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Aus dem Leben einer Leseratte

Firmin ist die Nummer dreizehn. Fatal, wenn die Mutter nur zwölf Zitzen hat. Statt von Muttermilch ernährt er sich von Weltliteratur und wird zur belesensten Ratte des Universums.

Wer hätte sie nicht gern alle gelesen, die großen Autoren dieser Welt. Von A wie Austen bis zu Z wie Zafon. Und was gäbe es darüber hinaus nicht auch noch Wissenswertes? Selbst Kochbücher und Lexika stürmen seit Jamie Oliver und A. J. Jacobs die Bücherlisten der Feuilletons und Bücherläden. Wer hätte nicht gern die notwendige Zeit, Muße und Geduld mit sich selbst, um all dies lesen und aufnehmen zu können? Aber diese Zeit hat einfach niemand. Zumindest kein Mensch, aber Firmin, eine Leseratte im wortwörtlichen Sinn.
Es ist ein verregneter Tag, an dem sich Firmins Mutter müde in den Keller der alten Buchhandlung Pembroke Books flüchtet, um dort ihre Kinder zur Welt zu bringen. Dreizehn kleine Rattenbälger erblicken das Licht der Welt; eines wird es wohl nicht schaffen bei nur zwölf Leben spendenden Zitzen. Erst recht wenn die Mutter zum Alkohol neigt. Die Welt kann grausam sein. Doch Firmin, der dreizehnte, kleinste und schwächste der winzigen Nager, beißt sich durch; er überlebt von dem, was übrig bleibt und dank James Joyce. Denn mit Finnegans Wake beginnt sein wortwörtliches Verschlingen der Bücher im Keller einer Bostoner Gebrauchtbuchhandlung. Zu Konfetti zerrissene Weltliteratur ist schnell Firmins Wölfin, an der er wie Romulus und Remus seinen Hunger stillen kann.

Jam Savage heißt der Autor der komisch-verrückten Erzählung um ein außergewöhnliches Rattenleben, wie es zuvor kaum eines gegeben haben wird. Einzig Rémy, der rattige Sternekoch aus dem Pixar-Animationsfilm Ratatouille, kann wohl auf ein ähnlich aufregendes Leben zurückblicken, wie Savages tierischer Leser. Und was Rémy die Delikatessen der französischen Küche sind, sind Firmin die Meisterwerke der Literatur. Mit „Firmin. Ein Rattenleben“ debütierte der amerikanische Autor und stürmte sogleich die Bücherlisten. Dabei zählt Firmins traurig-amüsante Lebensgeschichte sicher nicht zu den Romanen, die man unbedingt lesen muss. Aber Leser, die gern in die Welt der Fantasie eintauchen, sind bei Savages Bestseller ganz richtig. Denn man muss „nicht alle Geschichten glauben, um sie lieben zu können“, wie selbst Firmin selbst in seiner diktierten Biografie erkennt.

Während seine Familie bei der erstbesten Gelegenheit den Keller der Buchhandlung mit der Unterwelt der Ratten tauscht, bleibt Firmin und wird zum heimlichen Interieur von Pembroke Books. Er sieht Buchliebhaber und Dealer zensierter Werke, alte Bücher und neue, Schund neben Weltliteratur. Firmin wird zum Experten in seinem Fach; kein Buch, in das er sich nicht vertieft. Die Monate vergehen und Firmin wird Zeuge des sozialen Niedergangs des Bostoner Stadtviertels, in dem der Buchladen liegt. Der Philosoph Sam Savage erzählt mit Firmins Leben den Untergang des berühmt-berüchtigten Vergnügungsviertels Scollay Square aus einer neuen Perspektive. Der Erlebnisse der Ratte sind daher nicht nur satirischer Ulk, sondern zugleich auch eine Anklage gegen den Ausverkauf der Kultur in der Moderne. Pembroke Books fällt mit dem ganzen Viertel dem Sanierungswahn der Bostoner Stadtverwaltung zum Opfer, die das schmuddelige, aber natürlich gewachsene Lokalkolorit am Scollay Square den Stahlbirnen der Abrissunternehmen überlässt. Auch Firmins intellektuelles Dasein findet mit dem Abriss des Viertels sein jähes Ende. Dass damit ein besonderes Rattenleben zu Ende geht, das zu erzählen sich lohnt, erfährt man zwischen seinem ersten und seinem letzten Atemzug, die knapp 200 lesenswerte Seiten voller Spaß am Leben und an der Literatur trennen. Thomas Hummitzsch
 

Sam Savage
Firmin. Ein Rattenleben
Aus dem Amerikanischen von S. Aeckerle, M. Balkenhol und H. Gieselbusch.
Ullstein-Verlag
Berlin 2008
216. Seiten
16,90 €.
ISBN 355008742X

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