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»Träume, die echter sind
als die Wirklichkeit« Wie kurzweilig und quälend, wie ausufernd und aufputschend, wie fremd und aufwühlend können doch knapp einhundertvierzig Seiten mit einundzwanzig Erzählungen sein. Natürlich gibt es berührende und kitschige, großartige und schematische, gute und weniger gute. Immer erzählt eine Frau oder es wird aus der Sicht einer Frau erzählt; meistens in der Ich-Form. Aber es wandelt sich im Laufe des Buches etwas Grundsätzliches. Nicht nur der zunächst lakonische, ja fast coole Ton. Die Erzählung vom herunterfallenden, auf das Straßenpflaster niederknallende Klavier ist lustig, die Rede an den imaginären Fötus im Mutterleib düster und die Erzählung der selbsterfüllten Mord-Prophezeiung skurril und sie treibt einem den ersten Schauer über den Rücken, aber das war nicht alles. Schon am Anfang heißt es fast programmatisch: Es ist immer noch alles viel grauer, als es sein sollte.
Unmerklich gerät der Leser
in diesen Strudel. Es ist kein Roman und dann gibt es doch plötzlich diese
Klammer. Dieses gemeinsame Thema. Die Hörigkeit. Die Protagonistinnen können
nicht anders. Sie geben sich als Dienerin, Sklavin, Serva hin. Sie erleben das
alles nicht, es erlebt sie. Es sind keine Gewaltphantasien mehr, es ist Gewalt.
Es sind Träume, die echter sind als die Wirklichkeit.
In der besten Erzählung ("Homesick")
findet sich die Ich-Erzählerin in einer Art Anstalt wieder. Ihre sexuell
konnotierte Servilität darf nicht mit mangelndem Selbstbewusstsein verwechselt
werden. Ich bin nicht krank, nein, das bin ich nicht. Warum sollte ich krank
sein? Ich bin nur ich. Dass man nicht wie jedermann ist, heisst doch nicht, dass
man krank ist. Sie erhält Besuch. Von Jan, dem lieben Kerl, der
irgendwann entnervt die Türe knallt und nicht mehr wiederkommt. Er versteht sie
nicht. Und da ist Tom, der Herrscher, der sich so gut mit ihrer Mutter
verstand, aber ein Gewitter über mich hereinbrechen lassen konnte, die
Blitzeinschläge blau und grün, und mich einen Tag darauf anschauen und es war
alles gut und Tom schlägt nie die Tür hinter sich zu. Alle Beziehungen zwischen Sklavin und Herr in diesen Erzählungen sind oder waren gescheitert. Es sind Rekurse und Erinnerungen auf die Vergangenheit, (nicht abgeschickte) Briefe an den Verflossenen oder Selbstgeißelungen. In "Das Luftfenster" braucht es nur noch ein imaginäres Gegenüber: Edelstahl mit kunststoffüberzogenen Spitzen, deren Muster sich schon bald auf jeder beliebigen Stelle meines Körpers wiederfinden wird. Ich entscheide, wo. (sic!) Sorgfältig einstudierte Handgriffe, konzentriert und mit Hingabe ausgeführt: Ich fasse etwas Haut an den Innenseiten meiner Oberschenkel zwischen Daumen und Zeigefinger, befestige auch daran Klemmen; sie schmerzen sofort dank der zusammengepressten Beine. Die Seiten meines Bauches sind ebenso empfindlich, blaue Flecken vom letzten Mal sind noch zu sehen. Wenn mein Körper sich zwischen Boden und Fesseln spannt, werden sie empfindlich schmerzen. Sie sind mein Eingang, meine Luftpforte. Und schließlich reicht ein Griff zur von der Decke baumelnden Kette um diese zu fassen und das Schloß um meine Handfesseln zu legen, es rastet ein, mit ihm die Zeitschaltuhr. Luftfensterzeit. Es gibt Momente in diesem Buch, in denen meisterlich zwischen der hörigen Fixierung auf eine Person und Residuen eines Selbstbehauptungswillens changiert wird und alles möglich erscheint. Dabei wird Gresslehner nie moralisch; es gibt keine Wertung, es gibt kein richtig und falsch. Ihre Figuren sind keine Außenstehenden, keine Betrachterinnen mit der Möglichkeit, jederzeit auszusteigen. Es handelt sich nicht um gelangweilte Mittelstandsgattinnen, die ihre "Grenzerfahrungen" machen möchten, um danach ins warme Wohnzimmer zurückkehren zu können. Gresslehners Figuren sind in der "Szene" eingetaucht, erkennen sich an einem bestimmten Ring, werfen sich geheimbündlerische Blicke zu. Und selbst wenn eine Figur, wie in "Incognito", in einem Café auf eine Internetbekanntschaft wartet und sich mit simulierten Zynismen die Zeit verkürzt, ist sie dennoch immer eine potentielle Serva.
Ist diese monothematische
Massierung nicht ein Nachteil? Besteht nicht die Gefahr dass der Leser mit der
Zeit abstumpft oder sich zum Selbstschutz den Mantel der Gleichgültigkeit
überzieht? Und tatsächlich ahnt man gegen Ende manchmal zu schnell, worauf es
hinausläuft. Dennoch gelingen eindrucksvolle, expressive, erschreckende und
verstörende Passagen, in denen ein großes Talent aufblitzt und eine fast
klaustrophobische Intensität erzeugt wird. Etwa wenn Stille zur Angst wird; zu
wattige[n] Blätter[n]. Da muss man das Buch weglegen, kann nicht
weiterlesen.
Die kursiv gesetzten
Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. |
Barbara
Gresslehner |
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