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Zuckermanns
Ende Es sind nicht nur die Geschichten, die die Faszination und Spannung der Bücher von Philip Roth ausmachen, sondern vor allem eine Frage: Wie groß ist der Bezug zur Wirklichkeit, zur Realität, zu Philip Roth selbst? Wie der Amerikaner seit Jahren Autor und Protagonist durch die Handlung in eine symbiotische, um nicht zu sagen geschwisterliche Beziehung treten lässt, ist kaum annähernd in Worte zu fassen. Faszinierend, atemberaubend, fesselnd lesen sich diese Geschichten, in denen man meint, der Autor lege Zeugnis ab. In den Zuckermann-Romanen ist Roth dieser Kunstgriff besonders eindrucksvoll gelungen, so dass man sich während der Lektüre mehr als einmal in Erinnerung rufen muss, dass es sich um einen Roman, und nicht um einen Teil einer Autobiografie handelt. Und auch das neue Werk „Exit Ghost“, der sein Alter Ego Nathan Zuckermann in der „schlechtesten Verfassung seines Lebens“ auf die letzte Dekade seines Lebens zurückblicken lässt, ist voller Anspielungen und Parallelitäten, die auf den inzwischen 75jährigen Romancier schließen lassen. Roth kokettiert in seinem jüngsten Werk mit dieser selbst geschaffenen, vermeintlichen Geistesbruderschaft, diesem fiktiven „Gegenleben“ (1988). Nahezu spöttisch amüsiert sich Zuckermann stellvertretend für Philip Roth über seine Leserschaft: „Jedesmal, wenn ich ein Buch veröffentliche, denken die Leute, dass sie alles über mich wissen.“, nur um sie später zu ermahnen: „Ein Roman ist kein Beweis. Ein Roman ist ein Roman.“ Und so stellt Roth hier die Frage, wie viel des eigenen Selbst eigentlich Imagination und Einbildung ist und ob diese Vorstellung der Wahrheit denn tatsächlich weniger echt sei, als die Wahrheit selbst? Durch zwei finstere Täler lässt Philip Roth sein Alter Ego in dem neuesten Geniestreich aus seiner Hand wandern. Zum einen durch die Tiefen der unleugbaren Bewusstwerdung des körperlichen Verfalls und zum zweiten durch die bedrückende Schlucht der beruflichen und moralischen Bedrohung durch den literarischen Nachwuchs. Wer den Werdegang des Nathan Zuckermann begleitet hat, wird schon ahnen, dass das erstgenannte Tal die größere Tragweite für den Erzähler und Protagonisten besitzt, fehlen doch in keiner der Zuckermann-Erzählungen die amourösen und sexuellen Eskapaden und Phantasien des fiktiven jüdischen Schriftstellers. Wenn er hier nun, zurück in New York, erstmals leer ausgeht und vergeblich um die Gunst einer Frau buhlt, ist dies doch weniger seinen rhetorischen Fähigkeiten einer attraktiven Frau gegenüber geschuldet, als vielmehr der Tatsache körperlicher Unmöglichkeiten. Seit einer Prostata-Operation ist der schreibende Don Juan nicht nur mit der Funktionsunfähigkeit seiner Blase gestraft, sondern auch sexuell außerstande. In Hoffnung auf Erlösung reist er nach New York, um sich dort – vergeblich – in die Hände eines Spezialisten zu begeben. Die Großstadt fördert nur sein Leiden. In seinem ländlichen Exil im Westen von Massachusetts war der Zustand der Inkontinenz und Impotenz nur eine Misslichkeit, mit der er sich abgefunden hatte, in Manhattan jedoch löst der Verlust seiner Männlichkeit eine Misere aus: „In New York war es noch immer warm, und die Frauen waren auf eine Weise gekleidet, die ich nicht ignorieren konnte, sosehr ich mich auch dagegen wehrte, von ebenjenen Begierden erregt zu werden, die ich durch mein Leben in der Abgeschiedenheit eines Naturschutzgebietes bewusst zum Schweigen gebracht hatte.“ Zuckermann begegnet und verfällt in der Großstadt der jungen Jamie Logan, die er in fiktive Zwiegespräche verwickelt, um so zumindest einen mentalen Ersatz für den unmöglich gewordenen Liebesakt mit ihr zu finden. Der Triumph der Phantasie über den Verstand, die keine Rücksicht auf seine körperliche Unpässlichkeit nimmt und Nathan Zuckermann in eine tiefe Verzweiflung stürzt, macht nur einmal mehr deutlich, wie durch und durch menschlich Zuckermann ist. Und Menschlichkeit ist bei Philip Roth vor allem eins: „Der menschliche Makel“ (2002). Dieser besteht hauptsächlich im körperlichen Kontrollverlust und dem Obsiegen der Leidenschaften und Gelüste. Die Vitalität körperlichen Begehrens („Die Wucht der sexuellen Anziehungskraft lässt keinen Raum für Resignation.