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Drei Tage der Wahrheit Ein ehemaliger RAF-Terrorist wird begnadigt und verbringt mit seinen alten Weggefährten das erste Wochenende in Freiheit. Die Freunde ziehen gemeinsam Bilanz. Jörgs Begnadigung kam überraschend. Nach zwanzig Jahren Gefängnis entschied der Bundespräsident zu seinen Gunsten. Die Gefängnistüren sollten sich nur noch ein letztes Mal hinter ihm schließen, wenn er als freier Mensch auf der Straße steht. Dort erwartet ihn seine Schwester Christiane. Sie fährt mit ihm ein Wochenende lang in ihr Sommerdomizil im Brandenburgischen, um ihm dort im Kreise seiner engsten Freunde ein Ankommen im Hier und Jetzt der realen Welt zu ermöglichen. Bernhard Schlinks neuer Roman „Das Wochenende“ ist die Dokumentation dreier irrealen Tage und der an diesem Wochenende stattfindenden Begegnungen. Was empfindet der Mensch nach zwanzig Jahren Isolation? Wie fühlt er dieses plötzliche, tatsächliche Leben? Was denkt der, der einst aus Überzeugung gehandelt und dafür zwanzig Jahre abgesessen hat? Und was halten die einstigen Freunde, Weggefährten, Mitstreiter, Mitkämpfer von diesem jemand, der für sie gebüßt hat? Was halten sie aus der heutigen Perspektive von dem längst Vergangenen, dem sie sich nun noch einmal stellen müssen? Dies alles sind Fragen, auf die Schlinks neuester Roman aufbaut. Die große Problematik, die dabei im Raum schwebt, bleibt die Frage nach der Berechtigung des ultralinken Aufstands angesichts der globalen Ungerechtigkeiten – ein Thema, das heute so aktuell ist, wie schon vor dreißig Jahren. Nur das sie heute von ganz anderen Personen aufgeworfen wird. Es ist nicht mehr die radikale Linke oder die außerparlamentarische Opposition, die globale Gerechtigkeit fordern, sondern es ist das mittlerweile gesetzte links orientierte Bürgertum selbst, welches Kapitalismus, Liberalisierung und Globalisierung kritisch betrachtet. Das darin viele Altkommunisten inzwischen ihren wohligen Platz gefunden haben, ist Beweis genug für die Ironie der Geschichte. Eben dieses Bürgertum ist mit all seinen Konventionen nun in Jörgs Freundeskreis bestens vertreten. Henner ist inzwischen Journalist, Andreas hat es zum Rechtsanwalt gebracht und Ulrich betreibt mit seinen Dentallabors ein erfolgreiches Unternehmen. Ilse ist Lehrerin und würde liebend gern ein Buch schreiben und Karin Bischöfin einer Landeskirche. Wie in einem Kammerspiel lässt Schlink diese Personen nacheinander auftreten, präsentiert ihre Biografien und setzt sie wieder zueinander ins Verhältnis. Dabei kreuzen sich die alten Konflikte mit neuen Missverständnissen und Ansprüchen. Die Revolution aber haben alle hinter sich gelassen. Die Einladung der Schwester zu dem Begrüßungswochenende für Jörg passte nicht allen seiner Freunde. In den vergangenen zwanzig Jahren ist schließlich einiges passiert, ihr Leben ging – im Gegensatz zu Jörgs – einfach weiter. Insofern steht zu Beginn des Wochenendes die Frage nach dem Sinn der Zusammenkunft, Jahre nach der absoluten Trennung massiv im Raum. Was soll das alles, hatte man sich doch teilweise vollkommen aus den Augen und meist auch aus dem Sinn verloren. Schließlich bleiben alle, aus Bequemlichkeit und Nostalgie gemischt mit einer Portion Neugier und sozialem Gewissen (Welcher Linksintellektueller will schon einem Ex-Knasti offenkundig keine zweite Chance einräumen?). Und so beschäftigen sich die alten Freunde, die kaum noch etwas miteinander verbindet, ein Wochenende lang mit sich selbst. Die eigenen und die fremden Biografien werden infrage gestellt. Die Glaubwürdigkeit jedes Einzelnen steht auf der Kippe, sei es, weil man dem Terror schon seit Jahren abgeschworen und damit die alten Werte und Tugenden verraten hat, oder weil ein spätes Vergöttern eben dieser alten Ideale die vergangenen zwanzig Jahre unter der schützenden Decke der Bürgerlichkeit völlig delegitimieren. Und natürlich bleibt es nicht aus, das Schwelgen in den Erinnerungen, die doch auch positiv sind, schließlich habe man sich individuell befreit, die sexuelle Revolution am eigenen Leibe vollzogen und mitunter auch einigen Spaß gehabt.
