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Zwei Männer im Schnee
Stefan Möller über den Parforceritt des
Russen Jewgenij Grischkowez
»Das Hemd«

Sascha, Architekt in Moskau, bekommt Besuch aus der russischen Provinz von seinem alten Freund Max. »Das ist alles ganz wunderbar, bloß: Es kommt ungelegen.« Ungelegen, weil Sascha sich verliebt hat, »heftig, sehr heftig. Wie noch nie im Leben. Nie! Darum kam Max UNGELEGEN!!!«.
Auf der Fahrt zum Flughafen hört Sascha von einem Flugzeugabsturz – in Pakistan. VFlüchtig streifte mich Enttäuschung.«
Dies ist der Auftakt zu einem Roman, dem Roman eines Tages in Moskau. Es ist der erste Roman von Jewgenij Grischkowez, der in Russland und auf internationalen Festivals große Erfolge als Theater-Regisseur, Autor und Schauspieler feierte. Grischkowez lebt in Kaliningrad, nicht in Moskau, mit dem Moskauer Rhythmus kommt er nach eigener Aussage nicht klar, leben möchte er nicht in Moskau. Und doch ein Roman, der in Moskau spielt. Es ist das Moskau derer, die nicht zu den wirklich Reichen gehören, aber trotzdem keine existenziellen Sorgen und Nöte haben, es ist ein Moskau ohne Extreme, eine ganz normale Millionenstadt. »Das Hemd« ist ein Großstadtroman, aber keine Zustandsbeschreibung. Beim Aufwachen hört Sascha Geräusche, es sind aber nicht die Geräusche der ganzen Stadt, »das war nicht der 'Pulsschlag einer Metropole' oder so was Ähnliches.« Bei der Lektüre gewinnt man gelegentlich den Eindruck, dass dieses Moskau ein austauschbarer Ort ist, dass die Handlung ebenso in Paris oder London stattfinden könnte. Am Ende stellt Sascha aber fest, dass Moskau die Endstation ist, »Von hier fährt man nirgendwo mehr hin.« Es ist ein ungewohnter Blick auf die Hauptstadt Russlands, den Grischkowez ermöglicht, durch das Fehlen jener Stereotypen, mit denen Russland bedacht wird, wird sie erlebbar. Jegliche Verweise auf die russische Geschichte, auf Stalinismus und Diktatur, die sozialen Spannungen und die Auswüchse des modernen Russland fehlen in diesem Roman. »Wir pinkelten in den frischen Schnee, mit Blick auf den Kreml. Wir pinkelten ohne Pathos oder Protest.« Die Vergangenheit spielt keine Rolle im Jetzt, in dem es sich ganz gut leben lässt und in dem Ideologien keinen Platz mehr haben.

Wichtiger als die Vergangenheit sind Liebe und Männerfreundschaft. Sascha wird im Verlauf des Tages zwischen beiden Polen hin und her gerissen. Auf der einen Seite SIE, von der er nicht weiß, ob SIE seine Liebe erwidert, auf der anderen Seite Max, der Saschas Zeit beansprucht. Sascha hetzt in der Metro und im Taxi von einem Ort zum anderen, muss Probleme auf einer von ihm betreuten Baustelle klären, geht zum Friseur, trifft sich mit Sascha und telefoniert immer wieder mit IHR. Und irgendwann stellt er fest, dass ihn ein Mercedes den ganzen Tag verfolgt. Zwischendurch wird viel getrunken und Sascha und Max philosophieren über Geld und Frauen.
Am Ende des Tages ist sein Hemd voller Flecken, aber am nächsten Tag wartet ein neues Hemd.
Der Roman ist angenehm unaufgeregt, es passiert nichts dramatisches, selbst ein schwerer Autounfall bleibt für die beiden Freunde ohne Folgen. Die Handlungsstränge sind banal, vieles bleibt in der Schwebe, wird nicht aufgelöst. So entpuppt sich der Fahrer des Mercedes, der Sascha verfolgte, als nicht unsympathisch, ohne das der Leser über die Gründe der Verfolgung aufgeklärt wird. Das hat nichts Kafkaeskes, das ist kein Seitenhieb auf einen allgegenwärtigen Geheimdienst, es ist einfach nicht wichtig. Auch das Zusammentreffen mit dem organisierten Verbrechen ist bloße Episode, »Klasse Typen! Aber halt Arschlöcher …«

»Das Hemd« erinnert an die Zeiten, in denen der Begriff Popliteratur nichts Abwertendes hatte. Ein leichter Roman, aber kein Leichtgewicht. Mit der Beschreibung eines Tages im Leben seines Protagonisten und Helden Max lotet Grischkowez das postkommunistische Dasein aus, in aller scheinbaren Oberflächlichkeit doch hintergründig und voller Humor. Seine Protagonisten schwanken zwischen Euphorie und Melancholie, sind leidenschaftlich und kalt zur selben Zeit und streben nach dem individuellen Glück. Ganz normale Menschen eben, die vielleicht ein wenig mehr trinken als andere. Oder auch nicht. Stefan Möller
 

Jewgenij Grischkowez
Das Hemd

Roman
Aus dem Russischen von Beate Rausch
Ammann Verlag
MERIDIANE 122
272 Seiten

EUR 19.90 / CHF 35.90 (UVP)
ISBN 9783250601227

Leseprobe

 

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