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Kaffeekränzchenrhetorik
Gregor Keuschnig ärgert
sich über Ida Jessens
»Leichtes Spiel«
Joachim, ein 40jähriger
Junggeselle ist ein bisschen kauzig und zurückhaltend, Besitzer einer
Eigentumswohnung mit einigen gehobenen Accessoires und verdient gut, ohne damit
zu protzen. Eines Tages lernt er auf einer Geburtstagsparty eines Kollegen die
etwas flippige Susan, eine Kindergärtnerin, kennen. Monate später begegnen sie
sich erneut und verbringen – fast wider Erwarten – eine Nacht miteinander.
Joachim lernt Susans neunjährige Tochter Ditte kennen und es entwickelt sich
eine Liaison. Susan ist schnell schwanger und Joachim fiebert dem Ereignis der
Geburt seines ersten Kindes entgegen. Susan und Ditte ziehen in Joachims grosse
Wohnung; Susan wird Mitbesitzerin.
Aber schon sehr früh beginnt die Entzweiung. Erst kleine
Meinungsverschiedenheiten. Dann bemerkt Joachim bei Susan Zeichen zunehmender
Gereiztheit und Egozentrik, was er jedoch auf die Schwangerschaft schiebt. Ihre
manisch-depressiven Schübe werden immer stärker; Joachim ist mit Susans
aggressivem Verhalten und ihrer Rabulistik völlig überfordert. Susan verfügt
zwar offensichtlich über einen eher bescheidenen Intellekt, versteht es aber mit
grossem rhetorischem Geschick Joachims Äusserungen und Handlungen immer als
gegen sie gewendet zu interpretieren und als Anklage vorzubringen, womit sie
Joachim ein schlechtes Gewissen suggeriert. Dabei trifft sie häufig den Kern, so
dass Joachim immer den Fehler bei sich selber sucht und sich dann so schämte…dass
er schwarz wurde. Die Geburt von Jacob verpasst er, da er nach einem grossen
Streit in ein Hotel flüchtete und sich mit falschem Namen einquartierte.
Joachims Doppelleben
Es gelingt
Joachim, diese Angelegenheit vor Susan geheim zu halten; die Freude über Jacob,
den neugeborenen Sohn, verdeckt eventuellen Argwohn. Aber die Situation wird
nicht besser und irgendwann erfahren wir, dass jetzt schon ein paar Jahre
(es sind drei) vergangen sind. Susans Äusseres verlottert zusehends, sie zieht
sich kaum noch an und wird immer mäkeliger – auch was Joachim angeht. Joachim
erträgt dies äusserlich mit stoischer Ruhe – er hat ja seine kleinen Auszeiten
als Anders S. Just in einem Hotel. Eines Tages möchte er eine ganze Woche
"Auszeit" nehmen und er belügt Susan, dass ein Lehrgang von der Firma aus
stattfindet. Sie scheint etwas zu ahnen – entgegen ihren sonstigen Gebräuchen
stellt sie bohrende Fragen. Und als Joachim vor der Zeit zurückkommt, findet er
die Wohnung verbarrikadiert. Er erfährt, dass Susan einen Arbeitskollegen
angerufen hatte – der natürlich von dem Lehrgang nichts wusste.
Susan pocht nun auf die
Trennung, ruiniert Joachim sowohl finanziell (für die Wohnung bekommt er nur
einen Bruchteil ausgezahlt) als auch psychisch, in dem sie ihn mit den
Besuchsmöglichkeiten für Jacob quasi erpresst und Joachim zum Sklaven ihrer
Launen dressiert. Rechtlich hat Joachim keine Chance, da sie nicht verheiratet
sind. Er ist den Eskapaden und Stimmungsschwankungen von Susan hilflos
ausgeliefert. Er wohnt nach dem Auszug aus der Eigentumswohnung in seinem
rustikalen Sommerhaus – auch in den strengen Wintern, verfällt auch noch
körperlich und verliert schliesslich seinen Arbeitsplatz.
Ausserordentliche
Schlichtheit
Ähnliche
Settings kennt man von diversen sogenannten 'Beziehungsthrillern', die
kammerspielartig die alltäglichen Qualen und Besonderheiten zum ultimativen
Bedrohungsszenario werden lassen. Es gibt gute und weniger gute Vorbilder, wobei
die Klassiker (beispielsweise die Filme eines Alfred Hitchcock basierend auf
entsprechenden Romanen oder Erzählungen) als Maßstab natürlich viel zu hoch
gegriffen wären. Anfangs denkt man bei Ida Jessens "Leichtes Spiel" noch an eine
Vorlage für ein "kleines Fernsehspiel" oder einen mediokren "arte"-Film. Aber
lange hält das nicht an. Und spätestens als der personale Erzähler einmal
bemerkt, dass Joachim für seine Situation keine Worte habe, da meldet sich der
inzwischen halbwegs verzweifelte Leser und konstatiert: nicht nur Joachim hat
keine Worte - die Autorin nämlich auch nicht.
