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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Frank Auerbach: Self-portrait 1958
Daniel Katz Gallery, London
© Frank Auerbach,
Photo: Prudence Cumings Associates Ltd


Unter die Haut von Mensch und Gemälde

Frank Auerbach im Bonner Kunstmuseum und in der Tate Britain

Von Peter V. Brinkemper

 

Frank Auerbach hat eine großartig unbarmherzige Art, seine Sujets und seine Modelle mit pastosem Auftrag, tiefschürfender Gravüre und seismischer Graphik - in vollem Widerspruch zwischen Konkret und Abstrakt - zu traktieren. Seine Titel im Falle von Detail-Studien lauten ja auch immer, sehr aktuell, »Kopf von E.O.W« und »Kopf von J.Y.M.«, gelegentlich »Kopf zurückgelegt«, als ob Realität, Leben und Tod, Liebe, Untreue und Trennung, Malerei und ihre Auslöschung aus dem jeweiligen Caput mortuum auf die Leinwand in ein endloses Tagebuch wichen. Das lebendig Fleischige bei Lucian Freud, das Schädelige bei Auerbauch, die durchbrochene Maske des gespiegelten Wahnsinns und Schreis bei Francis Bacon. Die drei genannten Wahrnehmungsetiketten stehen für unterschiedliche Methoden, die gegenständliche Realität, ihre fotografisch und malerisch vermittelte Abbildung und die Autonomie der Malerei zwischen impressionistischer Sensibilität und autonom expressivem Duktus in einem Spannungsfeld zu komprimieren. Auerbach gehört mit Freud und Bacon zur »School of London«. Der körperlichen und imaginativen Malweise seiner Kollegen setzt Auerbach eine implizite Epik und Geschichtlichkeit des sich aufbäumenden Materials entgegen.



Frank Auerbach, The Origin of the Great Bear, 1967-8, Öl auf Holz / Oil paint on board, 114,6 x 140,2 cm, Tate , © Frank Auerbach

Das Bonner Kunstmuseum zeigt Auerbachs Werke in Kooperation mit der Tate Britain, London (Bonn: 04.06.-13.09.2015, London: 9.10. 2015-13.3.2016). Auerbach wurde in 1931 Berlin geboren und überlebte durch den »Kindertransport« nach England, unter 10.000 Kindern aus Deutschland und den bereits besetzten Ländern 1938/39, den Holocaust, dem seine liberalen jüdischen Eltern von Wilmersdorf aus zum Opfer fielen. Seine jetzt gezeigten Werke stechen hervor durch ihre radikale Fokussierung von Form und Sujet und ihrem ungezähmt-widerspenstigen Charakter. Jedes Gemälde erweist sich als ein umkämpfter Übergang zwischen den visuellen Reminiszenzen der porträtierten Modelle oder der dem Atelier benachbarten Stadtarchitektur Londons und den im Bild vorherrschenden graphischen Zickzacklinien, Girlanden und ihrer Umgebung, der delikat klimatisierten Farb- oder Grauwerte des in schroffen Materialitäten auf- und abgetragenen und dann irgendwann so und nicht anders stehengelassenen Malprozesses. Alle Bilder sind Zeitbilder einer langfristigen Erarbeitung und dabei ebenso dynamische Augenblicke des Abbruchs. Auerbach konfrontiert verschiedene Intentionen miteinander, die anfängliche und dann immer mehr schwindende letzte realistische Erkennbarkeit weniger Bezugspersonen und Orte, ihre Auflösung in der Handschrift eines freien Bildes und die weitere kompositorische Behandlung zwischen Kreation und Vernichtung. Die Inszenierung treibt den Widerspruch in die Extreme. Dem Betrachter werden Dissonanzen im vollen Umfang zugemutet.

