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»Träume, die echter sind als die Wirklichkeit«

Gregor Keuschnig über Barbara Gresslehners Erzählungen »Der Geruch der Stille«

Wie kurzweilig und quälend, wie ausufernd und aufputschend, wie fremd und aufwühlend können doch knapp einhundertvierzig Seiten mit einundzwanzig Erzählungen sein. Natürlich gibt es berührende und kitschige, großartige und schematische, gute und weniger gute. Immer erzählt eine Frau oder es wird aus der Sicht einer Frau erzählt; meistens in der Ich-Form. Aber es wandelt sich im Laufe des Buches etwas Grundsätzliches. Nicht nur der zunächst lakonische, ja fast coole Ton. Die Erzählung vom herunterfallenden, auf das Straßenpflaster niederknallende Klavier ist lustig, die Rede an den imaginären Fötus im Mutterleib düster und die Erzählung der selbsterfüllten Mord-Prophezeiung skurril und sie treibt einem den ersten Schauer über den Rücken, aber das war nicht alles. Schon am Anfang heißt es fast programmatisch: Es ist immer noch alles viel grauer, als es sein sollte.

Unmerklich gerät der Leser in diesen Strudel. Es ist kein Roman und dann gibt es doch plötzlich diese Klammer. Dieses gemeinsame Thema. Die Hörigkeit. Die Protagonistinnen können nicht anders. Sie geben sich als Dienerin, Sklavin, Serva hin. Sie erleben das alles nicht, es erlebt sie. Es sind keine Gewaltphantasien mehr, es ist Gewalt. Es sind Träume, die echter sind als die Wirklichkeit.
Erstaunlich, wie diskret das Bizarre erzählt wird; nie vulgär oder obszön. Der Leser wird auch nicht zum Zeugen oder Voyeur degradiert. Durch dieses Taktgefühl gelingt es Barbara Gresslehner, die Innen-, die Seelenwelt der Figuren besonders hervorzuholen und auszubreiten. Ihre Lust, ihre Verzweiflung. Ihr Streben nach Ausbruch – und ihre Besessenheit, die dies verhindert. Es sind Aufzeichnungen von Niederlagen. Niederlagen, von denen man jede Sekunde, jeden Augenblick fühlt und bevor man wirklich unterliegt, hat man schon viele Male verloren. Und man spürt, dass hier jemand weiss, wovon er erzählt (die Betonung liegt auf "erzählt").
Eine Figur heisst "O" (ein Name mit einem gewissen Klang in der Szene) und man erfährt: Jede Strafe endet irgendwann; wenn sie sich wehrte, dauerte es nur länger. Irgendwann verschwand der Körper unter dem Schmerz, wurde durchsichtig; wie ein Schemen; danach hatte sie nicht mehr die Kraft, zu knien, den Rücken gerade zu halten, der Kopf zu schwer, alles zu schwer, um etwas anderes zu tun, als zu seinen Füßen zu liegen und zu spüren, wie er mit Blut und einem Finger Muster auf ihre[n] Rücken malte und später legte er sie in die Wanne, heiß auf der Haut und noch heißer in den Wunden, ein Fegefeuer… (Und ihr "Herr" ist lautmalerisch identisch mit einem Pseudonym auf einer durchaus schnell zu findenden, einschlägigen Webseite.)

In der besten Erzählung ("Homesick") findet sich die Ich-Erzählerin in einer Art Anstalt wieder. Ihre sexuell konnotierte Servilität darf nicht mit mangelndem Selbstbewusstsein verwechselt werden. Ich bin nicht krank, nein, das bin ich nicht. Warum sollte ich krank sein? Ich bin nur ich. Dass man nicht wie jedermann ist, heisst doch nicht, dass man krank ist. Sie erhält Besuch. Von Jan, dem lieben Kerl, der irgendwann entnervt die Türe knallt und nicht mehr wiederkommt. Er versteht sie nicht. Und da ist Tom, der Herrscher, der sich so gut mit ihrer Mutter verstand, aber ein Gewitter über mich hereinbrechen lassen konnte, die Blitzeinschläge blau und grün, und mich einen Tag darauf anschauen und es war alles gut und Tom schlägt nie die Tür hinter sich zu.
Unfassbar die Einblicke in diese Frau, diese schiere Verzweiflung, als Tom nicht mehr kommt: Er hat mich angesehen und gelächelt, er sagte, dass ich zu instabil sei, zu verletzbar, dass er eine Frau bräuchte, die stärker ist, die ihm in die Augen sehen kann. Ich habe nichts gesagt oder getan, ich senkte nur den Blick. Und seitdem lebe ich nicht mehr wirklich, ich bin nur noch blass und ganz am Rande hier, sogar meine Haut wird durchscheinend… Und was ist das jetzt? Eine veritable Depression? Oder Paranoia? Der Leser ist unschlüssig, ja: gespalten; fast geht es ihm (freilich auf einer anderen Ebene) wie der Protagonistin. 

