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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Keine andere Wahl, als es ernst zu meinen

Die Erzählung »Fotzenfenderschweine« erzählt die schwierige
Liebesgeschichte der Almut Klotz' und Christian Dabeler genannt
»Reverend« und ihren Weg als Künstlerin in der Indie-Pop-Szene.


Von Lothar Struck

 

Unter dem 20. August 2013 steht im Online-Tagebuch von Wolfgang Herrndorf nur ein Wort. Es ist zugleich der letzter Eintrag: "Almut." Wenige Tage zuvor war die Schriftstellerin und Musikerin Almut Klotz ihrem Krebsleiden erlegen.

"Klotz und Dabeler" – so "firmierten" seit Mitte der 2000er Jahre die Unternehmungen, die Almut Klotz zusammen mit ihrem langjährigen Lebensgefährten und späterem Ehemann Christian Dabeler, genannt "Reverend", initiierte. Neben zahlreichen Auftritten waren dies zwei Bücher (2005 der Roman "Aus dem Leben des Manuel Zorn" und drei Jahre später ein wunderbar leichter, mit sanft-robuster Melancholie durchzogener Erzählband "Tamara und Konsorten") und vier Musikalben, wobei das letzte, Lass die Lady rein (als Almut Klotz & Reverend Dabeler) erst kurz vor ihrem Tod fertiggestellt wurde.

Klotz wurde 1962 geboren und kam Mitte der 1980er Jahre aus der badischen Provinz nach Berlin. Mit Christiane Rösinger gründete sie die Band Die Lassie Singers (der auch kurz Funny van Dannen angehörte) und betrieb das Platten-Label "Flittchen Records". 2001 begann sie mit dem Popchor Berlin bekannte Lieder in Chorarrangements zu covern und legte in Clubs auf.

Da man Etiketten braucht, nannte und nennt man solches Kunstschaffen "Indie", eine Zuschreibung, mit der etliche Protagonisten auch gleich den Status der Avantgarde für sich reklamieren. Die Emanzipation eines/einer Künstler/in bestünde darin, sich von dem "Indie"-Etikett zu befreien und die Erwartungshaltungen der Szene (die sich im Grunde nur antagonistisch von denen des verhassten "Mainstream" verhalten) nicht mehr zu erfüllen. Von dieser Selbstfindung zur Künstlerin handelt das posthum nun im Verbrecher-Verlag die von Aaron Klotz (Almut Klotz' Sohn) und Christian Dabeler herausgegebene Erzählung "Fotzenfenderschweine".

Jörg Sundermeier weist in seinem Nachwort darauf hin, dass an dem unvollendeten Buch bis auf einige grobe Fehler nichts verändert worden sei. Man merkt es an einigen ungelenken Formulierungen und vor allem an den drei x, die die Autorin immer dann gesetzt hatte, wenn ihr etwas nicht sofort erinnerlich war. Aber dieses Unfertige stört das Vergnügen, die sich bei dieser Lektüre einstellt, nicht im Geringsten.

Eine Lesefreude die sich nicht trotz sondern wegen der raubeinigen Zärtlichkeit einstellt, die Almut Klotz ihrem "Reverend" Christian Dabeler entgegenbringt und die das Wesen dieser Beziehung ausmachen wird. Am 17.03.2002 besuchte sie diesen Mann zum ersten Mal in Hamburg. Und damit begannen Enttäuschungen und Verzückungen, Freud und Leid, das Streiten und Versöhnen; letzteres wiederum barg den Keim zum nächsten Streit in sich, kurz: eine Liebschaft, die eben auch künstlerisch für beide Seiten immens fruchtbar war, denn Dabeler wird durch Klotz trotz Alkohol und katastrophaler Orthographie zum Schriftsteller und Klotz findet dank Dabelers musikalischem Perfektionismus eine neue Ästhetik jenseits aller Genres