Seinen erzählerischen und
emotionalen Höhepunkt hat der Roman wohl in der Begegnung Jörgs mit seinem Sohn
Ferdinand. Er macht der Augenwischerei des Wochenendes – im Sinne von „Es war ja
nicht alles schlecht bei der RAF. Und war es nicht auch eine aufregende und
tolle Zeit?“ – ein Ende. Ferdinand platzt förmlich der Kragen, als er den
versammelten Gästen und insbsondere seinem Vater deutlich macht, in welcher
Tradition ihr momentanes Verhalten steht: Dies ist einer der seltenen Momente, in denen Schlink nicht nur an der Oberfläche der Diskussion um die RAF kratzt, sondern zu einer möglichst umfassenden Betrachtung des deutschen Herbstes im Sinne einer geschichtsbewussten Einordnung der Verhältnisse kommt. In diesen Momenten ist Schlinks Roman ein gelungenes Panoptikum deutscher Geschichte, welches versucht, eine historische Brücke vom nationalsozialistischen Deutschland bis in die Gegenwart zu schlagen. In den Diskussionen der Freunde untereinander und mit Jörg versteigt er sich jedoch immer wieder in Plattitüden und Gemeinplätzen: „Heißt Gnade nicht: Mir geschieht’s eigentlich recht, aber ich bitte recht schön, dass man’s mir erspart?“ oder „Also natürlich sollte niemand kämpfen und sterben müssen, aber leider ist die Welt nicht so.“ Schlinks neuer Roman ist insofern keiner, der die Diskussion um den deutschen Herbst vorantreiben könnte. Bedenkt man jedoch, dass sein Welterfolg „Der Vorleser“ inzwischen allgemeine Schullektüre ist und Schülern das historische Wissen um die Judenvernichtung im Dritten Reich sowie den Umgang mit den Tätern anschaulich und einprägsam literarisch vermittelt, so kann „Das Wochenende“ einen ähnlichen pädagogischen Wert haben. Die Problematik der RAF, die Langzeitwirkung des deutschen Herbstes und die damit verbundenen gesellschaftlichen Fragen und Herausforderungen werden sind bei deutschen Schülern kaum bekannt und werden hier verständlich präsentiert. Vor allem junge Leser könnten mit Schlinks neuem Roman Anregung zur Reflektion dieser Zeit bekommen und somit in schulischer Begleitung ein Gespür für den damaligen Zeitgeist entwickeln.
Der Roman wird von der
hervorragend gelesenen Hörbuchausgabe begleitet. In 346 Minuten liest der
erfolgreiche Schauspieler Hans Korte auf unnachahmliche und faszinierende Art
und Weise Schlinks neuen Roman. Das Timbre in der Stimme des 79-Jährigen
verleiht der Erzählung eine ungemeine Glaubwürdigkeit und Authentizität, als
würde Jörg selbst im Nachhinein von dem Wochenende berichten. Die Ruhe und
Ausgeglichenheit des Lesetempos transportiert die Brandenburger Idylle in die
heimischen Wohnzimmer. Die insgesamt 225 Seiten von „Das Wochenende“ finden sich
auf fünf CDs wieder. Über die Aufteilung der einzelnen Kapitel auf die CDs
könnte man streiten, über die Qualität der Aufnahme und die Fähigkeit des
Vorlesers jedoch nicht. Das Hörbuch von Schlinks neuem Roman ist eine durchaus
lohnenswerte Ergänzung zu dem lesenswerten Roman über die Nachwirkung und
Bedeutung des deutschen Herbsts des 63-Jährigen Autors. |
Bernard Schlink |
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