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Leben und Werk
Essays und Zeugnisse mit einem Repertorium der wichtigsten
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Hugo von
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»... die größte, substantiellste schöpferische Phantasie, die seit
Shakespeare da war.«
Literatur in
Bild & Ton
Literaturhistorische
Videodokumente von Henry Miller,
Jack Kerouac, Charles Bukowski, Dorothy Parker, Ray Bradbury & Alan
Rickman liest Shakespeares Sonett 130
Glanz&Elend -
Die Zeitschrift
Zum 5-jährigen Bestehen
ist
ein großformatiger Broschurband
in limitierter Auflage von 1.000
Exemplaren
mit 176 Seiten, die es in sich haben:
Die menschliche
Komödie
als work in progress
»Diese mühselige Arbeit an den Zügen des
Menschlichen«
Zu diesem Thema haben
wir Texte von Honoré de Balzac, Hannah Arendt, Fernando Pessoa, Nicolás
Gómez Dávila, Stephane Mallarmé, Gert Neumann, Wassili Grossman, Dieter
Leisegang, Peter Brook, Uve Schmidt, Erich Mühsam u.a., gesammelt und mit den
besten Essays und Artikeln unserer Internet-Ausgabe ergänzt.
Inhalt als PDF-Datei
Dazu erscheint als
Erstveröffentlichung das interaktive Schauspiel »Dein Wille geschehe«
von Christian Suhr & Herbert Debes
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Glanz & Elend
Martin Brandes
Herr Wu lacht
Chinesische Geschichten
und der Unsinn des Reisens
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Neue Stimmen
Die
Preisträger
Die Bandbreite der an die 50 eingegangenen Beiträge
reicht
von der flüchtigen Skizze bis zur Magisterarbeit.
Die prämierten Beiträge
Nachruf
Wie
das Schachspiel seine Unschuld verlor
Zum Tod des ehemaligen Schachweltmeisters Bobby Fischer
»Ich glaube nicht an Psychologie,
ich glaube an gute Züge.«
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Elfriede Jelinek
Elfriede Jelinek
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Franz Kafka
counterpunch
»We've
got all the right enemies.«
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Das
verlorene Paradies
Jürgen Nielsen Sikora über Jean Rolins
bewegendes Dokument über das Leben in der Großstadt des 21. Jahrhunderts – oder
über das, was man für das Leben hält.
Nach Michel Ney, einem
Marschall im napoleonischen Kaiserreich, ist der Boulevard im Norden von Paris
nahe der Peripherie benannt. Die europäische Hauptstadt zur Zeit Neys ist die
Stadt der Loretten, der Tempel und Heiligtümer, der Passagen, Boulevards, der
Panoramen und Katakomben, der Barrièren und Faubourgs. Im 19. Jahrhundert ist
Paris die Stadt der umfriedeten Plätze und Künstlerklausen, unwirkliches
Terrain, Ort der Heimatlosen, des Spleen und der Grisetten. Paris ist die Stadt
der Massen. Die Vermassung, die in erster Linie durch eine zunehmende
Verstädterung vorangetrieben wird, weckt rege Skepsis unter den Zeitgenossen,
wachsen doch mit ihr auch Armut und Elend in den Straßen im Zentrum und an den
Rändern der Hauptstadt.
„Wer wissen will wie sehr wir in Eingeweiden zuhause sind, der muß vom Taumel
sich durch Straßen jagen lassen, deren Dunkel soviel Ähnlichkeit mit dem Schoß
einer Hure hat“ schreibt Walter Benjamin in den 1930er Jahren über die Straßen
von Paris, die die Bewohner von ihrem eigenen Lebensraum zusehends entfremden.