Alle Beziehungen zwischen Sklavin und Herr in diesen Erzählungen sind oder waren gescheitert. Es sind Rekurse und Erinnerungen auf die Vergangenheit, (nicht abgeschickte) Briefe an den Verflossenen oder Selbstgeißelungen. In "Das Luftfenster" braucht es nur noch ein imaginäres Gegenüber: Edelstahl mit kunststoffüberzogenen Spitzen, deren Muster sich schon bald auf jeder beliebigen Stelle meines Körpers wiederfinden wird. Ich entscheide, wo. (sic!) Sorgfältig einstudierte Handgriffe, konzentriert und mit Hingabe ausgeführt: Ich fasse etwas Haut an den Innenseiten meiner Oberschenkel zwischen Daumen und Zeigefinger, befestige auch daran Klemmen; sie schmerzen sofort dank der zusammengepressten Beine. Die Seiten meines Bauches sind ebenso empfindlich, blaue Flecken vom letzten Mal sind noch zu sehen. Wenn mein Körper sich zwischen Boden und Fesseln spannt, werden sie empfindlich schmerzen. Sie sind mein Eingang, meine Luftpforte. Und schließlich reicht ein Griff zur von der Decke baumelnden Kette um diese zu fassen und das Schloß um meine Handfesseln zu legen, es rastet ein, mit ihm die Zeitschaltuhr. Luftfensterzeit.  

Es gibt Momente in diesem Buch, in denen meisterlich zwischen der hörigen Fixierung auf eine Person und Residuen eines Selbstbehauptungswillens changiert wird und alles möglich erscheint. Dabei wird Gresslehner nie moralisch; es gibt keine Wertung, es gibt kein richtig und falsch. Ihre Figuren sind keine Außenstehenden, keine Betrachterinnen mit der Möglichkeit, jederzeit auszusteigen. Es handelt sich nicht um gelangweilte Mittelstandsgattinnen, die ihre "Grenzerfahrungen" machen möchten, um danach ins warme Wohnzimmer zurückkehren zu können. Gresslehners Figuren sind in der "Szene" eingetaucht, erkennen sich an einem bestimmten Ring, werfen sich geheimbündlerische Blicke zu. Und selbst wenn eine Figur, wie in "Incognito", in einem Café auf eine Internetbekanntschaft wartet und sich mit simulierten Zynismen die Zeit verkürzt, ist sie dennoch immer eine potentielle Serva.

Ist diese monothematische Massierung nicht ein Nachteil? Besteht nicht die Gefahr dass der Leser mit der Zeit abstumpft oder sich zum Selbstschutz den Mantel der Gleichgültigkeit überzieht? Und tatsächlich ahnt man gegen Ende manchmal zu schnell, worauf es hinausläuft. Dennoch gelingen eindrucksvolle, expressive, erschreckende und verstörende Passagen, in denen ein großes Talent aufblitzt und eine fast klaustrophobische Intensität erzeugt wird. Etwa wenn Stille zur Angst wird; zu wattige[n] Blätter[n]. Da muss man das Buch weglegen, kann nicht weiterlesen.
Aber auch das hält man nicht lange aus. Und dann nimmt man wieder die Lektüre auf. Seltsam, wie dann das Martyrium der Figuren eine Art Lektüre-Martyrium wird. Zugegeben, etwas Seltenes und fast unzumutbar Erscheinendes in einer Welt des sich zumeist selbstfeiernden Schickeria-Feuilletons, welches Bücher wie dieses mit der schlimmsten (und leider wirkungsvollsten) ihrer möglichen Reaktionen versieht: der Ignoranz. Sie überlassen die Entdeckungen lieber den wahren Lesern. Denn "viele Bücher, die ihre entscheidende literarische Prägung noch nicht empfangen haben, müssen erscheinen, um einen jungen Autor zu fördern und die Bahn frei zu machen für das nachfolgende reife Werk." (Samuel Fischer; zitiert gemäss "S. Fischer – Der Verleger" von Barbara Hoffmeister.)
Gregor Keuschnig

Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
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Barbara Gresslehner
Der Geruch der Stille
Erzählungen
Kulturmaschinen
ISBN: 978-3-940274-03-8
Euro 12,80


 


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