Andere über uns Impressum  |  Mediadaten | Letzte Aktualisierug: 08.12.09, 13:30


search engine by freefind


Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

Die menschliche Komödie
als work in progress


Ein großformatiger Broschurband
in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren mit Texten von:
Balzac, Hannah Arendt, Fernando Pessoa, Nicolás Gómez Dávila,
Stephane Mallarmé, Gert Neumann, Wassili Grossman,
Dieter Leisegang, Peter Brook, Uve Schmidt und Erich Mühsam u. a.


Jetzt versandkostenfrei bestellen!
 

Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik   Bilderbuch   Comics   Filme   Preisrätsel   Das Beste    

Bücher & Themen

Links
Bücher-Charts l Verlage A-Z
Medien- & Literatur l Museen im Internet

Rubriken
Belletristik - 50 Rezensionen
Romane, Erzählungen, Novellen & Lyrik
Quellen Biographien, Briefe & Tagebücher
Ideen Philosophie & Religion
Kunst
Ausstellungen, Bild- & Fotobände
Tonträger Hörbücher & O-Töne
SF & Fantasy Elfen, Orcs & fremde Welten
Autoren Porträts, Jahrestage & Nachrufe
Verlage Nachrichten, Geschichten & Klatsch

Klassiker-Archiv
Übersicht
Shakespeare Heute, Shakespeare Stücke, Goethes Werther, Goethes Faust I, Eckermann, Schiller, Schopenhauer, Kant, von Knigge, Büchner, Marx, Nietzsche, Kafka, Schnitzler, Kraus, Mühsam, Simmel, Tucholsky
, Samuel Beckett

Honoré de Balzac
Berserker und Verschwender
Balzacs Vorrede zur Menschlichen Komödie
Die Neuausgabe seiner
»schönsten Romane und Erzählungen«, über eine ungewöhnliche Erregung seines Verlegers Daniel Keel und die grandiose Balzac-Biographie von Johannes Willms.
Leben und Werk
Essays und Zeugnisse mit einem Repertorium der wichtigsten Romanfiguren.
Hugo von Hofmannsthal über Balzac
»... die größte, substantiellste schöpferische Phantasie, die seit Shakespeare da war.«

Anzeige
Edition Glanz & Elend

Martin Brandes

Herr Wu lacht
Chinesische Geschichten
und der Unsinn des Reisens

Leseprobe



Andere Seiten
Quality Report Magazin für Produktkultur
Elfriede Jelinek Elfriede Jelinek
Joe Bauers
Flaneursalon
Gregor Keuschnig
Begleitschreiben
Armin Abmeiers
Tolle Hefte
Curt Linzers
Zeitgenössische Malerei
Goedart Palms Virtuelle Texbaustelle
Reiner Stachs Franz Kafka
counterpunch
»We've got all the right enemies.«




  
Add to Technorati Favorites

Seitwert

 

Kammerspiel in Traumschiffkulisse

Stefan Mosters Roman »Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels«
 

Ein Luxustraumschiff, ein Pott der Topkategorie, im Jahr 2006. Dreitausend betuchte Gäste, die fünfstellige Beträge für ihre Reise bezahlen. Eintausendfünfhundert Menschen Personal; sauber eingefriedeter Luxus. Es geht von Hamburg nach Rio de Janeiro, Buenos Aires, Kap Hoorn; aufgrund des Wetters unfreiwillige Weihnachten vor Port Stanley (Falkland Inseln), Patagonien (und irgendwann wieder zurück); insgesamt 157 Tage für die Crew.
Die geborene Rostockerin Almut, 48 Jahre alt, ist die Bordpsychologin, die offiziell Lebensberaterin heißt. Das ist neu und eine Initiative von Bernd Gaus, dem Ersten Offizier an Bord. Gaus war auch Führungsoffizier der Staatsicherheit. Er besucht Almut nun regelmäßig in ihrer Praxis, weil dort ein Klavier steht (vielleicht nicht nur deswegen). Gaus ist der Musik fast verfallen; Almut kommt aus einem bildungsbürgerlichen Haus (der Vater war Literaturwissenschaftler und beschäftigte sich mit Heinrich Böll), hat Psychologie studiert (in der DDR wohl eher ein Studium für Außenseiter; beargwöhnt von der Staatssicherheit) und auch sie liebt die Musik. Sie Bach; Gaus Schubert. Sebastian ist 21 Jahre alt, ohne Ausbildung und ist der Bordpianist. Er ist ein musikalisches Naturtalent, was er auch seiner Mutter verdankt, die er nach heftigem Streit überstürzt verlassen hatte. Als Sebastian vier Jahre alt war, hatte sein Vater seine Mutter verlassen und war unmittelbar nach der Wende von Leipzig nach Hamburg gezogen. Almut und Sebastian erzählen in diesem Buch immer abwechselnd (und damit es der Leser auch merkt, steht immer dabei wer gerade dran ist).

