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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Tante Sibylles Kalendersprüche

In Sibylle Bergs neuem Roman entpuppen sich die Hammersätze
ihrer Desillusionisierungsprosa letztlich als luftige Hohlphrasen.


Von Andrea Diener



 

Normalerweise beginnt man so eine Besprechung damit, zu erzählen, worum es in dem Buch eigentlich geht, aber wir machen das heute einmal andersherum. Wir fangen mit der Sprache an, denn das ist es, was einen hereinzieht in diese Geschichte, was einen festhält. Und ziemlich lange geht man noch gerne mit und läßt sich Sätze um die Ohren prügeln, einen nach dem anderen, diese Sibylle-Berg-Sätze sind ja so schlagfertig und gnadenlos und irgendwie kommen sie einem wahr vor.

"Mein Widerwille ist kein Zeichen mangelnder Liebe, doch wünsche ich mir in der Stunde des Übergangs von Traum zu Tag nichts Organisches auf meinem Mund." Sagt Chloe. "Die zehn Touristen scheinen uns vom Einkommen und Alter zu gleichen, ich bin mir sicher, sie teilen unsere Weltanschauung: linksliberal, künstlerisch interessiert, impotent, zehn Jahre verheiratet, ein bis zwei Kinder, Eigentumswohnung, amerika- und israelkritisch, antikapitalistische Doppelverdiener." Sagt Rasmus. "Ich habe gelernt, dass sie sich vollkommen unberechenbar verhalten, diese liebevollen Gefühle, die einige Wochen anhalten, in denen ich Rasmus' Hand kaum aus meiner lasse, und am nächsten Tag habe ich ihn vergessen und er ist mir wie eine liebgewordene Pflanze." Sagt Chloe. "Nach Sport, Onanie, Haarhandtuch sitze ich fast immer auf der Toilette und bin schlechter Stimmung, die vielleicht dem Mittel gegen Haarausfall geschuldet ist." Sagt wiederum Rasmus.

Chloe und Rasmus reden auf ziemlich identische desillusionierte und misanthropische Art vor sich hin. Sie lieben sich auch irgendwie, wenn sie nicht gerade miteinander schlafen, was leider gar nicht gut funktioniert. Das hat es nie. Es war aber auch nie wirklich wichtig, am wenigsten Chloe. Chloe ist sowieso nicht allzuviel auf dieser Welt wichtig, außer Rasmus. Rasmus ist immerhin Literatur wichtig, Erfolg hat er damit aber immer weniger. Deshalb hockt er, einstmals Theaterregisseur des Jahres, jetzt in irgendeinem Entwicklungsland mit immerhin Strand und bringt benachteiligten und ziemlich desinteressierten Jugendlichen das Theater nahe. Zumindest versucht er es, so halbherzig, wie er alles im Leben angeht. Chloe und Rasmus sind zwei Menschen, die eigentlich nicht viel wollen, aber schon an ihren niedrigen Ansprüchen scheitern und dann halt so vor sich hinleben und diese Hammersätze heraushauen, aber nur in Gedanken, nur als Erzählstimme. Einander sagen sie so etwas natürlich nicht, dazu sind sie viel zu verdruckst. Und Verdruckstheit gehört eben dazu zum Bild des alternden, kinderlosen, bürgerlichen Paares.

Und leider drehen die beiden in ihrem ewigen Gedankenstrom irgendwann hohl. Es geht vielleicht gar nicht um sie, ahnt man nach so rund hundert Seiten, es geht auch gar nicht so sehr um Liebe oder Sex – es geht eigentlich um die Sprache. Chloe und Rasmus sind Pappfiguren, sind Stellvertreter eines diffus umrissenen Milieus, um das es auch nicht wirklich geht, das aber hin und wieder mit seinen typischen Versatzstücken zitiert wird: Ambitionierte Architektur, Designerkrempel, Bücher, irgendwie mittelalt und irgendwie mittellinks. Herrlich, da können wir alle verlustfrei drauf herabschauen und uns in irgendeinem Aspekt besser fühlen.

So richtig wichtig ist das Milieu aber weder der Autorin noch den beiden Protagonisten. Und die sind überhaupt nur da, weil irgendjemand ja all die schönen, harten Sätze in diesem Buch denken muß, die der Autorin zum Themenkomplex einfallen. Weil jemand diese Hohlphrasen, die Chloe und Rasmus immer wieder denken, dieses "ich bin noch nie mit meiner Umgebung eins gewesen", dieses "ich bin mir sicher, dass ich nie wieder an etwas Freude haben kann", das so banal ist, daß es wehtut – das muß ja irgendjemandem angeheftet werden, den man dann mitsamt seiner Kalendersprüche auseinandernehmen kann. Chloe und Rasmus sind die Bauernopfer dieses Buches. Besser, man verschwendet nur so viel Liebe an diese Figuren, wie es Sibylle Berg scheinbar tat: Sehr wenig.

In der Mitte des Buches, als man schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte, setzt dann plötzlich doch noch so etwas wie eine Handlung ein. Aus der Zweierkonstellation wird eine Dreiecksbeziehung, als Chloe zufällig einem osteuropäischen Masseur begegnet, der ihr endlich die Orgasmen verschafft, die sie nie hatte. Damit sind wir bei dem titelgebenden Tag angekommen, "an dem meine Frau einen Mann fand", der aber eigentlich als Tag nicht so wichtig ist, denn es handelt sich vielmehr um einen längeren Prozess mit Ausziehen und Schweigen und Drama und allem.

Wirkliches Interesse bringt Chloe für diesen jungen Mann allerdings nicht auf. Er aber, so will es die Geschichte, liebt sie anscheinend wirklich. Und Rasmus leidet vor sich hin, seiner Frau zuliebe. Zurück in Deutschland arrangiert man sich zu dritt auf Sofa und Ehebett und macht sich weiter so seine Gedanken, die allerdings jetzt deutlich weniger träge ausfallen. Das Ganze hat etwas von einem Laborversuch mit Ratten oder anderen nicht sonderlich denkbegabten Tieren, die ihre Situation nicht zu reflektieren vermögen. Und natürlich geht alles sehr, sehr schief.

Warum reden Chloe und Rasmus nicht? Warum tun sie nicht einmal irgendetwas aus eigenem Antrieb? Wenigstens was kochen, das kriegt doch heute jeder noch irgendwie hin? Warum finden sie kein bißchen Sinn oder wenigstens Sinnersatz in ihrem Leben? Warum ist diese Chloe so träge? Man müßte dem Roman diese Fragen stellen, aber da hat man sich schon zu sehr daran gewöhnt, diesem Paar absolut nichts zuzutrauen. Da weiß man schon, daß es nicht um die Figuren geht sondern um Polemik – gegen das Bild, das sich die Gesellschaft vom Sex macht, gegen alternde bürgerliche Paare und ein bißchen, wo wir schon dabei sind, auch gegen den Kulturbetrieb. Vermutlich hat diese Polemik in einigen Teilen recht, und auf jeden Fall enthält sie ein paar sehr schöne Sätze, die man sich gerne aufs Kissen stickt. Als Roman aber ist das Buch leider gescheitert – an einem zu schwachem Unterbau.

Artikel online seit 22.3.2015

 

Der Tag, als meine Frau einen Mann fand Sibylle Berg
Roman
256 Seiten
Hanser Verlag
Fester Einband
ISBN 978-3-446-24760-4
ePUB-Format
ISBN 978-3-446-24845-8

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