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Der längere Atem der Geschichte

Pavel Kohout spürt in seinem neuen Roman »Die Schlinge« der Etablierung totalitärer Strukturen nach

Von Christiane Pöhlmann

Sie ist sich erstaunlich sicher, die kommunistische Staatspartei der ČSR, als sie im Herbst 1948 den Schauprozess gegen den namhaften Sozialdemokraten Felix Fischer im Rundfunk übertragen lässt. Fast live, nur fünfzehn Minuten zeitversetzt. Sollte doch einer der Zeugen ausscheren, würden sie ihn in dieser kurzen Spanne schon wieder auf Linie bringen. Und da ist er, Jan Soukup, Dichter und Liebling der Partei, ihr sorgfältig instruierter Kronzeuge – der sich erstaunlich sicher ist, der Welt sein "Nein!" entgegenzuschreien und damit die Anklage wegen Landesverrats gegen Fischer platzen zu lassen.
Wie die Geschichte weitergeht, ist bekannt. Zwanzig Jahre wird es dauern, bis die KSČ ihre Sicherheit einbüßt und ihre Macht mit Panzern aus der Sowjetunion verteidigen muss, weitere zwanzig Jahre, bis keine Panzer mehr zur Rettung anrollen. Wie jedoch der Prozess ausgeht, welche Aussage Jan abgibt, das bleibt bis zur letzten Sekunde hochspannend und sei auch hier nicht verraten.

"Die Schlinge" ist trotz der konkreten zeitlichen Verankerung kein historischer Roman im engeren Sinne, und zwar nicht nur, weil dieser Ausschnitt der jüngsten Geschichte der Gegenwart zu nah ist. Nein, der reale Hintergrund, der Februarputsch, mit dem Gottwald Beneš ausschaltet, steht gar nicht im Zentrum des Geschehens, sondern wird nur in groben Umrissen skizziert; die diesen Ereignissen zugrunde liegenden Machtstrukturen haben sich darüber hinaus zu lange gehalten, als dass sie spezifisch für die unmittelbare Nachkriegszeit wären. Worauf Kohout sein Augenmerk vielmehr richtet, ist der Mensch in der Geschichte. Welche Kompromisse geht er ein? Was motiviert ihn zum Handeln? Wo verläuft die Grenze zwischen Integrität und Korrumpierbarkeit? Damit zieht der Roman seine eigentliche Spannung wie bei einem Kammerspiel allein aus der Interaktion der Figuren.
Jan Soukup und Felix Fischer, der junge Kommunist und der mehr als doppelt so alte Sozialdemokrat. Wenn beide nicht holzschnittartig zu bloßen Typen geraten sind, ist dies auch der Tatsache zu danken, dass sie nicht nur der politische Konflikt miteinander verbindet: Jan und Felix lieben beide die Schauspielerin Kamila, Fischers Frau. Wenn Jan am Ende überlegt, welche Aussage er machen soll, spielt eben auch dieses Dreiecksverhältnis eine Rolle: Will er mit einem "schuldig" seinen Rivalen ins Gefängnis bringen? Will er mit einem "nicht schuldig" Kamila imponieren?

Alle drei wirken aufrichtig. Jan mag naiv sein, aber bis zum Prozess ahnt er tatsächlich nicht, dass er vom Geheimdienst als Köder eingesetzt wird, selbst als er erste Zeugnisse der umfassenden Überwachung auch seiner Person erhält: Der Geheimdienst kennt sich bestens in seiner Vergangenheit aus, präsentiert ihm heimlich geschossene Fotos. Dennoch entgeht Jan fast bis zum Schluss, wie sich die Schlinge um ihrer aller Hälse enger zusammenzieht. Felix hält ihm einmal vor: "Und gerade Idealisten enden immer als Erste an der Wand, wenn sie naiv darauf beharren, dass ihr Ideal nur von Mördern verwirklicht wird."
Und dann ist da die Stimmung, die im Roman um diese drei Figuren heraufbeschworen wird. Ein Hauch von "fin de temps", wenn man so will. Alle drei stehen für eine untergegangene Welt, für schöngeistige und musische Traditionen. Selbst Jan, der Kamila eben nicht mit jugendlichem Ungestüm gewinnen will, sondern sich "sprachliche Noblesse" zulegt, der anfangs eher Jessenin denn Majakowski nacheifert. Dem bildungsbürgerlichen Erbe wird am Ende, 1953, nach dem Tod von Gottwald und Stalin, kontrastiv eine Pyramide aus Fernsehapparaten entgegengesetzt. Diese neue Errungenschaft bildet fast das Schlussbild – und da ist textimmanent nicht abzusehen, dass die Geschichte doch den längeren Atem haben wird, dass die Tschechen einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" fordern und zur Samtenen Revolution antreten werden.
Mit der "Schlinge" knüpft Kohout zeitlich da an, wo "Sternstunde der Mörder" endet. Einmal mehr zeigt er auf, wie totalitäre Strukturen entstehen, durch welche infamen Mechanismen sie aufrechterhalten werden. Wie der Einzelne sich gegenüber dem Staat zur Wehr setzen muss, um nicht entmündigt und zum Spielball plumper Machtpolitik zu werden. In "Wo der Hund begraben liegt" hat er ähnliche Fragen am Beispiel seiner Ausbürgerung im Nachklang der Charta 77 dargestellt. Insofern darf man auf die Autobiographie des 81-Jährigen gespannt sein, die im Herbst diesen Jahres auf Deutsch erscheinen soll. Sein Leben bietet reichlich Stoff, sein Blick auf die Geschichte ist differenziert, das hat er mit der "Schlinge" erneut unter Beweis gestellt. Vor allem jedoch: Er ist ein packender Erzähler.
 

Pavel Kohout
Die Schlinge
Aus dem Tschechischen von Aleš Puda
Osburg, Berlin 2009
303 Seiten
€ 19,95


 


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