Trotz dieser imposanten Traumschiffkulisse setzt Stefan Moster auf das Kammerspiel. Hier Almut mit ihrem Chef Gaus und ihren seltsamen Zusammenkünften. Sie ist reserviert bis feindselig und Gaus spielt, wenn er nicht mehr weiter weiss, seine Macht aus, will das Zusammensein, -reden und auch -musizieren fast erzwingen. Und dort Sebastian, der jugendlich-unbeschwerte Klavierspieler, froh, dem Griff der Mutter entkommen zu sein, die mit ihm ein Schubert-Klavierstück vierhändig spielen wollte. Das löste den Fluchtimpuls aus und führte ihn (mangels Alternative) zum Vater. Wie zufällig dieses Engagement auf den Schiff (sein Vater kennt Gaus) und nun teilt Sebastian eine der engen, fensterlosen Personalkabinen mit Konstantin (Tintin), einem Kellner und Frauenversteher.

Dann retten Konstantin und ein paar Freunde vier afrikanische Flüchtlinge aus stürmischer See. Irgendwie taumelt Sebastian in diese Geschichte hinein; er lernt Linda, die hübsche Krankenschwester kennen (und lieben) und man ist nun konspirativ daran beteiligt, wie die Afrikaner versteckt und bei nächster Gelegenheit abgesetzt werden sollen. Es drohen strenge Strafen (bis zur Entlassung), wenn die Aufnahme der "blinden Passagiere" entdeckt wird. Leider scheitert das sorgfältig eingefädelte Unternehmen, die vier in Buenos Aires an Land zu bringen, weil ein missgünstiger Sommelier die Sache zufällig entdeckt und meldet. Aber selbst diese Situation verhindert es nicht, dass Stefan Mosters Roman "Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels" wie eine gutgeölte, leichtgängige Plotmaschine läuft, die den Leser durchaus mit einem gewissen Niveau unterhält, obwohl (oder weil?) irgendwie immer klar ist, dass alles nicht so schlimm kommt wie man befürchtet.