Neben den Elends- und Armenvierteln entstehen parallel hierzu die
Wallfahrtsstätten des Konsums mit den Passagen als paradigmatisches Symbol der
Massenkultur. Definierte sich die Masse bis dato durch den Mangel, den sie
teilte, so ist es seit den 1830er Jahren sowohl die Ware, die in den
Warenhäusern wie dem Bon Marché ausliegt, als auch das Selbstverständnis der
Menschen als Kunden. In den Wohnvierteln der Besitzlosen bleibt kaum Raum für
das eigene Leben. Die Zahl der Einraumwohnungen ist enorm hoch, ebenso die Zahl
der Schlafburschen. Ein arges Missverhältnis zwischen Wohnungsgröße und
Bewohnerzahl ist überall zu spüren. Dazu tragen im 19. Jahrhundert mehrere
Faktoren bei: Geburtenüberschuss, geringere Kindersterblichkeit, Fortschritte
der Medizin und Hygiene und schließlich die ökonomische Entwicklung. Dadurch
jedoch wird so etwas wie familiäre Privatsphäre unmöglich. Häufig kommt es zu
Streit, Gewalt, Misshandlungen, sexuellen Übergriffen und Diebstahl. Die Zahl
derer, die sich in der modernen Welt dieses Jahrhunderts noch zurechtfinden, ist
gering. In den Köpfen herrscht Platzmangel und durch die Enge der Wohnungen
werden Krankheiten schnell übertragen. Der Müll und dessen Entsorgung stellt ein
zusätzliches Problem dar, ebenso die Luftverschmutzung und der wachsende Lärm in
einer Stadt, in der später, während des Second Empire, die Gesellschaft wie im
Rausch „über Leichen und Ruinen hinweg“ lebt, wie Siegfried Kracauer in seinem
Buch über Jacques Offenbach schreibt und die Stadt als „das verlorene Paradies“
charakterisiert.
Jean Rolin, Schriftsteller
und Kriegsjournalist beschreibt in „Boulevard Ney“ die Fortsetzung dieses
verlorenen Paradieses und spannt den Bogen vom 19. zum Beginn des 21.
Jahrhunderts. Im Jahr 2000 hält er sich mehrere Monate rund um den Boulevard Ney
auf und skizziert das Leben jenseits aller menschenwürdigen Umstände.
Rolins Buch ist wie das Drehbuch zu einem Dokumentarfilm über das andere Paris.
Da sind die Müllverbrennungsanlagen von Saint-Ouen, die Hochhäuserphalanx
entlang der Boulevards, das Elend rund um die Porte d´Aubervilliers, beschrieben
„aus dem mutmaßlichen Blickwinkel Marshall Neys“. Hier haben heute die Huren aus
Albanien und Moldawien ihr Zuhause gefunden, zwischen Bierdosen,
Plastikverpackungen und Fast-Food-Tüten. Die Bürgersteige sind voller
Pissespuren, gebrauchte Kondome liegen hier zwischen all den Sozialbauwohnungen,
den Bowlinganlagen, Parkhäusern und Billardsälen, zwischen den Wettlokalen und
Schnellimbissen. Eine Zirkusschule hat dort ihre Zelte aufgeschlagen, wo auch
eine Halal-Metzgerei und zahllose Lagerhallen zu finden sind. „Vor der zentralen
Anlaufstelle an der Porte d´Aubervilliers standen gegen 21 Uhr 30 bereits ein
halbes Dutzend Flüchtlinge Schlange für den nächsten Morgen. Unter ihnen war nur
eine Frau, offensichtlich eine Afrikanerin im Alter von vielleicht dreißig
Jahren und elegant gekleidet, die auf einer Decke in einer dieser Röhren saß,
die die Antragsteller benutzen müssen. Sie trug eine Brille und steckte ihre
Nase in ein Buch. Selbst wenn man den Umständen Rechnung trug … hätte man gerne
gewusst, um welches Buch es sich handelte und was an ihm so toll war, dass es
unter so prekären Umständen gelesen wurde.“
Rolin bewegt sich entlang
der Drogenumschlagplätze, trifft Junkies und Arbeitslose, Alkoholiker und
Transvestiten. Die Kriminalitätsrate ist hoch, eine Tote wird an einer Böschung
gefunden. Sie weist über 20 Messerstiche auf.
