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Mikrokosmos der Tristesse
Eugène Dabit bemüht sich in seinem Roman
»Hôtel du Nord«
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Für Frankreich war Eugène Dabit (1898 – 1936) ein so bedeutender Schriftsteller, dass kürzlich ein Literaturpreis nach ihm umbenannt wurde: Aus dem »Prix du roman populiste« wurde im Jahr 2012 der »Prix Eugène Dabit du roman populiste«. Dabit war auch der erste, der die 1931 ins Leben gerufene Auszeichnung für seinen Debütroman »Hôtel du Nord« (1929) erhielt. Der Frankfurter Schöffling Verlag veröffentlichte diesen Roman jetzt in einer Neuübersetzung von Julia Schoch. »Hôtel du Nord« ist ein Gegenentwurf zu der gängigen Vorstellung der glamourösen Goldenen Zwanziger. Statt perlender Champagnerbrunnen beschreibt er den Alltag der Unterschicht, der von Armut, Krankheit und Arbeitslosigkeit beherrscht wird. Als Rahmenhandlung fungiert ein schäbiges Hotel im 10. Arrondissement von Paris, das von dem Ehepaar Lecouvreur gekauft wird. In diesem Hotel wohnen traurige Gestalten, die längerfristig möblierte Zimmer angemietet haben. Eugène Dabit ließ sich übrigens von seinem eigenen Leben inspirieren: Die Eltern des Franzosen betrieben ein Hotel, das als Vorbild für den Roman diente. Die Idee, die triste Realität der Menschen am Rande der Gesellschaft erzählen zu wollen, klingt gut, doch leider gelingt es Dabit nicht überzeugend. Zuviele Schicksale in zuviele Kapitel gequetscht, die weniger einem Roman als zusammenhangslosen Kurzgeschichten gleichen – von denen die wenigsten überzeugen. Die Zerstückelung der Handlung macht sich auch optisch beim Durchblättern bemerkbar: Die (ohne Nachwort) übersichtlichen 209 Seiten sind in 35 Kapitel unterteilt. Da jedes Kapitel auf einer neuen Seite beginnt, bleiben viele Seiten halb leer. Störend kommen außerdem die unzähligen Zeilenumbrüche hinzu, was den Lesefluss hemmt, -genuss mindert und wirkt, als wurde versucht, auf Seiten zu kommen? Mittels der zahlreichen Kurzgeschichten versucht Dabit, den Alltag möglichst vieler Personen der Unterschicht zu zeigen. Trotzdem wirkt der Roman erschreckend inhaltsleer, das Schema Neueinzug – Drama – Ende der Story - wiederholt sich viel zu häufig. Bis auf wenige Ausnahmen taucht kein Akteur zwei Mal auf, und so lässt den Rezipienten das Los der Charaktere kalt.
Die Figuren sind sehr
holzschnittartig gezeichnet, und vor allem Dabits Frauenbild erweist sich als,
sagen wir mal vorsichtig, antiquiert. Da ist zum Beispiel Lucie. Lucie ist ein
dummes Naivchen, das, sobald der Ehemann auf der Arbeit und sie somit alleine
ist, Angst bekommt. Sie begleitet ihn auf Schritt und Tritt, ist ohne ihn nicht
überlebensfähig. Ihr Mann geht regelmäßig Kartenspielen, und obwohl Lucie jedes
Mal neben ihm sitzt, versteht sie nichts, ist zugleich aber sein größter Fan.
»Lucie saß neben ihm auf der Bank und sah ihm zu, ohne etwas zu begreifen. Aber
wenn er gewann, klatschte sie in die Hände.« Natürlich mag man einwenden, dass
viele Frauen zu der Zeit in der Tat von ihren Männern abhängig waren. Aber auch
bei der Zeichnung autonomerer Frauen offenbart sich das misogyne Weltbild Dabits.
In den Roman schleichen sich außerdem Kontinuitätsfehler ein. Emile und Louise Lecouvreur, die Hotelbesitzer, gehören zu den wenigen Protagonisten, die in fast jedem Kapitel auftauchen. Ihr Sohn Maurice jedoch, der zu Beginn das Hotel zusammen mit seinen Eltern begutachtet, glänzt kurz darauf mit Abwesenheit und wird nie wieder erwähnt. Wohnt er auch in dem Hotel? Geht er zur Schule oder arbeitet er? Ist er auf einem Internat oder hat ihn eine Krankheit hinweggerafft? Wir erfahren es nicht. Auch stilistisch ist Eugène Dabit nicht immer sicher. Das mag teilweise an der Übersetzung liegen, aber nicht alle schiefen Formulierungen kann man Julia Schoch ankreiden. Der auffälligste Fauxpas ist die Antwort der Hotelbesitzerin Louise Lecouvreur auf die Frage, ob einer der verstorbenen Gäste einen Regenschirm hinterlassen habe. Ihre Reaktion lautet »???«. Zur Erinnerung: Wir befinden uns nicht in einem Comic oder gar einem experimentellen Roman, sondern einem konventionellen literarischen Text. Drei Fragezeichen als Gegenfrage ist stilistisch bestenfalls ein untauglicher Versuch, Originalität zu stiften.
Eugène Dabit bemüht sich
um einen Mikrokosmos der Tristesse, um das Abbilden möglichst diverser
Schicksale von Menschen der Pariser Unterschicht. Das ist wirklich schön
gedacht, aber leider in in vieler Hinsicht gescheitert. |
Eugène Dabit |
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