Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik |
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Ein
Ausflug ins Ungewisse Auf den ersten Blick erscheint „Berliner Tatsachen“, der in diesem Frühjahr erschienene neue Erzählband von Jayne-Ann Igel, als Kolportage hinlänglich bekannter Versatzstücke einer DDR-Realität, wie wir sie zu kennen glauben: Mauer, Polizei, Kontrollen ... Bei genauerem Hinsehen entwickelt sich aber so etwas wie eine Tragikkomödie, und man kann sich nicht sicher sein, ob der Zeitgenosse dieser Erzählung nur naiv ist oder ihm der Schalk im Nacken sitzt.
Hatte das erzählerische
Ich in der Vorgängererzählung „Unerlaubte Entfernung“, die Nöte bei der Ablösung
von der herrschenden Weltanschauung wie den ideologisch-moralischen Vorgaben
eines politisch angepaßten Elternhauses reflektiert, so ist sie im vorliegenden
Text, der auch als Fortsetzungsgeschichte gelesen werden kann, bereits
Geschichte. Doch der Zeitgenosse, der in oben genannter Erzählung noch als eine
Art alter ego des Haupthelden auftrat und in den „Berliner Tatsachen“ nun die
Hauptfigur darstellt, muß erkennen, daß ihm diese Ablösung erst einmal kaum
etwas gebracht hat. Noch immer scheint er sich in der Zwickmühle selbst
gesteckter, aber ohne Vorleistung nicht einlösbarer Ziele, zu hoher Ansprüche an
sich selbst zu bewegen, Ansprüchen, denen er offensichtlich nicht gewachsen ist.
Noch immer orientiert sich der Zeitgenosse am Elternhaus, fühlt er sich samt
seines Sessels vor die Tür gesetzt, nach seinem Auszug, obgleich er ihn selbst
initiiert hat. Im Jahr darauf indes sollte ihm der Zugang tatsächlich verwehrt
werden, in jenem Jahr, da er Theologie zu studieren begonnen hatte, was eine
Familientradition ad absurdum führte. Denn der Vater des Helden ist als
Polizeibeamter beschäftigt, der Bruder zudem in einer Behörde, der die
Entwicklung des Burschen suspekt erscheinen mußte. Und man hat den Eindruck, daß
hier einer permanent auf der Flucht ist, vor sich selbst. Auf einer Flucht, die
ihn schließlich nach Berlin führt, wo er versucht, im Heer der Penner
abzutauchen …
»Die
schatten waren knapp, sommers, wenn er um die mittagsstunde im ort eintraf und
mutters laden geschlossen war wie die anderen geschäfte, es keinen grund gab,
auf die straße hinauszutreten, es sei denn für einen wie ihn, der allen grund zu
haben schien, unerkannt die dürftige schattenwand entlang zu treiben, all dieser
einsilbigen hausgewänder und hofgemäuer schlagschatten; unter den füßen war der
grund dann kaum zu spüren, man konnte meinen, daß der bursche flog, zum
marktplatz hin, erst dort wechselte er die straßenseite ... Trieb er also in
diesem rinnsal dunklen wassers dorthin, wo er nicht mehr zuhause war, tauchte
der schopf ab und an auf, glänzte matt das haar, wenn der schlagschatten allzu
knapp bemessen, und so er fehlte, fand er die augenbrauen sämtlicher häuser
hochgezogen ...« |
Jayne-Ann Igel |
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