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Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

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Glanz&Elend - Die Zeitschrift
176 Seiten, die es in sich haben:
»Diese mühselige Arbeit an den Zügen des Menschlichen«
Der
großformatige Broschurband in limitierter Auflage von 1.000 Exemplaren.
Mit Texten von Hannah Ahrendt,
Wassili Grossman, Nicolàs Gomez Davila, Gert Neumann, Dieter Leisegang, Fernando Pessoa, u.a.

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Berserker und Verschwender
Honoré de Balzac
Balzacs Vorrede zur Menschlichen Komödie
Die Neuausgabe seiner
»schönsten Romane und Erzählungen«, über eine ungewöhnliche Erregung seines Verlegers Daniel Keel und die grandiose Balzac-Biographie von Johannes Willms.
Leben und Werk
Essays und Zeugnisse mit einem Repertorium der wichtigsten Romanfiguren.
Hugo von Hofmannsthal über Balzac
»... die größte, substantiellste schöpferische Phantasie, die seit Shakespeare da war.«

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Edition Glanz & Elend

Martin Brandes

Herr Wu lacht
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und der Unsinn des Reisens
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Wimpernschlag eines Tabus

Peter Brinkemper über Olivier Bouillères Erzählung »retro«


Olivier Bouillère hat mit "retro", den ersten kleinen fiktiv-autobiographischen Roman des Missbrauchs, eine Erzählschleife des Unerzählbaren geschaffen, den Wimpernschlag eines Einblicks in den komplexen Schicksalskanal eines Tabus, das derzeit überbelichtet, aber recht eindimensional in den Medien anlässlich der massenhaft aufgedeckten Fälle in der Familie oder in konservativen (Kirche) und progressiven (Internate) Institutionen diskutiert wird. Bouillères strukturalistische Herangehensweise hat den Vorteil, die einschneidende Erinnerung an den Vorgang selbst nicht in falscher naturalistischer Betroffenheit darzustellen. Also nicht als larmoyantes So-Ist-Es.

Hier ist es eine fiktive Zeitreise eines halbherzig Erwachsenen und Herangereiften, der zurück in die 70er Jahre der Amanda Lear (selbst von ihrem Agenten einkaserniert) und in seinen ehemals jungen Körper und in die Metaphern und Bildercluster seiner einstmals vielleicht naiveren Erlebenswelt "klettert". 
Dem Autor gelingt der Bruch der Darstellung und der Entzug der Darstellbarkeit schlechthin als Erforschung der selbst mitinszenierten Nachfälschung einer temporalen und emotionalen Dekonstruktivon des eigenen Ichs. Prousts Erinnerungsrituale, Batailles Überschreitungsprozesse und De Sades klaustrophobische Einschließungen stehen Pate bei der fortschreitend irrealisierten, geradezu Kafkaesk problematisieren Reise in die verlorene, vielleicht niemals wirklich erlebte Unschuld, einer entwirklichten Phänomenologie einer so oder so entschwindenden und entfremdeten Kindheit, in der sich Sensibilität und Stumpfheit, Abenteuerlust und Sehnsucht, Angst und Verlangen, Dummheit und Verschlagenheit, Verführbarkeit und Freiheitsdrang in erotischen Spielen jenseits von Reinheit und Nichtwissen manifestieren, unter der sanften oder heftigen Kontrolle von erwachsener Integrität oder neidvoll oder berechnend eingreifenden Lüsternheit auf das Kindsein und Jungsein. Bouillère malt das Szenario der beginnenden Abstumpfung, Gefühlsarmut und Indifferenz aus, er schafft so ein spekulatives Gegengewicht gegen die Ungeheuerlichkeit der oft plakativ aufbereiteten Medienerzählungen von Missbrauch, Vergewaltigung und Pädophilie, ohne den entscheidenden Tatsachen der ideologischen Verdammung oder Schönfärberei und der klaren physischen und seelischen Freiheitsberaubung das Gewicht zu nehmen. Der vorrangige Tonfall des Romans ist der einer eigentümlich experimentellen alptraumartigen Selbstaufgabe und Selbstberaubung, die anscheinend zum Sympton missbräuchlicher Situationen als durchgängigem Symptom der Unterwerfung unter die angeblich aufgeklärte und angeblich schützende oder wohl versorgende westliche Zivilisation und ihre die Intimität verwaltenden oder delegierenden Institutionen zu gehören scheint.
Perversion durchweht die Zivilität. An vielen Stellen spricht der Kommissar, der aus dem Probanden doch einen wiederum vielfach missbrauchbaren, höchst nützlichen Lockvogel macht: "Er kneift mir die Nase: 'Herr Lügenkoenig.' Er sagt: 'Als ich wusste, dass es heute Abend passieren würde, bin ich so schnell wie möglich gekommen. Ich dachte, ich würde dich im Palace erwischen, aber du hast es geschafft zu verschwinden.'" Freiwillige Übernahme der Verantwortung für den Gesamtvorgang und das Verschwinden in der Unsichtbarkeit - das sind die Pole, zwischen denen sich das keineswegs nur als Opfer verstehende Subjekt in der Geschichte Bouillères bewegt.

 

Olivier Bouillère
retro

Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
Mathhes & Seitz Berlin
191 Seiten, geb. mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-88221-529-8
€ 19,90


Interview mit Olivier Bouillère



 


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