Jessens Sprache, die man
nicht mit Lakonie verwechseln kann, ist von ausserordentlicher Schlichtheit.
Joachim ist erschöpft, er hat Sehnsucht nach dem Nichts; ein
andermal ist er jämmerlich und inkompetent. Susan ist bissig
und unberechenbar oder einfach nur zickig, ihr Wesen wird mit
teuflisch bzw. wie ein Teufel charakterisiert. Wenn überhaupt,
verwendet Jessen entweder schablonenhafte oder triviale Bilder. Und schon der
erste Satz vermiest einem die Stimmung: Beim sechzigsten Geburtstag eines
Kollegen saß Joachim Hald an einem langweiligen Tisch.
Von vergeblicher Mühe
geprägt die Versuche, von aussen Bedrohungen einzuflechten, die auf die sozialen
Interaktionen der Protagonisten verweisen sollen, etwa wenn Joachim glaubt, eine
Obstverkäuferin sei von zwei Jugendlichen, die er bei der Wegfahrt im
Rückspiegel gesehen hat, überfallen worden. Diese Stellen sollen anscheinend
beim Leser gewisse Zweifel an der Joachimschen Wahrnehmung säen – aber auch das
misslingt.
Das Dämonische dieser
Frau, die mit ihrer Tochter einen Partnerlook praktiziert, bleibt blosse
Behauptung. Die Hauptpersonen bleiben so blutleer, dass sie vermutlich von
Dracula verschont worden wären. Joachim erscheint als naives Weichei, der nur
einmal ein lautes und klares Wort richten müsste. Tatsächlich sagt er am Ende
einmal Scheissdreck und prompt ist Susan konsterniert – aber da ist das
Buch auch schon fast aus.
Kaffeekränzchenrhetorik
Jessens
plätschernde Kaffeekränzchenrhetorik wird gelegentlich aufgepeppt: Mal wird das
Stichwort NLP eingeworfen, dann gibt es ein bisschen sozialpolitische Kritik
(ledige Väter). Die keine Binnenerzählung, die von Joachims Hund in der Kindheit
erzählt und als Metapher für die Entfremdung auch dieser Verbindung stehen soll,
versinkt im Kitsch. Und als gegen Ende dann endlich der Besuch bei Jacob
ansteht, bekommt Joachims Wagen eine Autopanne und wir erfahren in quälender
Detailfülle, wie er es dann doch noch schaffte, die vereinbarte Uhrzeit
einzuhalten. Das alles natürlich ohne weitere Folgen. Und wie peinlich, als sich
Joachim in die Rezeptionistin des Hotels verliebt, von der eine Aura der Ruhe
ausgeht und natürlich prompt zur antipodischen Projektionsfläche zu Susan wird
bis er schliesslich von ihr erfährt, dass sie glücklich verheiratet ist und zwei
Kinder hat. Auch das klappt also nicht.
In Wahrheit erfahren wir weder von Joachim noch von Susan mehr als aus einem
zweispaltigen Zeitungsbericht über eine Ehekrise von irgendwelchen B-Promis. Wer
das Attribut "Thriller" im Zusammenhang mit diesem Buch nur ausspricht, vergeht
sich an diesem Genre in Anbetracht dieser biederen Beschreibungsprosa. Bei einem
Thriller bekommen Kleinigkeiten irgendwann eine übergeordnete Bedeutung, in
einem Thriller gibt es Überraschungen, wird der Leser getäuscht; alles kann ein
Zeichen sein. Auch Jessen legt Spuren – aber alle verlaufen vollkommen
unspektakulär ins Nichts. Ida Jessen will eine grosse Raubkatze präsentieren –
es langt jedoch nur zum possierlichen Kater Mikesch. Gregor Keuschnig
Die kursiv gedruckten
Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
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Begleitschreiben
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Ida Jessen
Leichtes Spiel
Roman
Aus dem Dänischen von Angelika Gundlach
suhrkamp taschenbuch 4024 nova
206 Seiten, Klappenbroschur
Euro 12,90
ISBN 978-3-518-46024-5
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