Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik


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Die menschliche Komödie
als work in progress


Zum 5-jährigen Bestehen ist
ein großformatiger Broschurband
in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren
mit 176 Seiten erschienen, die es in sich haben.

 

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Ulrich Breth über die Metamorphosen des großen Rätselhaften mit 7 Songs aus der Tube

Glanz&Elend - Die Zeitschrift
Zum 5-jährigen Bestehen ist ein großformatiger Broschurband in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren mit 176 Seiten, die es in sich haben:

Die menschliche Komödie als work in progress

»Diese mühselige Arbeit an den Zügen des Menschlichen«
Zu diesem Thema haben wir Texte von Honoré de Balzac, Hannah Arendt, Fernando Pessoa, Nicolás Gómez Dávila, Stephane Mallarmé, Gert Neumann, Wassili Grossman, Dieter Leisegang, Peter Brook, Uve Schmidt, Erich Mühsam u.a., gesammelt und mit den besten Essays und Artikeln unserer Internet-Ausgabe ergänzt. Inhalt als PDF-Datei
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Seitwert
 

Rekonstruktion

Stefan Möller über Raymond Federmans Geschichte seiner Kindheit


Der Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenalter gestaltet sich bei den meisten Menschen fließend. Raymond Federmans Kindheit endet abrupt am 16. Juli 1942 gegen 5:30 Uhr.
An diesem Tag, zu dieser Zeit verhaftete die französische Polizei die Familie des damals 14jährigen Raymond. Sein Vater, seine Mutter und die beiden Schwestern sieht er nie wieder, die jüdische Familie wird deportiert, später in Auschwitz ermordet. Pssst! (Chut!) ist das letzte Wort, dass er von seiner Mutter hört. Jahre später begreift Federman, was seine Mutter mit diesem Pssst! sagen wollte.
Wenn du nichts sagst. Wenn du ruhig bleibst. Still. Pssst! Dann wirst du überleben.
Viele von Federmans Werken drehen sich um die eine, zentrale Frage – Warum ich? Ja, warum nicht meine Schwester Sarah?
Viel hat er geschrieben über die Katastrophe, viel über die Zeit nach dem 16. Juli 1942. Fast nichts schrieb er über seine Kindheit, an die ihm die Erinnerungen fehlten.

Mit Pssst! Geschichte einer Kindheit erobert sich der Autor die Erinnerung an seine Kindheit zurück. Oder ist es doch Fiktion?
Alles, was ich euch sage, ist also erfunden, nur Rekonstruktion. Ich konstruiere meine Kindheit aus Wortblöcken.
Aufgewachsen in einer Ein-Zimmer-Wohnung, sein Vater erfolgloser Künstler, Spieler, Trotzkist und Schürzenjäger. Die Mutter Maguerite putzt anderer Menschen Wohnung, wenig attraktiv, die Nase schief, leidet unter den Eskapaden ihres Mannes. Seine beiden Schwestern, Sarah und Jaqueline, schlafen auf einem Klappbett in der Küche, Raymond schläft mit seinen Eltern im einzigen Zimmer, durch einen Vorhang abgetrennt. Die Verhältnisse sind ärmlich, ganz anders als bei den wohlhabenden Geschwistern der Mutter. Sein Vater entsprach sicher nicht dem Idealbild eines Vaters und der Autor idealisiert ihn auch nicht in rückblickender Verklärung. Aber er setzt einem Mann und dessen Träumen, bevor er sich mit 37 Jahren zu einem Stück Seife verarbeiten ließ, ein literarisches Denkmal. 

