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»Damit
du weißt, woher du kommst«
Stefan Möller über Ulrich Ladurners kleine Geschichte eines großen
Schauplatzes
»Solferino«
»Die Dinge waren schrecklich, doch hatten sie
eine gewisse Ordnung, auf die man sich verlassen konnte.«
Ein
Städtchen in der Nähe des Gardasees, Provinz Mantua, heute leben dort rund 2600
Einwohner. Am 24. Juni 1859 war es Schauplatz einer Schlacht zwischen Österreich
auf der einen und Piemont-Sardinien sowie Frankreich auf der anderen Seite.
Als Heerführer standen sich Kaiser
Franz Joseph von Österreich
und
Napoléon III.
gegenüber, die über mehr als 200.000 Soldaten befohlen. Die Front zog sich über
knapp 20 Kilometern hin; am Ende des Tages waren über 6.000 Soldaten tot,
weitere 30.000-40.000 verwundet. An den Folgen ihrer Verwundungen starben
anschließend mehr Soldaten als in der Schlacht.
Österreich verlor das Gemetzel und
in der Folge auch die Lombardei, für die Habsburgermonarchie war die Niederlage
der Anfang vom Ende, für Italien ein wichtiger Schritt zur nationalen Einheit.
Das sind die nüchternen Fakten.
Der zufällig anwesende Henry Dunant ist über die katastrophalen
Versorgungszustände nach der Schlacht derart entsetzt, dass er das Buch „Eine
Erinnerung an Solferino“ veröffentlicht. Darin unterbreitet er Vorschläge, wie
künftig Verwundete von neutralen Freiwilligen versorgt und geschützt werden
können. Diese Vorschläge führen zur Gründung des Roten Kreuzes und zu den Genfer
Konventionen.
Ulrich Ladurner, Auslandskorrespondent der ZEIT, schreibt in dem vorliegenden
Band eine private Geschichte des Schauplatzes. Die Reise nach Solferino ist
gleichsam eine Reise in die Vergangenheit seiner Familie. Ladurners Urgroßvater
nahm als einfacher österreichischer Soldat an der Schlacht teil, in seinem die
Zeiten überdauernden Tagebuch hielt er die Eindrücke seiner Militärzeit fest.
Jahre vor seinem Tod überreichte der Vater des Autors das Tagbuch mit den Worten
Damit du weißt, woher du kommst, aber erst nach dessen Tod schlägt er es
auf und beginnt zu lesen. Der Entschluss, an den Ort zu reisen, an dem das
Tagebuch meines Urgroßvaters seinen grausigen Höhepunkt erreichen sollte,
fasst Ulrich Ladurner exakt 150 Jahre nach der Schlacht von Solferino.
Er begibt sich
auf Spurensuche und entwirft ein ganz eigenes Bild, in dem historische Fakten
und die Vorstellung davon, wie der Einzelne Solferino erlebt haben könnte, sich
verbinden.
Spazierend bewegt sich Ulrich Ladurner durch die Straßen und Gassen. Inschriften
liefern ihm Bruchstücke, hinter denen sich Einzelschicksale verbergen. In
Gesprächen setzen sich Bilder zusammen, manche Geschehnisse lassen sich nur
verschwommen konstruieren. Starb Antonia Savio Cerini durch den gezielten Schuss
eines Österreichers, weil sie versuchte, Soldaten davon abzuhalten, das Vieh zu
stehlen? Oder starb sie durch eine verirrte Kugel, weil sie aus Neugier die
Fensterläden öffnete? Eine Bildunterschrift lässt auf letzteres schließen, die
zeitgenössische Propaganda wollte aus Antonia Savio Cerini eine Märtyrerin
machen.
Wenn Fakten
nicht greifbar sind, dann hilft die Vorstellung. Leerstellen werden so gefüllt.
Häufig spekuliert Ladurner, verlässt den sicheren Boden des Überprüfbaren,
imaginiert Situationen. Dass der Bericht dadurch nicht an Glaubwürdigkeit
verliert, ist der einfühlsamen Kunstfertigkeit des Autors zu verdanken.
Jahrbücher und Regionalia erzählen die Geschichte davon, wie ein kleines
Städtchen, durch Zufall auf die große Bühne der Geschichte gestoßen, mit dieser
Geschichte umgeht. Damit, dass die Bauern auch heutzutage noch Knochen von
Gefallenen im Boden finden. Zehn Jahre nach der Schlacht wurden mehrere tausend
Schädel und Knochen zusammengetragen und in der Knochenkapelle Ossario di
Solferino aufbewahrt. Als Besinnungsort der nationalen Identität gegründet,
findet sich aber auch die Widmung
DEN VEREINIGTEN
RESTEN
TOTER KRIEGER
WEIHET KRÄNZE
UND FROMME GEBETE
FEINDE IM KAMPFE
RUHEN SIE IM FRIEDEN DES GRABES
BEISAMMEN ALS BRÜDER
Dieser Gedanke,
der Feind ist kein Unmensch, und wir sind es auch nicht, durchzieht den
gesamten Text.
Das Tagebuch des Urgroßvaters zeichnet sich durch nüchterne Betrachtung aus, man
zog in den Krieg, weil der Kaiser es befahl. Die Gemeinden mussten eine
festgelegte Anzahl von Soldaten stellen, entschieden wurde durch das Los. Fast
akribisch werden die Preise für Wein an den einzelnen Stationen des Feldzuges
notiert, reflektiert wird nicht. Wie auch, in einer Zeit, in welcher der Gemeine
weder das Wissen noch die Worte hatte, das Große, das Ganze zu durchblicken und
zu beschreiben?
So fehlt es dem einfachen Soldat Peter Ladurner, von Beruf Schuster, an Hass auf
den Gegner, Tatsächlich findet sich im Tagebuch meines Urgroßvaters kein
einziges abschätziges Wort über die gegnerischen Soldaten. Vielleicht sind
die Betrachtungen des Urenkels darüber, dass Kriege damals nach Regeln geführt
wurden, an die man sich hielt und die in späteren Kriegen keine Gültigkeit mehr
hatten, naiv. Die Dinge waren schrecklich, doch hatten sie eine gewisse
Ordnung, auf die man sich verlassen konnte. Vielleicht ist dies aber auch
geprägt von der Tatsache, dass sowohl Großvater als auch Vater ihre Erlebnisse
im 1. und 2. Weltkrieg nicht mehr schriftlich festhielten und auch im Nachhinein
nie darüber sprachen.
Einfach und spröde die Sprache des Urgroßvaters, sprachlich zurückhaltend
hingegen, poetisch der Text von Ulrich Ladurner. Man sollte meinen, eine derart
schöne Sprache kann den Grausamkeiten des beschriebenen Ereignisses nicht
gerecht werden. Die Betrachtungen sind aber geprägt von Mitgefühl und dieses
transportiert Ulrich Ladurner. In einigen wenigen Passagen gleitet der Text ins
Sentimentale ab. Wenn zu lesen ist, das Rote Kreuz habe keine Kriege verhindert,
aus der kriegerischen Welt aber einen etwas weniger grausamen Ort
gemacht, dann wissen der Leser und auch der Autor, als Reporter in vielen
Krisengebieten der Welt unterwegs, es besser.
Mehr kann man diesem
kleinen, äußerst lesenswerten Buch aber nicht vorwerfen. Stefan Möller
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Ulrich Ladurner
Solferino
Kleine Geschichte eines großen Schauplatzes
Residenz Verlag
144 Seiten, einige Abbildungen
17,90 EUR
Leseprobe
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