Glanz & Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik |
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Eine Familie am Abgrund
Der amerikanische
Schriftsteller Stewart O’Nan legt mit seinem neuen Roman einen ebenso
einfühlsamen wie schockierenden Psychothriller vor, in dem sich alles um ein
Phantom dreht. Wenn Eltern eines erspart bleiben sollte, dann ist es, das eigene Kind zu Grabe zu tragen. Denn kann jemals etwas größer sein, als der Schmerz des Verlustes, der vor den eigenen Augen gewachsen Zukunft? Kann etwas bitterer sein, als die Lücke ertragen und Stille brechen zu müssen, die mit einem solchen Verlust eintritt? Der Autor Stewart O’Nan geht in seinem neuen Roman „Alle, alle liebe Dich“ diesen Fragen nach. Dabei lässt er den Leser lange im Ungewissen, ob er überhaupt mit einer solchen Situation konfrontiert ist. Klar ist nur eines: Die siebzehnjährige Kim ist verschwunden. Ob sie einfach nur der für einen Teenager unerträglichen Idylle der heimatlichen Kleinstadt entflohen oder aber doch einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, weiß niemand genau. Weder für das eine, noch für das andere gibt es klare Anhaltspunkte. Zwar ist der gesamte Roman im Rückblick verfasst und lässt immer wieder das Verbrechensszenario anklingen, doch eine Gewissheit über die Geschehnisse gibt es zu keinem Zeitpunkt. Wenn aber eine Faustregel gilt, dann die, dass niemand auf ewig verschwunden bleibt. Erst recht nicht in einem Amerika, in dem gigantische Medienmaschinen losgetreten werden, wenn Kinder und Teenager verschwinden. Eine solche lösen auch Kims Eltern Ed und Fran aus, kaum das Kim einen Tag verschwunden ist. Da die Polizei zunächst verhalten auf die Vermisstenanzeige reagiert, nehmen sie das Heft selbst in die Hand. Zunächst suchen sie nur mit Freunden und Nachbarn die Umgebung der Kleinstadt ab, hängen Kopien von Kims Suchanzeige in der ganzen Umgebung auf und fahren die täglichen Wege des Teenagers immer und immer wieder ab, in der Hoffnung, auf ein Lebenszeichen von ihr zu stoßen. Schon bald sind auch sämtliche Radiostationen und Lokalzeitungen im Umkreis einiger hundert Meilen in die Suche eingeschaltet. Internetforen werden eingebunden, Vermissten-hotlines mit den notwendigen Informationen versorgt, Selbsthilfevereine kontaktiert, eine Belohnung ausgesetzt. Gemeinsam mit Schulen, Kirchen und Sportvereinen initiieren sie Spenden-, Benefiz- und Gedenkveranstaltungen. Hobbydetektive aus dem ganzen Land schalten sich in die Suche ein. Schließlich schaffen es Ed und Fran, Kims Fall innerhalb der ersten Wochen in Amerikas wichtigster Fernsehshow für vermisste Personen zu platzieren. Der scheinbar ganz normale amerikanische Wahnsinn.
Doch mit ausbleibendem
Erfolg richtet sich diese Suchmaschine gegen ihre Initiatoren. Sie können die
Geister, die sie riefen, bald nicht mehr kontrollieren. Je länger ihre Tochter
wegbleibt, desto mehr wollen sie sich mit der Lücke arrangieren, die ihr
Verschwinden in ihr Leben gerissen hat. Doch nach außen hin sind sie gezwungen,
die unermüdlich kämpfende und hoffende Familie zu repräsentieren, denn dringt
ihre Müdigkeit erst einmal an die Öffentlichkeit, bedeutet dies das jähe Ende
der groß angelegten Suche. Eine Herausforderung, die die Familie an ihre Grenzen
bringt. Alles dreht sich nur um die Suche nach Kim, um das Schließen der in die
Familie gerissenen Leerstelle. Die Bedürfnisse der Zurückgebliebenen müssen
zunehmend hinter die Ansprüche eines Phantoms zurücktreten. O’Nan zeichnet mit
seinem Roman über weite Strecken das Psychogramm einer Familie, deren Nerven wie
Drahtseile gespannt sind.
Ed und Fran versuchen
ihrerseits den geradezu unmöglichen Spagat aus Füreinanderdasein und
Alleinseinwollen. Während er der andauernden Erfolglosigkeit der Suche erliegt
und sich zurückzieht, trumpft sie in ihrer Rolle als Werbeikone der Suche nach
der eigenen Tochter regelrecht auf. Aus der verzweifelten Mutter wird so die
Übermutter der selbst inszenierten Kampagne. Nichts beweist dies besser, als
eine Anekdote während des Suchmarathons. Am Rande eines Baseballspiels sollen
hunderte Luftballons als Zeichen der Hoffnung, Kim doch noch zu finden, in den
Himmel aufsteigen. Als schon alle Zuschauer ihre Ballons fliegen lassen, hält
Fran ihren noch fest. Und die Beobachter begreifen. „Wenn alle anderen Kim schon
vergessen hatten, würde sie noch immer an sie denken, nach ihr suchen und weiter
hoffen, da ihr nichts anderes übrigblieb. Sie war jetzt anders, getrennt von
ihnen, und das würde immer so bleiben.“
O’Nan lässt den Leser auf
einmalige Weise hautnah an dem Prozess der individuellen und gegenseitigen
Entfremdung beiwohnen, während alles einem Abgrund entgegenläuft. Dabei erzählt
er allerlei Alltägliches und Nebensächliches. Dies ist anfangs
gewöhnungsbedürftig, entpuppt sich jedoch im Laufe des Romans als das Besondere
dieses Textes. Denn nichts ist mehr gewöhnlich, wenn es ständig darum gehen muss,
sich von dem Schmerz des Verlustes abzulenken, von dem man weiß, ihn aber nicht
wahrhaben will. Die auktoriale Erzählperspektive lässt den Leser in die
traurig-düstere Gedankenwelt der einzelnen Personen abtauchen und unfreiwillig
zum Beobachter und Analysator der intimen Geschehnisse und ihrer Wirkungen auf
das Familien- und Kleinstadtgefüge werden. So wohnt man dem unaufhaltsamen
Abrutschen der Romanfiguren in ihr eigenes Elend bei.
Nicht in Kims Tod, sondern
in der Ungewissheit um ihr Schicksal und der Allgegenwart ihrer ungeklärten
Abwesenheit, liegt das Unheimliche und Unerträgliche, das ein Betrauern
verhindert, das auslaugt und handlungsunfähig macht.
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Stewart O’Nan |
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