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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Vielsagende Schweigsamkeit

Castle Freeman zeichnet in seinem Thriller »Männer mit Erfahrung«
ein düsteres Bild von Vermont.

Von Georg Patzer

"Eine Waffe ist nur dann gut, wenn man der Einzige ist, der eine hat", sagt Lester. Und dann treffen er, Nate und Lillian den Freund von Blackway, sitzen zusammen in einer Nische der Bar "Fort Bob", fragen ihn, wo sie Blackway finden können. Und als er nicht aufhört, Lillian zu beleidigen, greift Leser zum großen Bierkrug und schlägt ihn mit voller Wucht an Murdocks Kopf. Zerrt ihn aus der Nische und tritt mit voller Wucht auf Murdocks Knie: "Als Nate sie zur Tür rausschob, hörte Lillian ein Knacken. Es war das Letzte, was sie an diesem Nachmittag im Fort Bob hörte." Als sie im Auto sitzen, zeigt Lester das, was er in seiner Hand hält: Murdocks linkes Ohr. Und wirft es hinaus.

Es ist kein Ponyhof, dieses landschaftlich so schöne Vermont. Nicht, wenn man als Frau allein lebt, und Blackway einen verfolgt. Erst hat er Lillians Freund Kevin so eingeschüchtert, dass er plötzlich verschwindet, dann beobachtet er Lillian, sehr aufdringlich, schlägt eine Scheibe ihres Autos ein und bringt ihre Katze um. Lillian geht zu Sheriff Wingate. Aber der sagt, er könne ihr nicht helfen, das Gesetz habe keine Handhabe. Aber dann sagt er noch, sie solle zur alten Stuhlfabrik gehen und nach Whizzer fragen: "Sagen Sie ihm, ich hab Sie geschickt. Erzählen Sie ihm von Blackway. Und fragen Sie nach Scotty."

Die ehemalige Stuhlfabrik gehört Whizzer, der im Rollstuhl sitzt. Es ist nicht mehr viel zu tun, und so sitzen die Männer herum und erzählen sich Geschichten. Und wundern sich, als Lillian kommt und nach Whizzer und dann nach Scotty fragt. Und die Unterhaltung geht so:

"Kennen Sie Scott?", fragte die junge Frau. "Scott Cavanaugh?"
"Scotty?", sagte Whizzer.
"Klar. Klar kennen wir den."
"Ich suche ihn", sagte die junge Frau. "Ist er hier?"
"Sie suchen Scotty?", sagte Whizzer.
"Man hat mir gesagt, ich könnte ihn hier finden", sagte die junge Frau.
"Wer hat Ihnen das gesagt?", fragte Coop.
Die junge Frau antwortete nicht ihm, sondern Whizzer. "Das hat mir der
Sheriff gesagt", sagte sie.
"Wingate?", sagte Coop.
"Er hat gesagt, Scott Cavanaugh könnte mir vielleicht helfen."
"Tja, Scotty ist nicht da", sagte Coop.
"Er ist weggefahren", sagt D.B. "Nach White River."
"Er besucht da seinen Bruder", sagte Coop.
"Nicht seinen Bruder, sondern seinen Onkel", sagte D.B. "Dessen Tochter im
Krankenhaus war. Das ist Scottys Onkel."
"Was ist denn mit der Kleinen?", fragte Conrad.
"Also ...", setzte die jungen Frau an.
"Ich dachte, das wäre sein Bruder", sagte Coop.
"Ist er aber nicht", sagte D.B.
"Leukämie", sagte Whizzer.
"Ach du Scheiße", sagte Conrad.

Scotty jedenfalls ist nicht da, kommt erst am Nachmittag wieder. Die Männer wissen bereits, dass sie wegen Blackway beim Sheriff war. Und dass sie Hilfe braucht. Statt Scott helfen ihr jetzt der alte Lester und der riesige Nate, Nate the Great, der etwas dumm scheint, aber keine Angst vor Blackway hat und sehr kräftig ist. Denn Blackway steht über dem Gesetz. Er nimmt sich, was er will. Er tut, was er will. Und niemand kommt ihm bei. Aber diesmal, da sind sich die Männer einig, ist er an die Falsche geraten.

Castle Freemans Buch "Männer mit Erfahrung" ist ein lakonischer Krimi oder Thriller oder moderner Western, die Geschichte, wie ein paar Männer und eine Frau das Recht in die eigene Hand nehmen, weil sich sonst niemand traut. Lakonisch ist sogar noch untertrieben, aber es gibt da keine Steigerungsform. Wer den Film "Fargo" von den Coen-Brüdern gesehen hat, kennt diese Art von vielsagender Schweigsamkeit. Und die Art von manchmal düsterer Einsamkeit, der die Menschen umweht. Und was passiert, wenn man einmal einen Schritt zu weit gegangen ist. Wie Blackway, der die falsche Frau bedroht, eine, die nicht wegläuft. Oder die drei, die ihn jagen, Lester, Nate und Lillian. Ein Schritt zu weit, und es gibt kein Zurück mehr. Deswegen holt Lester auch noch eine alte Schrotflinte, die er von seinem Onkel geerbt hat. Weil er weiß, wie es enden wird.

Zusammen fahren sie durch ein Land, das arm und trostlos ist, begegnen Menschen, die keine Perspektive mehr haben. Schlagen Blackways Freunde zusammen, damit sie ihnen nicht folgen können. Und als sie Blackway finden, in der einsamsten aller einsamen Gegenden mitten im Wald, kommt es zum Showdown und einem Hinterhalt, und Blackways Kopf rollt ein wenig von seinem Körper weg.

"Blackway hat nicht damit gerechnet, dass ein anderer genauso weit gehen würde wie er", sagt Lester. "Manchmal macht der übelste Kerl von der ganzen Gegend diesen Fehler, und das ist dann die Gelegenheit für den zweitübelsten."
"Und der zweitübelste sind Sie?", fragte Lillian.
"Jetzt nicht mehr", sagte Lester.

In zwei Erzählsträngen präsentiert Freeman das Leben der Armen in Vermont: Brillant schneidet er die Suche nach dem Bösewicht gegen die Plaudereien der Männer in der Fabrik. Erzählt nebenbei von der Hoffnungslosigkeit, von der Einsamkeit, von der Verständnislosigkeit der Neuzugezogenen wie Conrad, verheiratet mit Whizzers jüngerer Schwester, der bei allen Andeutungen nachfragen muss, weil er die Geschichten nicht kennt. Erzählt vom Niedergang des ländlichen Amerika, von den aufgegebenen Fabriken, von der alles beherrschenden Arbeitslosigkeit, den Drogen, der Korruption und der allgemeinen Verrohung. So wie das "Fort", das einmal eine Autowerkstatt war und jetzt eine Kneipe und ein Bordell ist: "Schlicht und effizient, eine Stätte der Herstellung und Wartung von Säufern".

Der schmale Roman wurde letztes Jahr mit Julia Stiles als Lillian, Anthony Hopkins als Lester und Ray Liotta als Blackway verfilmt.

Artikel online seit 24.06.16

 

Castle Freeman
Männer mit Erfahrung
Roman
Übersetzt von Dirk van Gunsteren
Verlag Nagel & Kimche
176 Seiten
18,90 Euro

Leseprobe

 


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