Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik
 

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Kleine Handbibliothek

10 Lektüretipps zusammengestellt von Herbert Debes

Die Natur als großes Ereignis,
und der Mensch als ihr Teill
e-Gruber

Am Ende des Sommers 1846 macht sich Henry David Thoreau auf in den Norden. Was als Reise beginnt, mit Eisenbahn und Dampfschiff, setzt sich auf Pferd und Wagen, im Kanu und schließlich zu Fuß fort und wird nach und nach zu einer Expedition. Sein Ziel: »Der große Berg«, 1606 Meter hoch, der höchste Punkt von Maine – Ktaadn, wie er in der Sprache der Ureinwohner heißt. Der Weg führt durch unkartiertes Gebiet, durch eine labyrinthische Landschaft von Seen und Flüssen und die ausgedehnten Wälder einer weitgehend unberührten und unwegsamen Natur. Die Grenzen menschlicher Lebensräume sind bald überschritten, es geht tiefer und tiefer in die Wildnis. Die letzten Zeichen der Zivilisation, vom Alkohol zugrunde gerichtete Indianer, die Spuren der Holzfäller  und Pelzhändler, zeugen von Gier und Zerstörungswut. Und doch erscheint Thoreau die Natur in ihrer ganzen Vielfalt und Ausdehnung davon unberührt und gleichgültig – gleichgültig auch gegenüber den Fragen, die sich dem stellen, der sich ihr ungeschützt aussetzt: »Wer sind wir? Wo sind wir?«

Henry David Thoreau - Ktaadn - Mit einem Essay von Ralph Waldo Emerson. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Alexander Pechmann - Jung und Jung -
160 Seiten, gebunden, € 20,– / 978-3-99027-092-9 - e-book 978-3-99027-153-7

Eine Sommerreise


Als Henry David Thoreau sich 1857 entschließt, gemeinsam mit einem Freund die Urwälder von Maine zu durchqueren, heuert er einen kundigen Indianer an, ohne den eine so abenteuerliche Reise nicht zu bestehen war. Joseph Polis heißt der Mann, er hat ein Kanu, und er ist genau der Richtige für den nicht ungefährlichen Weg durch die Wälder, Sümpfe und Seen. Versehen mit dem nötigen Proviant und der richtigen Kleidung, machen sie sich auf ihren Weg durch das unentdeckte Land. Es ist ein Weg, auf dem Thoreau vieles lernt, nicht zuletzt durch den Indianer an seiner Seite, der uraltes Wissen und die Vorteile der Zivilisation durchaus zu verbinden weiß. Er erkennt, was ihm die Sprache der Natur vermitteln kann, wenn er ihre Zeichen zu deuten und ihren vielen Stimmen zu lauschen versteht. Es ist eine überaus farbige, oft auch heitere Schilderung aus der Zeit der wahren Entdeckung Amerikas und aus der Feder eines großen Vordenkers des gelingenden Lebens.

Henry David Thoreau
- Die Wildnis von Maine -
Eine Sommerreise - Mit einer Notiz von Nathaniel Hawthorne. Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Alexander Pechmann - Jung und Jung - 160 Seiten,
978-3-902497-98-7 / € 19,80

Ein Ausreißerroman

Die 16-jährige Nancy fährt mit dem Citroën ihres Vaters nach Italien und nimmt unterwegs den 17-jährigen Sid mit. Beide sind von zu Hause weggelaufen. Sid ist ein etwas naiver Punk und Nancy eine verwöhnte Tochter aus gutem Hause, die von einer unbändigen Reiselust getrieben ist. Einer Zeitungsmeldung zufolge hinterlässt »das junge Paar in Luxushotels unbezahlte Rechnungen und bestohlene Hotelgäste«. Und weiter erfährt man: »Das Mädchen trat betont selbstbewusst auf und trug stets einen teuren Pelzmantel.« Auf ihrer Reise durch Norditalien treffen Nancy und Sid auf üble, aber auch hilfsbereite und andere absonderliche Gestalten wie einen Bordellbesitzer auf der Flucht, den Bassisten der Clash, einen alten Spanien-Kämpfer und eine Ringerin aus Berlin. Aber irgendwann geht der kurze Sommer der Anarchie zu Ende. Die beiden verlieren sich. Für Sid beginnt die verzweifelte Suche nach Nancy, die ihn nach Barcelona und auf eine kleine griechische Insel verschlägt. Klaus Bittermann hat die Zeitungsnotiz ausgeschnitten und über 35 Jahre lang aufbewahrt, um nun die Geschichte dazu zu erfinden. Leseprobe

