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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Tot und sorglos

Zwischen einem brutalen Dachsjäger und einem aus der Bahn geworfenen
Schafzüchter entfesselt Cynan Jones in seinem neuen Roman »Graben« eine
dynamische Energie, die sich in einem alles umkehrenden Aufprall entlädt.

Von Mirjam Schmitt

Die menschliche Grausamkeit bleibt unübertroffen. Das schleudert uns der Prolog von Cynan Jones Roman Graben, mit einer schonungslosen und präzisen Erzählweise entgegen. Er ist quälend, weil sich das Vorstellungsvermögen unter den Beschreibungen von zerfetzten Lefzen, blutverschmierten Zitzen, gehäuteten Hinterläufen eines trächtigen Dachses windet. Er ist schockierend, weil die Rohheit und Pietätlosigkeit des Menschen, der diese Verstümmelungen zu verantworten hat, nicht fassbar ist. Und er kommt holprig daher, als würde sich auch die Stimme des Autors nach und nach auf diese Brutalität einstellen müssen. Aber obwohl die erste Szenerie dieses grandiosen Werkes widerwärtig und abstoßend ist, so besitzt sie zugleich eine dunkle, tiefe Anziehungskraft – eine unheilvolle Sogwirkung.

Der Eintritt in eine beinahe stillstehende heile Welt erlöst vom Schrecken des Einstiegs. Ein Schafszüchter geht seiner Arbeit nach. Es ist die Zeit des Ablammens im walisischen Schottland. Dass die Welt im Kopf des Mannes tatsächlich stillsteht, während er auf eine archaische Art und Weise dem Lauf des Lebens zu folgen gezwungen ist, erfährt der Leser nicht sofort. Die Gewohnheiten und Eigenarten der Frau, um die sich die Gedanken Daniels kreisen, sind im Präsens gedacht. Jones bereitet uns nicht vor, lässt uns für kurze, aber ausreichende Zeit in dem Glauben an ihre Gegenwart, und suggeriert so eine friedliche Normalität. Ein einziger Satz zerstört diesen Glauben in einer Unmittelbarkeit, die die man empfindet, wenn man einen großen Verlust zu realisieren beginnt. Während der Schafszüchter neuem Leben in die Welt hilft, stellt er sich geradezu stoisch dem Tod seiner Frau.

Die Geschichte zweier Männer unterschiedlichen Ursprungs und entgegengesetzter Intention verwebt sich mit jedem Schritt, lässt nach und nach eine Konfrontation unvermeidlich werden. Nicht, weil sich die Männer als dezidierte Gegner, als Personifizierung des Bösen und des Guten, des Starken und des Schwachen begegnen müssen. Für ein solches Schema sind die Charaktere zu komplex, in sich zu gespalten. Der eine ohne Mitleid, sinnlos grausam und undurchsichtig, furchterregend und doch im eigenen Gejagt-Sein seltsam einsam. Wenig erfahren wir über den Charakter oder die Motive seines Handelns; die Beschreibungen bleiben so verschlossen, wie der Mann selbst. Eine Empathie ist von vornherein völlig ausgeschlossen. Der andere dagegen wirkt sensibel, fast schwach, ohne aber gänzlich zusammenzubrechen. Er ist in seiner Trauer und Verpflichtung gefangen und von einer subtilen, aber wachsenden Todessehnsucht erfüllt. Auch ihn, Daniel, verstehen wir nicht völlig, aber der Zugang ist da, Daniel ist menschlicher. Zu einer Begegnung der Figuren kommt es, weil sich die Schicksale beider Männer gegenseitig bedingen. Der Jäger muss zum Gejagten werden, schwebt von Anfang an schon in dieser Gefahr, und der von Kummer Heimgesuchte kann nur nach Erlösung streben – eine Erlösung, die er in einem finalen Aufprall sucht.

Meisterhaft versteht der walisische Autor mit seinem vierten Roman das Unausweichliche zu beschwören, ohne es konkret zu benennen. In einer ebenso rohen wie sensiblen Sprache schickt er sterbende schwarze und janusköpfige Lämmer als Vorboten, auf das was kommen mag, lässt Dachse und Menschen wieder und wieder in ihrem Ausgeliefertsein kämpfen und erstarren. Der tiefe Graben, das ist die Ausweglosigkeit von Mensch und Tier, der sie sich stellen müssen. Wenn zu Beginn noch leicht stotternde Vergleiche auftauchen, manche Worte grob und fehl am Platz wirken, so schafft Jones mit jeder Seite einen nachdrücklichen Stil voller Metaphorik und Analogien, ohne dabei seinen Text zu überfrachten. In einer atmosphärischen Dichte zeichnet Jones gekonnt zwei Schicksale bis zu ihrem Ende. Sorglosigkeit – ein Zustand den Daniel an einem verstorbenen schwarzen Lamm beneidet und nach dem er sich selbst verzehrt – wird der Leser bei der Lektüre von „Graben“ nicht empfinden. Die Grausamkeit des Menschen bleibt unübertroffen. Der dumpfe Taumel, in den Cynan Jones uns stürzt, bleibt es auch. Ein intensives Faszinosum, das festhält und erschüttert.

Artikel online seit 21.05.15
 

Cynan Jones
Graben
Roman
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Liebeskind
176 Seiten,
Gebunden mit Schutzumschlag
€ 16,90
978-3-95438-039-8

Leseprobe

 


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