Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme





Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


Anzeige

Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

Ohne Versandkosten bestellen!
 



Zwischen Gut und Böse

Cynan Jones neuer Roman »Graben«.

Von Louisa Klein

 

»Als der Mann verschwunden war, merkte Daniel, wie eine Adrenalinwelle ihn überschwemmte. Als hätte man ihm eine Drohung hinterlassen. Die alten Geräte standen auf der anderen Seite des Schafstalls. Daniel hatte Angst, dass der Mann ein Auge darauf geworfen hatte. Er konnte das Auftauchen des Mannes nicht von dem Ausgraben des Bruchstücks trennen. Als hätte es ihn herbeigerufen.«

Daniel und der »große Mann« könnten unterschiedlicher nicht sein. Beide leben in einer ländlichen Gegend in Wales und gehören dem Typus des wortkargen Walisers an, den die raue Landschaft hervorgebracht hat. Beide haben jedoch unterschiedliche Wege, sich in die umgebende Natur einzufügen. Daniel, der sanfte Farmer, betreibt mit viel Hingabe und unglaublicher Kraftanstrengung eine Lammzucht, päppelt hoffnungsvoll auch die schwächsten Lämmer auf und muss nebenher den frühen Unfalltod seiner Frau verarbeiten. Der »große Mann« hingegen bringt Tod und Verwüstung in die walisische Landschaft. Als brutaler Dachsjäger hat er sich in gewissen Kreisen einen Namen gemacht und liefert Dachse für illegale Massaker. Bedeutsam scheint für ihn nur das Leben seiner abgerichteten und damit erst des Lebens würdigen Terrier. Der »große Mann« bleibt während des gesamten Romans namenlos, so als wäre es Jones nicht gelungen, eine passende Benennung für solch einen grausamen Charakter zu finden, der am liebsten alles Lebende zerstören würde. Dass Daniel und der »große Mann« zwangsläufig aufeinander treffen werden, scheint unausweichlich.

»Graben« handelt nicht nur von den Biographien der beiden Männer und einer Art imaginärem Graben, der zwischen zwei so grundlegend unterschiedlichen Menschen einfach bestehen zu müssen scheint. Ein Graben ist auch die emotionale Schwelle, die beide Protagonisten und ihre Gefühle von ihrer Umwelt trennt. Beide sind unfähig, Emotionen mit anderen zu teilen. In ihrem Inneren jedoch spielt sich ein Sammelsurium von Gefühlen ab, das beide nicht nach außen transportieren können. Daniel leidet unter dem tragischen Tod seiner Frau, lässt nach außen jedoch keine Trauer zu. Auch der »große Mann« zeigt Gefühl in Form von Angst, Angst vor der erzwungenen Nähe zu anderen Menschen im Gefängnis, welche ihn erwartet, sollten seine illegalen Dachsjagden auffliegen.

Jones vierter Roman ist ein Buch voller Widersprüche: brutale Dachsjagd und hingebungsvolle Schafzucht, gefährliche, blutlüsterne Hunde und sanfte Lämmer. Daniel, der sich für das Leben einsetzt, und der »große Mann«, der es kalt auslöscht.

Das Böse scheint omnipräsent zu sein, in allen Formen: der grausame »große Mann«, die unbekannten Männer, die sich Dachse liefern lassen, um ihre Hunde ein blutiges Spektakel verrichten zu lassen. Selbst die Welt Daniels, die in dem Roman für das Gute steht, verschont das Böse nicht. Es tritt in seine Welt in Form des launischen Pferdes, das seine Frau mit einem Tritt tötet - eine Frau, die ihr ganzes Leben auf Farmen verbrachte und ihr gesamtes Dasein Tieren gewidmet hatte. Stellvertretend für Gut und Böse stehend, nähern sich die beiden Erzählstränge um Daniel und den »großen Mann« langsam einander an, das Aufeinandertreffen der beiden Charaktere ist unumgänglich. Früh weiß der Leser, dass das Ende kein Gutes sein kann, wenn das Böse dem Guten gegenüber stehen wird.

Cynan Jones versteht es, zu erzählen. Seine sehr detailreiche Sprache ermöglicht es dem Leser, sich selbst zu fühlen, als stünde er mit Daniel zusammen in dem Farmhaus oder begleite den »großen Mann« auf Dachsjagd, insbesondere durch die Beschreibung von sinnlichen Wahrnehmungen wie Riechen, Fühlen, Hören, die den Leser sofort in die walisische Landschaft versetzen. Auch scheinbar unwichtige Beobachtungen, wie eine Beschreibung von Daniels einseitig abgetretenen Schuhen, tragen zur Authentizität des Romans bei. Jones‘ klare und rationale Sprache passt zu den wenigen Gefühlsausbrüchen der beiden Protagonisten. Auch bei der Schilderung schockierender Szenen behält er diesen nüchternen Stil bei, sei es bei der Dachsjagd, oder als Daniel den Kopf einen missgebildeten Lamms, das noch im Geburtskanal steckt, absägen muss, um die Mutter zu retten. Szenen wie diese wirken jedoch nie abstoßend oder provozierend gewaltsam, weil man selbst so in den harten Alltag des Farmlebens eintaucht, dass sie einem notwendig, wenn nicht gar normal erscheinen.

Jones schafft es, den Leser auf einen kurzweiligen und fesselnden Ausflug mit in die raue Walisische Landschaft zu nehmen. Der 174 Seiten umfassende Roman lässt sich gut an einem Sommernachmittag lesen. Man sollte jedoch auf kalte Schauer gefasst sein, die einem ab und an über den Rücken laufen können.

Artikel online seit 21.05.15
 

Cynan Jones
Graben
Roman
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Liebeskind
176 Seiten,
Gebunden mit Schutzumschlag
€ 16,90
978-3-95438-039-8

Leseprobe

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten