright als Geschäftsmann nur schwer umzugehen war. Er ließ seine Auftraggeber auflaufen, beanspruchte Vorschüsse, ohne jemals eine Leistung zu erbringen, ging kaum auf die Wünsche seiner Geldgeber ein, konnte nur selten einen Termin halten, bezahlte Handwerkerrechnungen nicht. Seine Angestellten behandelte er wie Sklaven und verlangte zugleich absolute Loyalität. Doch ebenso wie er unzuverlässig und herrisch war, war er auch ein Genius und Guru in seinem Metier. Ein blendender Könner und könnender Blender, der scheinbar erst dann zur Höchstform auflaufen konnte, wenn ihm das Wasser bis zum Hals stand. In Tadashis Erzählung werden die zahlreichen Rosen- und Stellvertreterkriege, die Wright nebenher zu bewältigen hatte, in epischer Breite und allen Feinheiten beschrieben. Zunächst die peinliche Medienhetze, als er mit seiner Geliebten Mamah nach Europa flieht und die verlassene Catherine diesen unmoralischen Akt für sich zu inszenieren weiß. Der Aufsehen erregende Rückzug mit Mamah nach Taliesin. Der Skandal des blutigen Endes diese Liebschaft. Das Versteckspiel mit Miriam, die zwar offiziell als Haushälterin in Taliesin einzieht, deren libidinöse Qualitäten aber schon bald die Medien herausfordern. Und zuletzt Miriams Rachefeldzug gegen den Sittenmolch Frank Lloyd Wright, in dem sie ihm die Behörden auf den Leib schickt und zur Flucht aus Taliesin drängt. Daneben drängeln noch die zahlreichen Gläubiger an seiner Tür, plagen ihn die Sorgen seines Haushaltspersonals u.v.m. All dies ließ Wright offensichtlich kalt, es prallte an ihm ab, sobald er am Zeichentisch stand und über seinen Entwürfen brütete. Boyle treibt den Bildersturz amerikanischer Lichtgestalten damit weiter voran und leistet so einen kleinen Beitrag zur Auflösung der amerikanischen Legende vom Gutmenschentum. Der inzwischen 60-jährige Boyle ist einer der schärfsten Kritiker des american way of life, dessen Abgründe er in seinem bedrückenden Roman „América“ deutlich gemacht hat. In seinem neuen Buch beweist T.C.Boyle einmal mehr sein Talent, Charaktere zu zeichnen. Mit scheinbar beiläufigen und zuweilen in Fußnoten gepackten Informationen fügt er sorgsam und bedacht ein Puzzleteil an das nächste. Derart entsteht kein zwanghaft zusammengefügtes Bild der Hauptperson Wright, sondern ein tiefenpsychologisches Panorama, dessen Einzelheiten er für uns freilegt. Die vielen Nebendarsteller stellt Boyle indirekt vor, indem er sie erzählen lässt. Denn nichts entlarvt Menschen mehr, als die eigene Zunge. Tadashis japanische Bescheidenheit und Meisterverehrung, Kittys inszenierte Tränendrüsenempörung, Mamahs intellektuelle Diskussionen um die Selbstbefreiung der Frau, Miriams nahezu hasserfüllte Besessenheit und Olgivannas wissende Zurückhaltung – all dies geht allein aus der Art und Weise hervor, wie diese Personen vom Leben und Wirken Frank Lloyd Wrights erzählen. Anstelle einer trockenen Wright-Biografie hält der Leser hier einen erfrischenden semibiografischen Roman in der Hand, der todernst und hoch amüsant zugleich ist. Boyle legt offen, was in den Menschen vorgeht, was sie bewegt und antreibt und dringt damit in das zutiefst Menschliche vor. Boyle macht sich in „Die Frauen“ auch die Verklemmtheit und Prüderie, der aufgesetzten Korrektheit und Akkuratesse des puritanischen amerikanischen Alltags der zwanziger Jahre zu nutze, einer Zeit, in der in Europa die goldenen Zwanziger toben. Der Roman spielt in einer Zeit, in der das Verlassen der Familie undenkbar und das Scheitern einer Ehe schlicht nicht möglich sein darf. Es ist gleichbedeutend mit dem „Verlust von Moral und Religion“. Jede neue Liebe trägt damit den Preis der Verachtung und Verfolgung mit sich. Doch trotz all der Skandale und Skandälchen um ihn herum – Truman Capote hätte seine liebe Freude an Boyles neuem Roman – ließ sich Wright niemals unterkriegen. Wie ein Stehaufmännchen. Kaum am Boden, steht er schon wieder trotzig im Sturm der Gezeiten. Doch vielleicht ist das nur ein Anschein. Vom Ende her betrachtet – das ja eigentlich ein Anfang ist – könnte man auch vermuten, dass Wrights Leben nach dem Verlust seiner großen Liebe nur noch ein Warten auf die eigene Erlösung ist. In der Zeit des Wartens ist alles andere nur noch ein schlechter Kompromiss, ein schnödes, zeckgemäßes Zugeständnis zugunsten der eigenen Erträglichkeit des Lebens, genaue dessen Ausprägung von der sexuellen Obsession Wrights bestimmt wird. In dieser Deutung ist Taliesin nicht der freiwillig gewählte Lebensmittelpunkt des Architekten Wright, sondern das Beinhaus, in das ihn die Erinnerung zwingt. Nimmt man das Buch nach der ersten Lektüre ein zweites Mal zur Hand, stellen sich in diesem Licht ganz andere Interpretationen ein. Die Empörung, die Wrights Leben während der ersten Lektüre hervorruft, wird im Wissen um das grausame Ende des Romans vom Verständnis des Lesers für einen im tiefsten Inneren zerstörten Mann abgelöst. „Eine Strafe? Das war es, was auch die Presse schrieb, was die Philister und Moralapostel sagten, und für einen langen, schmerzhaften Augenblick sah er, wie unrecht er gehabt hatte, wie grausam und egoistisch er gewesen war. Es hatte ihn nach Mamah gelüstet. Er hatte alles zerstört. […] Er wollte es leugnen, wollte es Schicksal nennen, Pech, irgendwas, doch die Worte wollten nicht kommen.“
Boyle’s Anliegen ist es, in die ikonisch aufgeblasenen Verführertypen Nadeln zu
stecken, ihre menschliche Seite offen zu legen und damit der blinden Verehrung
ein Ende zu machen. Mit wie viel Hingabe T.C.Boyle dieser Absicht nachgeht,
beweist er in „Die Frauen“ eindrucksvoll. Wrights Verhalten ist Boyle zufolge
der Preis für das Künstlerdasein. Je heller das Rampenlicht, umso schärfer
müssen die Schatten sein, die der Bestrahlte wirft. Denn wenn man Großes schafft
ist kein Platz mehr für menschliche Gefühle, so Boyle. Sind Lichtgestalten also
automatisch diktatorisch veranlagt? Ist es entschuldbar, ein Tyrann zu sein,
wenn man großartige Kunst schafft? Boyle will dies nicht unbedingt bestätigen,
doch hat er zumindest Verständnis für das künstlerische Bedürfnis, die Welt
beherrschen zu wollen, denn auch er sei „der Gott“ seines Universums. Als
solcher hat er seinen nächsten Erzählband („Wild Child“) schon fertig in der
Schublade liegen und auch der darauf folgende Roman („When the Killing’s done“)
ist schon zu zwei Dritteln geschrieben. Der Gott namens T.C.Boyle baut also
fleißig weiter an seinem Universum. Boyle sei Dank! |
T. C. Boyle
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