Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik |
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Kleine
Schätze
Es gibt meistens gute
Gründe, warum Schriftsteller Manuskripte jahrzehntelang nicht oder sogar niemals
veröffentlichen. Sie hegen beispielsweise Rücksichten, weil es um Personen geht,
die sie nicht diskreditieren wollen. Oder sie halten ihren Stil plötzlich nicht
mehr für adäquat. Vielleicht reizt sie das Thema nicht mehr, welches ihrer
Erzählung zugrunde liegen sollte. Manchmal vergessen sie auch nur, dass da noch
ein Manuskript im Schreibtisch liegt.
Die zweite, kürzere bisher
unveröffentlichte Erzählung »Montefal – eine avanture« (verfasst im Sommer 1922)
bietet eine weitere Interpretation, warum sie vom Autor nicht publiziert wurde:
Sie wurde als eine Art »Vorfassung« des »Ritter-Romans« »Das letzte Abenteuer«,
der 1936 niedergeschrieben und 1953 erschien. Brinkmann zückt auch hier die
autobiografische Karte (die bei Doderer naturgemäss auch später in den großen
Roman immer wieder eine Rolle spielen wird) und erkennt eine resignative
Lebenshaltung der Hauptfigur, des Ritters Ruy de Fanez, die er transformiert auf
Doderers Zustand. Ruy begegnet dem Drachen, tötet ihn aber nicht, sondern schlägt ihm nur ein Horn ab. Am Hofe wird er gefeiert und als zukünftiger Gemahl der Herzogin angesehen, obwohl der Drachen nicht getötet wurde. Mit sparsamen Mitteln aber schon gross aufblitzender Erzählkunst erzählt Doderer auf wenigen Seiten diese sich merkwürdig distanziert entwickelnde Beziehung zwischen Ruy und Lidoine. Die Angst vor Sesshaftigkeit von Ruy siegt letztlich über die Zuneigung zu Lidoine. Und als schließlich ein Neuankömmling (ein Deutscher!) am Hof auftaucht der tatsächlich den Drachen getötet haben will, und sich schnell als neuer Herr aufspielt, ritt [Ruy] eines Tages allein von dannen; selbst die Sprache in den Augen der Herzogin, als er den Abschied nahm, verstand er nun nicht mehr: ihr Mund aber blieb von Schmerz und Stolz versiegelt aber auch jetzt wird er nicht froh, denn [w]ie es denn geht, wenn Einer nach langem Schwanken das eine oder andere Teil freiwillig oder genötigt erwählt hat: sogleicht erscheinen ihm nur die Nachteile des erwählten Weges, den Vorteil aber sieht er ganz auf der anderen Seite... Ruy muß ohne seinen Knappen auskommen, der in einem höfischen Turnier tödlich verletzt wurde. Er streift durch den Wald, begegnet erneut dem Drachen, der wider Erwarten noch immer lebt und tötet ihn mit Todesschweiß aus den Gliedern hervortretend endgültig. Am Ende erschrickt er über sein schlohweiße[s] Haar, lag noch etliche Tage in der Schenke auf einem Ruhebette und dachte an vieles bevor er in einen Haufen wilder Gesellen zu Pferde mit gezückten Schwertern hineinreitet. Sehr anschaulich erläutert Martin Brinkmann den Unterschied zwischen der frühen Erzählung und dem »Letzten Abenteuer«, in dem sich beispielsweise die »Sympathiewerte … zu Ungunsten der Herzogin Lidoine verschieben« und, so Brinkmanns Übernahme der Deutung von Martin Mosebach, der Drachen »eher der Freund als der Feind des Ritters« zeige, weil er als »Prototyp des Antizivilisatorischen« gedeutet wird. Ein kleines, aber feines Büchlein; nicht nur für »Heimitisten«. Gregor Keuschnig Die kursiv gedruckten Passage sind Zitate aus den beiden Erzählungen von Heimito von Doderer; die Bemerkungen von Martin Brinkmann im Nachwort sind in Anführungszeichen gesetzt. Hier können Sie den Beitrag kommentieren: Begleitschreiben
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Heimito von Doderer |
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