Leider wird es immer dann, wenn Stefan Mosters Ambitionen in diesem Buch anklingen, heikel. Das sind die Begegnungen zwischen Almut und Gaus; die Fachsimpeleien über Musik und DDR. Aber Gaus' Detailfetischismus und/oder sein maliziöses Lächeln, seine peinlich sauberen Hände – all das vermag über die gesamte Strecke des Buches die dämonische Kraft dieser Figur nicht zu konservieren, die immer mehr von der grauen Eminenz zur grauen Maus wird. Und als die Geschichte erkennbar zu Ende geht und keine Überraschung mehr in Sicht ist, zeigen sich die Probleme von Mosters Figuren besonders deutlich. So muss Gaus am Schluss als Strippenzieher in mehrfacher Hinsicht herausgestellt werden. Er hat bewusst Mutter und Sohn eingestellt und das mit Almuts Ex-Mann eingefädelt. Und die Entrüstung Almuts über die Verstrickungen ihres Ex-Mannes mit dem Staatssicherheitsapparat während ihrer Ehe und die Rolle von Gaus in diesem Ränkespiel - das wirkt dann arg aufgesetzt und hat einen leichten Verschwörungsgeruch (Die Firma lebt sagt Gaus mehr als einmal, aber vielleicht eher zur Selbstmotivation). So spricht Almut von Menschenversuch, wirft Gaus vor, er missbrauche sie als Therapeutin, obwohl sie dank seiner Lebensleistung selbst Patientin sei. Und am Ende - man kann es nicht mehr hören - wird dann Gaus noch zum "Opfer", weil er so früh (als 15jähriger) in die Firma gebracht wurde, sozusagen mit ihr aufwuchs. Aber da helfen noch so viele Anspielungen über Schuberts Impromptus oder Bachs Fugen, noch so viele Opfer-Täter-Dichotomien nicht - die Protagonisten entkommen zu selten den suggerierten, gängigen Klischees; der Autor lässt sie zu wenig über ihren Schatten springen, stattdessen erstarren sie in melodramatischen Posen und verfallen in Dialogen mit der bei dieser Gelegenheit so oft gehörten Empörungsrhetorik.
Vollkommen aufgesetzt das politisch-korrekte des "Oben" und "Unten" zwischen Personal und Gästen auf dem Schiff. Hier wird zu selten dem Erzählen vertraut; stets wird das Urteil gleich mitgeliefert. Die Gäste auf diesem Luxusdampfer sind nur Substrat für den ironischen bis teilweise zynischen Spott von Almut, der in einer Mischung zwischen Verachtung (auch und vor allem den Leuten gegenüber, die sie als Lebensberaterin mit ihren Luxusproblemen konsultieren) und Larmoyanz im Laufe der Zeit beginnt, den Leser zu ermüden, auch wenn es zwischendurch ein paar schöne Formulierungen gibt, wie beispielsweise die der Curling-Familien (In denen schrubben die Eltern immer schon den Weg vor ihrem schnurgerade vorwärtsflutschenden Sprössling sauber) oder dem Familiengeschwader in Formation bei entsprechenden Anlässen an Bord.

Überhaupt Almut. Sie lernt die Bordbibliothekarin Madelaine kennen (deren literarische Anspielungen sie überfordern) und es gelingt ihr auch, die abgehalfterte Fernsehmoderatorin Sybille (geschildert als eine Mischung aus Sabine Christiansen mit einer Prise Alinda-Gundlach-Aura) in Bezug auf zwei Klienten für sich einzunehmen. Den lüsternen Pfarrer vermag sie auf Distanz zu halten. Aber auch sonst bleibt die Lebensberaterin lieber mit sich und ihrer trivial-vulgären Illustriertenpsychologie alleine.
Schon früh ahnt der Leser, was später Gewissheit wird: Sebastian ist Almuts Sohn. Die beiden begegnen sich in einem Showdown bei Sturm unter dramatischen Umständen (die Geschichte der vier Afrikaner spielt da hinein) und kurzfristig wird es turbulent. Almuts Seekrankheit wird zur Metapher auf die Luxusgesellschaft überhöht. Sie wird vom Frauenversteher errettet (der sich später als Lover mit ödipalen Attitüden entpuppt). Sebastian wird zum Mann und der weitere Fortgang soll nicht verraten werden, um die Spannung noch ein bisschen zu erhalten.

Kurz vor Schluss verspricht es noch einmal ein bisschen aufregend zu werden, da Almut bei einem Landausflug das Schiff abfahren sieht und man für plötzlich glaubt, die Geschichte nimmt ein unverhofftes Ende. Aber schon zwei Sätze später schaltete sie ihre Phantasie auf Leerlauf und stellte fest, dass unser Schiff noch immer regungslos im Hafen lag. Und so liest man dieses dahinplätschernde Buch - noch nicht einmal ungern – am besten entweder gemütlich am Kamin oder auch an einem schönen Sommertag. Vielleicht sogar an Bord eines Kreuzfahrtschiffs. Danach ist man aber froh, den Protagonisten nicht mehr begegnen zu müssen. Sie büßten ihren Reiz schon während der Lektüre zu sehr ein.
Gregor Keuschnig

Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
 

Stefan Moster
Die Unmöglichkeit
des vierhändigen Spiels

Roman
mare buchverlag
448 Seiten, gebunden mit Lesebändchen
ISBN 978-3-86648-111-4
22,00 €

Hörprobe


 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik

Literatur     Blutige Ernte     Sachbuch     Bilderbuch     Zeitkritik     Termine     Filme     Preisrätsel     Das Beste     Impressum     Mediadaten