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Aus dem Land der Richter und Henker Gibt man dem Menschen Macht, nutzt er sie. Jeder die seine.
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Es muss irgendwann im Jahr 1779 gewesen sein, Goethe hatte seine frühen Glanztaten bereits hinter sich und war seit vier Jahren Geheimer Rat in Weimar. Er kehrte gerade von einer Reise in die Schweiz zurück und auf Einladung Carl Eugens, Herzog von Württemberg, in dessen herzoglichen Militärakademie ein. In der versammelten Menge, die den verehrten Werther-Dichter, dem dieses ganze Zeremoniell bloß fade Pflicht war, begeistert empfing, saß auch ein junger aufstrebender Dichter namens Friedrich Schiller. Unweit dieser Szenerie auf dem Hohenasperg befand sich seit zwei Jahren auf Geheiß des großzügig einladenden Herzogs der Dichter und Komponist Christian Friedrich Daniel Schubart in Kerkerhaft und sollte dort noch acht weitere Jahre seines Lebens verbringen. Vier Jahre später, 1783, wird Schiller seine Räuber fertig schreiben und vor dem Herzog in die Freiheit fliehen und Goethe in Weimar das Todesurteil über die Kindsmörderin Johanna Catharina Höhn mittragen. Ach Deutschland, du Land der Dichter und Denker. Aber keine Sorge:
Obwohl wir Deutschen uns gerne viel auf unsere Dichter einbilden und auch im
Bereich Schreckensherrschaft neue Maßstäbe setzen konnten, sind das keine
Leistungen, deren wir alleine uns rühmen könnten. Dass auch in anderen
europäischen Ländern große Denker in dunklen Verließen gelandet sind und darin
nur gegen eine Wand schreibend angehen konnten, zeigt nun der von Werner von
Koppenfels zusammengestellte Band »Aus den Kerkern Europas. Poetische Kassiber
von Villon bis Pound«. Aber genau davor warnt der Band eben auch, dass man die Gedichte vielleicht ebenso schnell liest und abtut wie die Geschichte aus der sie entstanden sind. Denn was einst in einem Gefängnis galt, gilt heute noch immer. So schreibt auch Koppenfels abschließend in seinem vielleicht etwas für einen einordnenden Überblick wie einer weiterweisenden Interpretation zu kurz und pathetisch geratenen Nachwort von viereinhalb Seiten: »Zur Überheblichkeit angesichts der anderswo unverändert gängigen Verfolgungen von Autoren besteht kein Anlaß – wohl aber zum Widerspruch.« In Deutschland sind Kassiber, also schriftliche Mitteilungen von Gefangenen, nach §115 des Ordnungswidrigkeitsgesetzes noch immer genauso verboten wie in früheren Zeiten. Unser Glück ist es vielleicht einzig, dass bei uns keine Dichter aus staatlicher Repression wegen ihrer Kunst mehr im Gefängnis sitzen – oder wir davon nichts mitbekommen. Aber wer sind wir, nur nach uns zu schauen? Das uns in diesem Band vorgestellte Leid des Künstlers wird auch heute noch oft genug ertragen. Dass wir dies wissen, liegt manches Mal an mutigen Zellengenossen oder, wie im Falle Mandelstams und seiner Frau, im ausgezeichneten Gedächtnis, durch das dieses ›Kassiber-Wunder‹ (Koppenfels) geschehen konnte. Vergessen wir aber nicht jene, deren Verse die Mauern nicht überwinden konnten. Die Gedichte halten uns auch und gerade heute zur Verantwortung gegenüber dem freien Mensch und seinem Wort an, das wir in Europa und dem Rest der Welt bewahren müssen, auch und gerade wo sie nicht unseren Überzeugungen und Werten entsprechen. So darf auch der in seinen späteren Jahren bekennende Faschist Ezra Pound nicht fehlen, der nach Kriegsende in einem Pisaner Straflager der rettenden amerikanischen Armee bis zum physischen Zusammenbruch gepeinigt wurde: »Die Ameise ist Kentaur in ihrer Drachenwelt.« Davon einmal
abgesehen, wurde hier eine thematisch natürlich enge, aber darin doch adäquate
Lyrikgeschichte vorgelegt. Man folgt zuerst den formal klar strukturierten
frühen Gedichten elegischen Charakters aus Frankreich oder England, folgt ihren
Denkbewegungen zurück in die Antike, zu Gott, der Hölle und anderen großen
Begriffen, die uns heute etwas benutzt vorkommen mögen, aber in ihrem strengen,
beeindruckenden Bau dann doch funktionieren, weil darin der Klang, das
spezifisch Lyrische liegt. Was, wo notwendig, an den meist wirklich sehr guten
Übersetzungen, die, wenn nicht von den kanonischen Übersetzungen genommen, von
Koppenfels selbst besorgt wurden, liegt. Tommaso Campanella schließt im 16. Jahrhundert sein Sonett »Am Kaukasus« in resignativer Fügung: »So bleib ich, wie Gott will, der niemals irrt.« Das wird ihm genauso geholfen haben, wie die kämpferische Anrufung Bonhoeffers aus dem letzten Jahrhundert: »Brüder, bis nach langer Nacht/ unser Tag anbricht,/ halten wir stand!« Ach Europa, vergiss das Land nicht, wo die Kanonen blühen, das Land der Richter und Henker. Artikel online seit 22.05.15 |
Werner von
Koppenfels (Hrsg.) |
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