Klaus Bittermann - Sid Schlebrowskis kurzer Sommer der Anarchie und seine Suche nach dem Glück - edition tiamat - Critica Diabolis 238 - Klappenbroschur -
240 Seiten - 18.- Euro
-
978-3-89320-211-9


Mit den Denkern der Aufklärung die Krise der Gegenwart verstehen

Wir leben mitten in einer Krise der Aufklärung: Rationalität, Universalismus, Menschenrechte und Demokratie werden zunehmend in Frage gestellt. Um diese Entwicklung zu verstehen, greift Blom auf die großen Debatten der Aufklärung zurück. Denker wie Hobbes, Voltaire, Rousseau, Diderot, Kant und Bentham werden befragt, um einen Blick in unsere Zukunft zu werfen. Ihre Perspektiven auf die Gesellschaft nehmen unsere Kontroversen vorweg, ihre Argumente beschreiben Utopien, die unsere heutige Realität prägen. Vom Neoliberalismus und dem Kollaps der Linken bis hin zu identitären Argumenten, von der Überwachungsgesellschaft bis zur Naivität der Wohlmeinenden und dem Zynismus der Privilegierten – alles wird hier bereits kritisch verhandelt.

Philipp Blom
- Gefangen im Panoptikum - Reisenotizen zwischen Aufklärung und Gegenwart - Residenz Verlag - 96 Seiten - EUR 18,00 - 9783701734184 - ebook: 9783701745524

Wie Hemingway seine Legende erschuf

Durchsoffene Nächte, wilde Affären, hemmungsloser Ehrgeiz. Ellbogen zählen ebenso wie Talent. Der junge Ernest Hemingway hat nichts Geringeres vor, als die Romanliteratur zu revolutionieren, den großen Zeitgeistroman zu schreiben, nach dem alle Verlage fiebern. Mit ›Fiesta‹ gelingt ihm dieser Coup, und er wird, erst 27jährig, auf einen Schlag berühmt. Es sind die wilden Zwanziger in Paris, und die angelsächsische Expat-Gemeinde ist legendär: reiche Männer, schöne Frauen, Mäzene, erfolgreiche Literaten und solche, die es noch werden. im Mittelpunkt Hemingway, ein todestrunkener, stierkämpfender Aficionado, hartgesottener Trinker, hitzköpfiges literarisches Genie und – tatsächlich – Ehemann. Blume erforscht das schillernde Universum, in dem aus einem unbekannten jungen Autor eine Ikone der Weltliteratur wurde und erzählt von den Menschen, die Hemingway (oft wenig schmeichelhaft) in seinem Werk verewigte. Sie dringt ein ins Herz der Lost Generation und zeigt, wie sehr diese bis heute beeinflusst, was wir lesen und wie wir denken – über Jugend, Liebe, Sexualität und Exzess. Leseprobe

Lesley M. M. Blume - Und alle benehmen sich daneben
- Wie Hemingway seine Legende erschuf - Aus dem Englischen von Jochen Stremmel - dtv Literatur - 528 Seiten, 24,00 € 978-3-423-28109-6

