Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme





Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


Anzeige

Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

Ohne Versandkosten bestellen!
 



Der Jim Carroll unserer Zeit

Zu viele Drogen, zu viel Sex – ein iranischer Rockmusiker auf Abwegen.
In seinem Debütroman »Die goldenen Jahre« erzählt Ali Eskandarian
von seinem durchzechten Leben und zeichnet zugleich das Porträt
eines zerrissenen Mannes.

Von Isabella Caldart

 

Ali und seine Musikerfreunde, für ihn schlichtweg die „Kids“, leben in East Williamsburg, Brooklyn, und frönen dem schönen Leben. Auch wenn es immer an Geld mangelt, so mangelt es nie an genügend Alkohol, Drogen und willigen Frauen für die nächste Nacht. Mitunter geht die iranische Rockband doch auf Tour, um ihre leeren Kassen aufzufüllen. Und Ali flieht immer öfter aus New York.

Alis Leben ist von autodestruktivem Hedonismus geprägt, und doch reflektiert er mit erstaunlicher Klarheit über seine sinnentleerten Handlungen. „Warum wir mit unserem Leben nichts Sinnvolles anfangen können, bleibt mir ein Rätsel. Wir haben alle Mittel dazu und Kraft genug, aber stattdessen verweigern wir uns der Wirklichkeit, konzentrieren uns auf den Schwachsinn und vermehren ihn.“ Diesen Erkenntnissen folgt aber die nächste Party. Trotz seines widersprüchlichen Verhaltens ist Ali, das wird früh deutlich, auf der Suche nach Liebe und Authentizität, die ihm wechselnde Partner und Betäubungsmittel nicht ersetzen können. Als er einmal glaubt, die große Liebe gefunden zu haben, wird der Wunsch nach einem ursprünglichen Lebensstil am dringlichsten. Raus aus New York, dem Moloch der einsamen und kaputten Menschen, und am liebsten auf einem Biobauernhof arbeiten, danach sehnt sich der Protagonist. Seine jüngere Freundin ist nicht überzeugt – und auch diese Beziehung zerbricht, ein roter Faden im Leben des Sängers.

Während die sich oft wiederholenden Sexszenen und der übermäßige Drogenkonsum schnell langweilen, machen seine wahren Wünsche einen ungeahnt vielschichtigen Charakter aus Ali. Der (Teil-)Ursprung seines inneren Konflikts wird in einigen Rückblenden angedeutet. Seine Erinnerungen, leider zu kurz angeschnitten, sind die stärksten Szenen des Romans. Er erinnert sich an seine traumatische Kindheit während des Kriegs im Iran, vor dem er als Junge mit seinen Eltern in die USA flüchtete. Ali ist ein Entwurzelter, ein Gefühl, das er nicht abschütteln kann. Auch in seinem Alltag in New York umgibt er sich zumeist mit anderen Migranten, die ein ähnliches Schicksal teilen.

In kurzen, durch Hashtags unterteilten Kapiteln – „Die goldenen Jahre“ war ursprünglich als digitaler Fortsetzungsroman angelegt – erzählt der Musiker Ali Eskandarian eine stark autobiographisch geprägte Geschichte. Mit vielen Rückblicken und Zeitsprüngen beschreibt er die Nullerjahre des neuen Jahrtausends und bringt damit, man kann es durchaus so nennen, ein für diese Zeit typisches Lebensgefühl auf Papier. Eskandarian schreckt vor derben Begriffen und bunten Metaphern nicht zurück. Seine Sprache ist zwar nicht im feuilletonistischen Sinn literarisch, sie besitzt aber Kraft und Straßenpoesie – nicht umsonst lautet der Untertitel im englisch Original „Iranian Punk Beat Novel“. Damit erinnert er stark an die Memoiren des New Yorker Punkliteraten Jim Carroll, der in „Basketball Diaries“ ebenfalls von einem jungen Mann am Rande des Abgrunds auf der Suche nach Liebe und Authentizität erzählt.

Wo Ali Eskandarian seine literarische Karriere hingeführt hätte werden wir nie erfahren. Eskandarian wurde im Alter von 35 Jahren zusammen mit zwei Mitgliedern der iranisch-amerikanischen Band „The Yellow Dogs“ (den „Kids“ im Roman) im November 2013 von einem Bekannten in Brooklyn erschossen. „Die goldenen Jahre“ erschien posthum. Schade ist, dass einmal mehr der frühe Tod eines vielversprechenden Autors auf dem Klappentext im Vordergrund steht (Marina Keegan lässt grüßen) und nicht der Text, um den es gehen sollte.

Artikel online seit 02.12.15
 

Ali Eskandarian
Die goldenen Jahre
übersetzt von Robin Detje
Berlin Verlag
208 Seiten
20,00 €
978-3-8270-1266-1

Leseprobe


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten