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Jähzorniger
Odysseus der Großstadt Tatsächlich eine gelungene Neuauflage von Leo Perutz' 1918 erschienenem Buch "Zwischen neun und neun". Neben der temporeichen Erzählung gibt es einen kleinen aber feinen, fünfseitigen Anmerkungsteil und ein kenntnisreiches, behutsam ergänzendes Nachwort von Thomas Bleitner. Das alleine wäre schon Grund zur Freude, aber da sind auch noch die wunderbaren, die Stimmung des Buches und der Protagonisten kongenial treffenden, melancholisch-expressionistischen Illustrationen von Rasha El Sawiy, die erstaunlicherweise die Phantasie des Lesers nicht einengen, sondern sogar erweitern.
"Zwischen neun und neun" - das sind zwölf Stunden im Leben des Stanislaus Demba
im Mai 1917. Demba lebt als Student in Wien und ist ein kauziger,
zuweilen cholerischer Geselle, der sich als Nachhilfe- bzw. Hauslehrer in den
besseren Kreisen verdingt. Er hat herausbekommen, dass seine Freundin Sonja
einen neuen Liebhaber hat, mit dem sie am nächsten Tag zu einer langen Reise
nach Italien aufbrechen will. Demba will dies unbedingt verhindern, akzeptiert
Sonjas Abwendung nicht und glaubt, sie umstimmen und mit ihr die Reise machen zu
können, wenn er ihr das Geld in den nächsten Stunden vorlegt. So hastet er nun
durch die Großstadt, möchte ein (gestohlenes) Buch verkaufen, treibt Schulden
ein, erbittet Vorschüsse und findet sich sogar am
Bukidomino-Spieltisch
wieder, obwohl er die Regeln gar nicht kennt.
Es
wäre unschicklich, das "Geheimnis", also den Grund für Stanislaus Dembas
eigenartige Umgangsformen, hier preiszugeben. Der Leser würde um einen großen
Teil des Lektüre-Vergnügens gebracht. Danach weiß der Leser zwar zum ersten Mal
mehr als Dembas Umgebung, aber auch nach der "Enthüllung" büßt der Roman nichts
von seiner Qualität ein. Furios, wie die Orte wechseln und die Lage des Helden
immer aussichtsloser zu werden scheint. Man wird in einen Erzählsog
hineingezogen und fiebert in einer Mischung zwischen Unverständnis, Wut und
Mitleid mit dieser Figur. Mit Ausnahme der sechzehnjährigen Steffi (einer
Gezeichneten: Ihre rechte Wange war eine einzige tiefrote Feuernarbe),
der sich Demba anvertraut und die als einzige in diesem Roman menschlich-gütige
Züge besitzt, ist Perutz' Erzähler streng auf die Hauptfigur fixiert. Bei diesem
Stanislaus-Demba-Tunnelblick wirken die anderen Protagonisten zuweilen wie
Statisten. Demba sah Sonja an und wunderte sich über alle Maßen. Was war in ihn gefahren gewesen, daß er um dieses Mädchens willen wie toll durch den Tag gerast war, daß er gelogen, gestohlen und gebettelt hatte um ihretwillen? Sie stand vor ihm, und er sah nichts an ihr, nichts, was ihn fröhlich oder traurig machen könnte, sie war sein, aber er fühlte nichts, nicht Stolz, nicht die selige Unruhe des Besitzes, nicht die Angst, sie zu verlieren. Er war ihrer satt. Wer jetzt denkt, alles durchgemacht zu haben, wird auf den letzten Seiten abermals eines Besseren belehrt. Perutz verschafft dem Buch hinsichtlich der erzählten Zeit noch eine neue, völlig überraschende Wendung. Aber auch diese Pointe soll hier nicht verraten werden.
All
diese "Erzähllabyrinthe" (Thomas Bleitner). Was ist das nun? Ein Kriminalroman?
Nein, diese Deutung wäre ganz falsch. Eine Traumerzählung? Im Nachwort wird
schön erläutert, warum diese Deutung ebenfalls abwegig ist. Vielleicht eine Art
Rätsel- oder Überraschungsroman? Das könnte schon eher
mindestens teilweise stimmen. Und wie ist das mit der vom Verlag auf dem
Klappentext übernommenen Deutung des Autors einige Jahre nach der
Veröffentlichung, der den Roman metaphorisch für eine zu Ende gehenden Epoche
begreifen und Demba als ein entsprechendes Symbol dazu sehen wollte? Nach der
Lektüre dürfte sich zeigen, dass - wie so oft - der Autor nicht unbedingt der
beste Interpret seiner eigenen Werke ist. Vorzuziehen wäre eine existenzialistische Deutung der Figur des Stanislaus Demba, dieses jähzornigen Odysseus der Großstadt, der seine Liebe erkaufen und materialistisch dokumentieren möchte, obwohl ihm der Gott des Geldes, zu dem sie alle beteten eigentlich nicht behagt. Im Augenblick von Sonjas Rückbesinnung wird die Erfüllung des Begehrens plötzlich reiz-, ja wertlos. Die Liebe war, wie erzählt wird, nicht nur tot, nicht gestorben, o nein: verreckt und zwar wie ein krankes, häßliches Tier. Perutz' Sprache ist eine Mischung aus Opulenz und feiner Ironie, wobei das Ausladende heutzutage manchmal etwas befremdet (und man wundert sich, dass es damals schon einen Hang zu Anglizismen gegeben hat). Dennoch ist da eine faszinierende Aktualität, eine phantastisch-instruktive Verknüpfung über die Jahrzehnte hinweg, ein Ruf aus einer unversehens gar nicht so fernen Zeit. Und wir ahnen, nein: wissen – Stanislaus Demba wäre heute auch nicht glücklicher. Das ist paradoxerweise fast schon ein Trost für den heutigen Leser. Gregor Keuschnig
Die
kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. |
Leo Perutz |
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