In diesem Teil von Paris, dem 18. und 19. Arrondissement, im Dickicht der
Nachtclubs und Studentenwohnheime, wo Sex in Autowracks oder hinter den
Schlachthäusern normal ist, leben Typen wie der von Rolin skizzierte Gérard
Cerbère, von dem man gerne glauben möchte, dass er wirklich so heißt. Denn wenn
es ihn gibt, dann muss der Höllenhund hier zu Hause sein. Vielleicht trägt er
Rapperkluft, wie viele in diesem Viertel, vielleicht ist er ein Veteran aus dem
Libanonkrieg wie ein Protagonist aus Rolins Buch, der den Krieg in Paris mit
anderen Mitteln fortsetzt. Das Schlachtfeld definiert sich über den Raum
zwischen den Wäschereien und den Krankenhäusern, zwischen all dem Nippes, den
Eisenwaren und Ersatzteillagern. Im Antlitz all dieser Gruselgestalten nehmen
sich die Romanfiguren von Dostojewskij wie glückliche Wohlstandsbürger aus.
An der Porte de la
Chapelle sammeln sich die Verlierer und spielen mit ihren Pumpguns und prüfen
das Arsenal ihrer Kraftausdrücke bis spät in die Nacht: „Drei Uhr früh: Über den
drei Hochhäusern an der Rue Jean-Cocteau zucken Blitze am Himmel; an der Porte
de Clignancourt mit ihren … Prostituierten und den Crackdealern, die sich die
ganze Nacht über zwischen dem Gitterzaun des Collège Utrillo und den Zäunen der
Baustelle abkapseln, geht im Handumdrehen alles in einem Wolkenbruch unter.
Einige Mädchen finden an einer Bushaltestelle Zuflucht … Rennerei und Geschrei.
Auf Dächern, Trottoirs und Fahrbahn dampft und prasselt es, als wären sie in
eine Friteuse getaucht. Im Hotel La Terrasse vögelt im angrenzenden Zimmer ein
Pärchen lautlos, fast verbissen.“
Andere nehmen am Boulevard
Ney mit verrotteten Schlafsäcken Vorlieb. Pittbulls streunen umher. Die Bewohner
der Gegend tragen Narben und wohnen meist in baufälligen Mietshäusern oder
Wohnwagen. In regelmäßigen Abständen wechseln die Besitzer von Ladenlokalen, und
mit ihnen die Namen der Kneipen, Bars und Cafés. Chlorgeruch durchströmt die
Straßen. Es lohnt kaum, die Ratten und Schaben zu zählen, die das Viertel nach
Nahrungsquellen durchforsten.
Im Original heißt Rolins Buch „La Clôture“ (2002). La Clôture war der Name einer
Filmkulisse, einer Bushaltestellenattrappe, die am Boulevard Ney eines Tages
errichtet wurde und ebenso schnell wieder verschwand. Ironie dieses Ereignisses:
Die echten Nutten wurden vom neuen Set vertrieben, damit die falschen sie
spielen konnten. Was Rolin also als Scheinwelt entlarvt, spiegelt er in
doppelter Ironie durch die Titelei seines Buches. Denn auch sein Text verdrängt
in gewisser Weise für eine Zeit das wahre Leben am Boulevard, indem er es zur
Erzählung, zum Roman umformt. Das Ergebnis aber ist ein mehr als bewegendes
Dokument über das Leben in der Großstadt des 21. Jahrhunderts – oder über das,
was man für das Leben hält.
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Jean Rolin
Boulevard Ney
Roman
Aus dem Französischen von Holger Fock
Berlin Verlag
220 Seiten Gebunden
ISBN-13: 978382700797
24.00 €
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