“) und die Fatalität körperlichen Versagens („Ich bin nicht mehr im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, meiner Männlichkeit und meiner Kontinenz“) könnten kaum besser gegenübergestellt werden. Seit „Sabbaths Theater“ (1996) vollführt Roth in seinen Romanen diesen Tanz auf dem Skalpell, dieses irrsinnige Wechselspiel zwischen sexueller (Wieder-)Belebung und körperlichem Versagen bis hin zum Tod, der Finalität allen Lebens. Der parallele Hergang handelt von einem Kampf um Macht zwischen Zuckermann und einem jungen, nachrückenden Journalisten und Autoren, Richard Kliman. Dieser ist zugleich Gegenteil und Spiegelbild Zuckermanns, strotzt er einerseits geradezu vor Männlichkeit und Potenz, trägt jedoch andererseits den Ehrgeiz eines jungen Literaten in sich, wie ihn Zuckermann einst selbst verkörperte. Das Drängen der jungen Autoren und deren Verteufeln der etablierten Schreiber im Hier und Jetzt definiert Zuckermann als die Rebellion der „Noch-nichts“ gegen die „Nicht-mehrs“. Während die „Nicht-mehrs“ Ruhm und Anerkennung genießen, leiden sie unter ihrem organischen Verfall, wohingegen die „Noch-nichts“ zwar vor Kraft strotzten, jedoch vollkommen ahnungslos gegenüber den Herausforderungen des Lebens sind. Mehr als einmal spricht Zuckermann seinem Kontrahenten in egoistischer Manier die literarische Eignung und ehrwürdige Gesinnung ab, will dieser doch ein angebliches inzestuöses Geheimnis des Schriftstellers und Zuckermann’schen Inspirators E.I.Lonoff (bekannt aus „Der Ghostwriter“, 1980) in einer Biografie entlarven. Letztendlich muss er jedoch feststellen, dass er nicht mehr die Kraft hat, sich dem jungen Widersacher erfolgreich entgegenzustellen. Wie sehr Philip Roth hier auch selbst Stellung bezieht, bleibt letztlich dem Urteil eines jeden Lesers überlassen. Spricht in Sätzen wie „Ich mochte mir im Verlauf von vierzig Jahren den Ruf erworben haben, ein Buch nach dem anderen schreiben zu können, aber ich hatte dennoch die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit erreicht.“ oder „Wenn man das Werk eines Schriftstellers zwanzig oder dreißig Jahre lang nicht mehr gelesen hat und dann ein solches Experiment unternimmt, weiß man nicht, was dabei herauskommen wird.“ vielleicht der Autor selbst über den Autoren? Nun, Philip Roth verneint und bejaht dies keineswegs. Einzig seine Äußerung in einem Interview mit dem New Yorker, dass er Natahn Zuckermann nicht nachtrauere und gespannt sein, wer und was ihn nun ersetze, lässt vermuten, dass er noch nicht an der Grenze seines literarischen Tuns angelangt ist. Und im Zweifel steht ja das große Wort „Roman“ unter dem Titel. In einer pragmatischen und klaren Sprache begleitet Philip Roth in „Exit Ghost“ sein Alter Ego in den Tod. Die metaphernreiche Sprache seines Frühwerkes ist hier von einem dringlicherem und eiligeren, jedoch nicht minder kraftvollerem Ausdruck verdrängt. Vielleicht will er auf diese Weise deutlich machen, dass nicht mehr viel Zeit bleibt – ihm nicht zum Schreiben und ganz gewiss auch dem Nobelpreis-Komitee nicht, das ihn seit Jahren aus Gründen politischer Korrektheit zugunsten lange unberücksichtigter Autoren übergeht. Alles ist endlich, ruft Roth so nicht nur dem Leser, sondern auch den Kritikern unserer Zeit in Erinnerung. Spätestens seit seiner Elegie auf das Altern („Jederman“, 2006), einem umwerfenden Roman über das Abschiednehmen und den Tod, gehörte Roth zum auserwählten Kreis der Favoriten für den kommenden Literaturnobelpreis.
In „Exit Ghost“ trägt
er nun mit Nathan Zuckermann eine der bedeutendsten Figuren der modernen
Literatur in schonungsloser Deutlichkeit zu Grabe. Mit diesem Roman wendet
sich Philip Roth unumstößlich dem Ende zu und verabschiedet sich aus dem
Kosmos sprühender Lebendigkeit, die künftig wohl nur noch als wehmütige
Erinnerung seiner Protagonisten eine Rolle spielen wird. Oder weiß Roth
seine Leserschaft immer noch zu überraschen? Man darf gespannt sein.
Zuckermanns Ende ist bedauernswert und doch verständlich – bei einem Autor,
dessen Romanfiguren auch gern einmal seinen Namen tragen. Philip Roth, der
Meister der fiktionalen Wirklichkeit, entlässt sein Alter Ego aus der
Pflicht. Es gab größere, bedeutendere und raffiniertere Romane aus seiner
Feder, doch keinen Unvermeidbareren, als diesen. „Exit Ghost“ ist das
bittere Ende, das dazugehört. Unumstößlich. Unausweichlich. Roth.
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