Das Alter und das Verschwimmen von Zeiten und Grenzen

»Wer an der Grenze steht, kommt schnell mal einen Schritt vom Wege ab und gerät auf die andere Seite des Schlagbaums.«
Jochen Schimmang erzählt vom Leben an sich auflösenden Grenzen, ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Bonner Republik.
Der geschasste Bonner Politikberater Gregor Korff hat sich abgefunden mit den Umwälzungen in seinem Leben, und er profitiert sogar davon: Eine Episode aus seiner Vergangenheit hat ihm in Form eines Bestsellerromans ein recht beachtliches Vermögen eingebracht, und so ist er heute, in den 2010er Jahren, Besitzer eines ehemaligen Zollhauses an der niederländischen Grenze, wo er zurückgezogen lebt. Lange Zeit ist ein pensionierter Zöllner sein einziger Kontakt, dann aber kommt frischer Wind in sein Leben: Er lernt einen enttarnten ›Landesverräter‹ kennen; zwei serbische Kinder besuchen ihn auf der Durchreise; übers Kino tritt er in Kontakt mit zwei jungen Leuten aus der nahen niederrheinischen Kleinstadt, und ein Freund aus Gregors aktiven Tagen stattet ihm einen Besuch ab. Der »alte Spinner vom Zollhaus« wird nach und nach wieder vergesellschaftet. Gregor Korff ist definitiv nicht auf der Höhe der Zeit, und eben dieser Abstand schärft seinen Blick.

Jochen Schimmang - Altes Zollhaus, Staatsgrenze West
- Edition Nautilus - 192 Seiten - € 19,90 - 978-3-96054-035-9

Poesie als Revolte
Das Antiromantische Manifest

»Ihr seid eine Mischung aus Eva Braun, Judith Butler und Yoko Ono, mit euren Tagen des Anderssein-Wollens in euren freien Ghettos, ihr merkt es nicht …«
Marie Rotkopf teilt ordentlich aus gegen Nationalromantiker und Poplinke, Postfeministinnen wie Patriarchen, Luther wie Mütter. Gefangene werden nicht gemacht. Rotkopfs Manifest ist eine Sammlung polemischer Betrachtungen einer Französin, die seit zehn Jahren in Deutschland lebt. Aber das stimmt nicht ganz, weil sie von allem die Hälfte ist, mit deutsch-französischen und jüdisch-arabischen Hintergründen, und wie Costa Gavras in »Z« gesagt hat: »Die Halbjuden sind die schlimmsten.« Marie Rotkopfs Texte haben Widerhaken, man reibt sich daran, aber leider hat sie recht. In Gedichten, Tagebüchern, kurzen Prosastücken, in angriffslustig-kämpferischen und traurig-komischen Stücken schreibt sie an gegen eine Romantik, die zynisch und banalisierend ist, gegen das deutsche Bewusstsein, endlich ruhigen Gewissens auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Und wenn Gerechtigkeit unentbehrlich sein soll, müssen die verschleiernden romantischen Widersprüche wie Heimat, Nation und Volksgemeinschaft endlich in Frage gestellt werden. Sie setzt sich mit unpopulären Gedanken auseinander, mit Patriarchat, Krieg, Macht und Zensur. Sie hinterfragt die Begrenzungen,
ihr Manifest ist ein Plädoyer für das Fremdsein als Freiheit. Es ist ein spottender Akt des Widerstands.

Marie Rotkopf - Antiromantisches Manifest
- Eine poetische Lösung - Edition Nautilus - Broschur, 144 Seiten - € 14,90 - 978-3-96054-044-1


Panoramabild

"1517" ist das etwas andere Buch zum Reformationsjahr. Es schaut nicht auf den Bauchnabel Wittenberg, sondern auf die ganze Welt. Wie sah diese Welt zur Zeit Luthers eigentlich aus? Heinz Schilling, einer der großen Kenner der Epoche, nimmt uns mit auf eine faszinierende Zeitreise, die uns nach Italien und Spanien, zu den Osmanen, an den chinesischen Kaiserhof und ins Reich der Azteken führt.
In diesem Buch wird das Zeitalter der Reformation aus einem ungewohnten Blickwinkel betrachtet. Es nimmt die Ereignisse von 1517 als Ausgangspunkt für eine Erkundung der Welt, in der Luther und seine Zeitgenossen lebten. Fremde Länder und Kontinente rücken dabei ins Licht, Machtkonstellationen und Lebensverhältnisse werden besichtigt, wir lernen den Geld- und Warentransfer kennen, die Erfindungen der Gelehrten und die Entdeckungen der Abenteurer. Neben die religiösen Kämpfe tritt der nach wie vor lebendige Glaube an Magie, Hexen und Dämonen. Spannend, kurzweilig und höchst informativ präsentiert Heinz Schilling einen der originellsten Beiträge zum Reformationsjahr. Leseprobe