Aber ist dieses Buch überhaupt eine Erzählung? Oder eher Reportage oder Bericht? Almut Klotz gibt sich keine Mühe einer Distanzierung von ihrer Ich-Figur. Sie ist "Ich" und das Leben hat sich derart zugetragen. Und so man wird Zeuge von dieser Gemein- und Liebschaft ohne Kompromisse, sei es was Kinoabende angeht ("Vollkatastrophe"), die Kindererziehung der anderen (die, so Reverends feste Überzeugung, alle scheitern), die Selbstbezichtigung als "Rocker" ("letztendlich immer der Loser, weil er überhaupt nicht bereit ist, den Preis der Verlogenheit zu zahlen, um gewinnen zu können") oder die Berliner Indie-Szene, die ihn, den konsequenten Hanseaten, in ihrer Piefigkeit anekelte. Alle bekommen ihr Fett weg: die Frank-Zappa-Groupies, die diesem bürgerlichen Bürgerschreck nachäffen und dabei, wie Klotz ergänzt, "in ihren Opel Kadetts…und in der Disco mit Händen und Füßen getanzt haben, wobei ihre Bewegungen merkwürdig verkrampft aussahen" und "unbedingt die Kontrolle über sich verlieren wollten und es einfach nicht schafften". Oder die "linken Moralapostel", die "Theaterstücke über Integration machen…die dann vom Feuilleton artig beklatscht werden."

Manchmal hadert Klotz, etwa wenn der Reverend von der Denktotalität in der Szene spricht und postuliert, dass "die meisten [ihrer] Künstlerbekannten zu Zeiten der Naziherrschaft unter deren Fahne agiert haben würden". Dann gibt es heftigen Widerspruch zu dieser (dann auch wieder im Stillen bewunderten) Mischung aus Stammtisch und Dialektik nebst "starke[r] Tendenz ins Paranoide". Themen wie der Mensch ("nicht zivilisiert"), Moral (ein "Zwangsmittel") oder Bürgerlichkeit ("die Machtergreifung der Durchschnittlichen gegen die Außergewöhnlichen") werden in Bausch und Bogen abgehandelt. Und fast immer findet sie (und mit ihr der Leser) mehr als nur ein Gran Wahrheit selbst dort, wo man eigentlich nicht mehr zustimmen möchte und empört abwehrt.

Literarisches und Dokumentarisches verschmelzen in großer humorvoller Ernsthaftigkeit ohne jene dauerironischen Attitüden wie sie talentlosen sogenannten Popliteraten inzwischen eigen zu sein scheint. In Reverends heiligem Zorn und Almuts Dagegenhalten geht es immer um Alles. Schon in der Erzählung "Herman Brood Ballade" aus dem Band "Tamara und Konsorten" haben Klotz/Dabeler gibt es eine Figur, die unabhängig der Konsequenzen wesenhaft keine andere Wahl hatte, "als es ernst zu meinen".

Darin erinnert "Fotzenfenderschweine" an die Bücher des kürzlich verstorbenen Schriftstellers Wolfgang Welt, der ebenfalls Erlebtes und Literarisches kunstvoll-ungekünstelt ineinander verwob. Marc Degens nannte Welt einen "Klartext-Autor, dessen Kunst in der Verknappung, Verdichtung und Vereinfachung bestand". Genau dies gelingt Almut Klotz in den besten Momenten dieses Buches, mit dem Unterschied, dass Welt nur sich als Figur hatte, während Klotz noch den "Klartext-Autor" Reverend beschrieb.

Das Buch ist nicht nur Entwicklungsroman einer Künstlersymbiose und Denkmal einer Liebe (Jörg Sundermeier), sondern auch ein Abschied an das Leben. Klotz hatte sich mit ihrem Krebs abgefunden, aber es gibt keine Nabelschau, keine Larmoyanz. Nur einmal fällt, wie nebenbei, das Wort "Chemotherapie". Adjektive wie "schonungslos" oder "offenherzig" sind dennoch Pleonasmen. Schließlich würde niemand ein Märchenbuch märchenhaft nennen. Es ist das Prinzip dieser Prosa, authentische Ereignisse mit großer Wahrhaftigkeit literarisch zu verdichten. Das ist kein Dokumentarismus, das ist Literatur. Und Almut Klotz' "Fotzenfenderschweine" ist in diesem Sinne verdammt gute Literatur. (Und das, obwohl sich mir der Titel trotz der Erläuterungen im Buch nicht erschließt. Aber man muss ja nicht alles verstehen.) 

Artikel online seit 27.07.16
 

Almut Klotz
Fotzenfenderschweine
Verbrecher Verlag
144 Seiten
19,00 €
9783957321657

Leseprobe

 


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