Pssst! Geschichte einer Kindheit ist nicht nur die Geschichte einer Kindheit, es ist eine Abrechnung mit Federmans Familie. Am 16./17. Juli 1942 wurden 12.884 jüdische Bürger während der Grande Rafle in Paris verhaftet. Es traf vor allem die armen Juden. Die, die von ihrer Familie im Stich gelassen wurden, wie meine Eltern. Alle sieben Geschwister der Mutter überleben, brachten sich vorher in Sicherheit, weil sie die finanziellen Mittel dazu hatten. Maguerite wurde von ihrer Schwester Marie angeboten, mit den Kindern, aber ohne den Vater zu flüchten, als Antwort spuckte sie Marie ins Gesicht. Raymond wird Zeuge dieser Szene, sie prägt sein weiteres Leben.
Als Raymond nach der Befreiung zurück in die Wohnung der Familie kam, fand er dort außer einer versteckten Schachtel mit Bildern nichts mehr vor. Die bürgerliche Wohnung seiner Tante Marie und ihres Mannes Leon, wohlhabend und Besitzer des Hauses, in dem die Familie Federman lebte, hingegen war unversehrt. Sie hatten Geld, jemanden zu bezahlen, der darauf aufpasste.
Einzelne Erinnerungsfetzen fügen sich zu einem Bild, dass unvollständig bleibt. Der Text ist voller Abschweifungen, Bockspungprosa.
Die Form ergibt sich aus der Notwendigkeit der Improvisation, bedingt durch fehlende Erinnerungen und Abwesenheit derer, die diese Lücken füllen könnten.

Abschweifungen sind aber auch stilistisches Element in Federmans Prosawerk, er schreibt dazu: Ich hab es schon soundso oft gesagt, die Chronologie hält mich auf, und von Logik verstehe ich nichts. So springt er von Szene zu Szene, von Einflechtung zu Einflechtung. Mitten in einem Erzählstrang taucht die Erinnerung an etwas anderes auf, Federman unterbricht, um später wieder zum ursprünglich Erzählten zurückzukehren. Nach einem Viertel des Buches zwingt er sich, alle noch zu erzählenden Szenen aufzuzählen, 31 Punkte umfasst diese Liste, manche Szenen werden gleich in der Liste erzählt, anderen mehr Platz eingeräumt. Manche Szenen sind nicht zeitspezifisch, diese bleiben aber Ausnahme. Erzählt wird Prägendes, weggelassen wird das, was sich in jeder beliebigen Kindheit abspielt. Voller Querverweise zu anderen Werken Federmans fungiert Pssst! vielleicht als gemeinsame Schnittstelle der Familienthematik.

Über allem schwebt der Schatten des Wissens darüber, wie die Familiengeschichte endet. Der Tonfall ist ernst, selten schleicht sich kindliche Freude ein. Pssst. Die Geschichte einer Kindheit bewegt sich aber nicht einen Schritt über den Abgrund der Sentimentalität, wie ihn Federman an einer Stelle nennt, das Buch bleibt durchweg auf der Höhe literarischer Kunstfertigkeit.
Parallel zur eigentlichen Erzählung führt der Mensch Raymond Federman einen Dialog mit dem Autor Raymond Federman. Es entsteht eine zweite Textebene, die Arbeitsprotokoll, Leitfaden und innere Auseinandersetzung zugleich ist. Ohne dass der Leser explizit darauf hingewiesen wird, verdeutlichen die Dialoge, dass Federman die Kunst der Komik beherrscht. Das Alter Ego des Autors poltert los, ruft ihn zur Ordnung, bringt ihn wieder auf die Strecke und lenkt die Handlung. In der Einführung wird Federman unterbrochen, Federman, hör auf, uns zu erzählen, dass du uns deine Kindheit erzählen wirst, und erzähle. Die Ankündigung eines Gedichts wird kommentiert Federman, hau uns bloß nicht wieder deine Gedichte mitten in die Geschichten, wie du es in deinen anderen Büchern gemacht hast. Jedesmal, wenn einer deiner Leser auf so ein in den Text gestopftes gedicht stößt, überspringt er es, da bin  ich sicher.

Es sind diesen kleinen inneren Dispute, die den Text erschließen, die Absicht des Autors verdeutlichen. Und die Pssst! zu einem einzigartigen Leserlebnis machen. Dieses Pssst war das erste Wort des Buches, von dem meine Mutter wusste, dass ich es eines Tages schreiben würde. Über sechzig Jahre hat es bis zum Schreiben gedauert, aber Federman hat aus diesem Wort Literatur gemacht. Und was für welche! Stefan Möller

Pssst! Geschichte einer Kindheit wurde Andrea Spingler aus dem Französischen übertragen. Das Buch wurde von der Stiftung Buchkunst unter die schönsten Bücher 2008 gewählt.
 

Raymond Federman
Pssst!
Geschichte einer Kindheit
Aus dem Französischen von Andrea Spingler
Weidle Verlag
204 Seiten, Abb.
Fadenheftung, Festeinband
€ 23 - SFr 39,60
ISBN: 978-3-938803-10-3


 


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