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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Depressionsblues

In seinem Roman in elf Geschichten berichtet Imran Ayata
von »Ruhm und Ruin« rund um den Mikrokosmos Fußball

Von Jörn Birkholz

 

Im Roman »Ruhm und Ruin« des Berliner Autors Imran Ayata, erschienen im Verbrecher Verlag, erzählen elf Menschen ihre Geschichte, in der es sich fast ausschließlich um einen einst großen, aber mittlerweile etwas heruntergekommen Kiezklub dreht – der einmal sogar fast in die zweite Bundesliga aufgestiegen wäre. Aus elf Perspektiven kreist der Ball um den Mikrokosmos Fußball. Es geht um Integration, Migration, Vorurteile und die Identitätssuche in der neuen Heimat Deutschland (»Almanya«).

Da hätten wir am Anfang das talentierte Gastarbeiterkind Arda Toprak, der seine beginnende Karriere, nach einer Verletzung auch gleich wieder beenden muss. Der Junge teilt aus, gegen seinen Vater, gegen die Vereinsgründer, allen voran gegen Komünist Yusuf, den Vereinstrainer, und das in einem etwas bemüht wirkenden Jugendslang: »Grenzkontrolletti, Ostblockopfer, Chancenflash, Laberflash, Clubtür-Pitbull, Depressionsblues, Voll Panne, Komastyle, Almangorilla, Almantonner, Jugotretern, Rentnerporsche, Katzenferrari, Nicht Tiki-Taka, sondern Ficki-Micki«.

Ferner hätten wir seinen Vater, der alle seine Hoffnungen in den Sohn steckt, um so Anerkennung – besonders bei den Deutschen – zu finden, und der sich letztendlich, nachdem daraus nichts geworden ist und nach »’nem krassen Filmriss« in der Psychiatrie wiederfindet. Oder da hätten wir einen Schiedsrichter, der sich bei einem A-Jugend Spiel in irgendeinem Dorf gegen die rechten Anfeindungen der Fans behaupten muss. Meiner Ansicht nach, eine der gelungeneren Passagen des Buches. »Hitlergruß hin oder her – für einen Schiedsrichter verbietet es sich, Partei zu ergreifen. Dass ich ihren Torhüter des Platzes verwies, erwies sich als folgenschwer, denn drei Hitlergruß-Zuschauer stürmten auf den Platz und gingen auf die Spieler der Gastmannschaft los. Für mein Gefühl dauerte es einen Tick zu lange, bis die beiden Polizeibeamten Herr der Lage wurden. Sie riefen Verstärkung. Mir blieb keine andere Wahl, als die Partie vorzeitig abzupfeifen. Später eskortierte die Polizei die Großstadtmannschaft und mich aus dem Kaff hinaus (…) Die können für eine schönere Fußballwelt werben, so viel sie wollen, der Fußball kommt ohne Feindschaft und Hass nicht aus.«

Und da hätten wir den Kurden Zafer, einen ehemaligen Stammspieler von Diyarbakirspor (zweite türkische Liga) und Leichenwäscher, der sich nach dem UEFA-Cup Sieg von Galatasaray Istanbul in den Straßen von Berlin einige Biere genehmigt, ein Mädchen kennenlernt, bei ihr zuhause im Bett landet, leider nichts mit der Eroberung anzufangen weiß, aber bei ihr zum ersten Mal in seinem Leben »The End« von den Doors hört und das in Endlosschliefe (was ihm eine neue musikalische Welt eröffnet), am Morgen danach wieder verschwindet, seine Telefonnummer hinterlässt, keinen Anruf erhält, dem platonischen Zusammensein wochenlang nachtrauert, und sie später als Leiche im Bestattungsinstitut wiedersieht (was mit dem Mädchen passiert war, erfährt man nicht; oder ist es der normale Berlin Verschleiß?), und darauf nicht mehr in der Lage ist, sich auf Frauen emotional einzulassen. »Ich habe eine paranoide Angst vor Nähe.« Zafer, der jetzt ebenfalls für den Kiezklub spielt, und die Diskriminierung seiner zumeist türkischen Kollegen über sich erdulden lassen muss (»Für sie war und bleibe ich der bedrohliche Kurde«) fasst die Perspektivlosigkeit des Vereins in ein paar Sätzen treffend zusammen:

»Seine Vergangenheit mit den Heldengeschichten der ersten Jahre bringt ihn noch immer zum Strahlen. Doch genau das ist sein Verhängnis. Die Geschichten werden aufgeregt weitererzählt, als seien sie gestern passiert. Der Blick in die Vergangenheit fällt vielen leichter als der Blick auf die Gegenwart. Ironischerweise könnte der Verein von uns Kurden lernen. Unsere Geschichte hat uns gelehrt, an die Zukunft zu denken.«            

Im Klappentext von »Ruhm und Ruin« heißt es etwas unpräzise: »Elf Menschen, deren Leben sich um den Klub dreht, erzählen ihren Roman.« Meiner Ansicht nach, liefern sie einen »Lebens«- Bericht ab, der sich fast ausschließlich um diesen Kiezklub dreht, in dem beinahe nur Spieler mit Migrationshintergrund kicken, sowie das Buch ohnehin eher an einen Bericht, als an einen Roman erinnert. Dazu wirkt der Text sprachlich streckenweise leider etwas aufgesetzt. Der Ton bleibt weitestgehend gleich, was durchaus problematisch ist, da wir es hier mit elf unterschiedlichen Ich-Erzähler-Perspektiven zu tun haben. In »Ruhm und Ruin« dreht es sich um die Gepflogenheiten, Strukturen und Intrigen rund um diesen Fußballklub (dessen Name im Übrigen nie erwähnt wird). Die Figuren werden - abgesehen von Zafer und Ardas Schwester, die ein Modelabel gründen will - fast ausschließlich um diesen Mikrokosmos hin ausgeleuchtet, und das ist ein bisschen schade, gerne hätte ich noch etwas weiter über den Spielfeldrand geblickt und den Ball mal eine Weile zur Seite gekickt.

Artikel online seit 08.01.16
 

Imran Ayata
Ruhm und Ruin
Roman in elf Geschichten
Verbrecher Verlag
Hardcover, 200 Seiten
19,00 €
9783957321251

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