Heinz Schilling - 1517 - Weltgeschichte eines Jahres
- C.H. Beck - 364 Seiten mit 40 Abbildungen und 1 Karte - 24,95 € - 978-3-406-70069-9


Eine neue Geschichte des Existenzialismus

Sarah Bakewells Kollektivbiographie »Das Café der Existenzialisten« begeistert durch ihren Reichtum an Figuren und Geschichten.
Von Klaus Bittermann
Der französische Existenzialismus, wie ihn Sartre, Merleau-Ponty, Camus und andere geprägt haben, war schon lange mausetot. Jetzt kommt die Londoner Schriftstellerin Sarah Bakewell, die an der Uni Creative Writing lehrt und die bis vor dem Erscheinen ihres Bestsellers über Montaigne niemand kannte, und erweckt den Existenzialismus wieder zum Leben, indem sie ihn in allen möglichen Facetten und Abschweifungen nachspürt, die Biographie ihrer Protagonisten mit ihren Theorien kurz schließt, zeigt, wie das eine sich auf das andere auswirkt, wie die Hauptpersonen zueinander finden und sich gegenseitig beeinflussen, sie lässt Figuren auftauchen, von denen man nicht unbedingt erwartet hatte, dass sie eine Rolle spielen wie Boris Vian, in dessen Nachtclub Tabou sich Sartre und seine Freunde trafen und tanzten und dessen Roman »Schaum der Tage« in der »Temps moderne« vorabgedruckt wurde, sie erzählt auf elegante und verständliche, aber nicht vereinfachende Weise die großen philosophischen Werke von Heidegger, Husserl, Sartre und Merlau-Ponty und bringt es fertig, sie in ihrem Wesenskern auch für Menschen begreifbar zu machen, die sich für den Existenzialismus nie sonderlich interessiert haben.
Sie versteht es, die Neugier des Lesers darauf zu wecken, was wohl als nächstes passieren wird, so dass man zugeben muss, dass das nicht gerade sonderlich gut beleumundete creative writing offenbar auch positive Seiten haben kann. Leseprobe


Sarah Bakewell - Das Café der Existenzialisten - Freiheit, Sein und Aprikosencocktails - Aus dem Englischen von Rita Seu - C.H. Beck, 448 Seiten, 24,95 - 978-3-406-69764-7

Unschuldig leidende Kreatur

Ein französisches Dragonerregiment bezieht in einer ­finsteren Regennacht Quartier in einem nordfranzösischen Dorf und wird zum Zeugen des langsamen Sterbens eines verletzten Armeepferdes. In der Agonie des Tieres und in seinen großen Augen spiegelt sich die Apokalypse des Krieges in einer fast intimen Szenerie. Die Soldaten, der Erzähler und Maurice, der Jude, der weiß, was kommen wird, versuchen, in der Dunkelheit der Regennacht ihr eigenes Schicksal zu ergründen. Eine literarische Trouvaille, in der die wichtigsten Motive und Handlungsstränge aller späteren Romane des Nobelpreisträgers bereits angelegt sind. Leseprobe

Claude Simon - Das Pferd - Mit einem Nachwort von Mireille Calle-Gruber - Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer - Berenberg - 80 Seiten  -Halbleinen - fadengeheftet - 22,00 - 978-3-946334-17-0

Artikel online seit 23.04.17
 

 


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