Die Malerei, scheinbar verbürgte Kontinuität von sorgsam von Hand aufgetragenen Materialien und Farben wird in einen diskontinuierlichen Prozess der Schichtung und Entschichtung verwickelt: Sie wird zu einer Art von offen-verdeckter Montage und Mehrfachbelichtung, bis hin zur Unkenntlichkeit, wie sie die frühe Moderne in bestimmten Sujets erahnen ließ. Wenn dies eine Art des gegenständlichen oder neusachlichen, post-coolen Expressionismus – unterbrochen von zahllosen Cuts, Breaks und Scratches und einer No-Way-Out-Karambolage oder Exhumierung wie bei einem Polit-Avantgarde-D.J. ist, dann geht es weder um den traditionellen Expressionismus mit seinen aus heutiger Sicht entgegenkommend symbolisch aufgeladenen Bild-Fragmentierungen, noch den meterlang sich austobenden abstrakten Pollock-Expressionismus bis zum tödlichen Unfall-Crash, weil die absolute Freiheit der Peinture durch die thematisch-gegenständliche Serialität und die kompositorische Komprimierung (auch verbürgt durch die autobiographischen Kürzel der Modelle und Titel der Bilder) wieder eingebunden und ausbalanciert wird. Pollocks Orgie im Raum findet bei Auerbach verhalten und unterbrochen in der Zeit statt. Die einmalige Signatur des multi-geschichtet-gecutteten Malens und der Decollage entrinnt ihrem unverbindlichen Verschwinden (was der Fall wäre bei stilistischen Anleihen, in der alten großformatigen reinen Abstraktion wie im geduldigen Aus- und Abmalen von (hyper-) realistischen Dingen), sie rebelliert gegen ihren Gegenstand ebenso wie gegen ihre eigene abstrakte Vollendung in einer bereits bekannten Gattung, sie lässt sich keineswegs dienstbar verkleinern, sie tritt aber auch nie geschmeidig in die reine Malerei ein, sie beruhigt sich nicht stilistisch in vordergründiger Erwartbarkeit und Erkennbarkeit. Das ist ihre hervorstechende, beunruhigende Wirkung. In einem Interview hat Auerbach ausgeführt, dass er früher William Turners shakespeare-hafte, vormodern-abstrahierende Leichtigkeit vorzog, aber in der Folge von John Constables tiefschürfendem, detailaufsaugendem romantischen Realismus gebannt war. Dennoch lässt er sich auf keine der Positionen festlegen, er denkt in gegensätzlichen Malerpaaren.
(
frank-auerbach-constable-turner-and-me-interview)

Die Wegnahme, der Raub der vermeintlichen Erfahrung gehört zu Auerbachs Kunst hinzu. In widerspenstigen Strichen bestreitet die Malerei von Anfang an das geschlossene Kunstwerk und den vollendeten Prozess zugunsten einer schroff in der Zeit springenden, offenen ästhetischen Wahrnehmung, die Autor und Rezipient auch am Ende, wenn es im Bild „nicht mehr weitergeht“, teilen. Auerbach gibt in geradezu schmerzhafter Vergrößerung und Sperrigkeit die seriell-variierende Handschrift des Malens als die eigentliche Zeit-Landschaft von einander sich verstärkenden und auslöschenden Zeichen zwischen Bedeutungstiefe und Bedeutungsverlust zu erkennen. Das Werk wird zum verzerrenden Objektiv, ja zum realen Tunnel, in dem Bild, Mensch und Stadt in einen dynamischen Wirbel und Wellenkrater breit aufgetragener Schichten und wuchernder Zonen und Bänder verschlungen und verformt werden, oder in letzten Ablagerungen von Sedimenten zu einem Stück bedrohlich mahnender Rest-Realität transformiert erscheinen. Die lebendige Auseinandersetzung von Subjekt und Objekt, Kunst und Geschichtlichkeit springt den Betrachter jederzeit an und lässt ihn nicht mehr los, weil sie seinen Blick unmittelbar unter die Haut von Mensch und Gemälde fahren lässt.  

Artikel online seit 14.07.15
 

 


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