Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme





Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


Anzeige

Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

Ohne Versandkosten bestellen!
 



Reisen ins Innere einer Autorin

Die im Oktober 2013 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Terézia Mora
durfte im Wintersemester 2013/14 die Frankfurter Poetikdozentur übernehmen.
Die fünf Vorlesungen, in denen Mora mit unumwundener Ehrlichkeit von ihrem
Schreiben mitsamt dessen Schwierigkeiten berichtet, sind nun in Buchform erschienen.

von Dóra Ilona Veress
 

Nicht sterben lautet der Titel der Vortragsreihe, in der die in Ungarn geborene Schriftstellerin Terézia Mora Einblicke in ihre Schreibwerkstatt bietet. Sie beginnt mit einem Höhlenmenschengleichnis, das den Titel vorläufig erklärt: aus der Höhle kommen, das Unbekannte kennenlernen und die Bestien bekämpfen – nicht sterben! – lässt sich deuten als handlungsfähig werden, überleben und einen Text schreiben. Letzteres zu tun – sei es das Verfassen der ersten Erzählung oder des ersten Romans – sei ein langwieriger Prozess, gesteht Mora, der ein bewusstes und zugleich intuitives Vorgehen benötige. Nicht zu vergessen: die Realität könne beim Geschichtenerzählen eine oft unerwartete Hilfe leisten, wie dies die amüsanten und manchmal beinahe unglaublich erscheinenden, aber durchaus persönlich erlebten Anekdoten Moras bestätigen.

Die Intuition war schon bei ihrem ersten Buch, dem 1999 veröffentlichten Erzählband Seltsame Materie von besonderer Wichtigkeit. Für diesen schmiedete sie Geschichten, die sich aus Erlebnissen und Eindrücken aus ihrem Heimatort speisen. Geboren in Sopron, wuchs Mora zweisprachig in der ungarischen Provinz auf, nahe der Grenze zu Österreich, die bis 1989 eine Reibungsfläche zwischen dem Westen und dem Osten darstellte. 1990, im Alter von neunzehn Jahren, kam sie dann nach Berlin, wo sie seitdem lebt. Die Erfahrung des Lebens an der geographischen, aber auch ideellen Grenze, das Dasein eines Fährmanns, der zwischen mehreren Kulturen und Sprachen unterwegs ist, prägt sie weiter. Selbst in den Vorlesungen bezieht sich Mora, die auch als Übersetzerin aus dem Ungarischen tätig ist, mehrfach auf ungarische Autoren.

Seltsame Materie markiert einen Wendepunkt in ihrer Laufbahn. Mit diesem Band gelang es Mora als Schriftstellerin aus ihrer Höhle ans Tageslicht zu kommen und ein Lebenswerk zu öffnen, das sich mit weiteren Büchern immer neu erfindet, aber gleichzeitig klar erkennbar bleibt. Insbesondere das Thema der Gewalt, das in den kurzen Erzählungen omnipräsent ist, wird in den einzelnen Romanen auf unterschiedlichste Art und Weise immer wiederkehren. Wie aber Mora erinnert, es ist das zweite Buch, „in dem man tatsächlich anfangen kann, eine neue Ordnung zu installieren“.

Das bisherige Gesamtwerk gipfelt nun in den Poetik-Vorlesungen: „Was ich hier beschreibe, ist natürlich ein individueller Weg“, verkündet die Autorin. Auf der Führung durch das Labyrinth des eigenen schriftstellerischen Ichs setzt sich Mora mit der Suche nach der Sprache und der Methoden der fiktionalen Darstellung wie auch mit den schwierigen Themen ihrer Literatur illustrativ auseinander. Sie redet nicht darum herum, sondern bleibt so konkret wie möglich. Sie verrät den Lesern, welche Mittel sie bei der Entfaltung der Struktur und der Figuren anwendet bzw. angewendet hat. Die entwickelten Methoden funktionieren für sie meist nur für ein Buch, sodass sie für jedes Projekt neue Herangehensweisen entwerfen müsse. Das heiße aber nicht, dass die alten Methoden nicht weiterentwickelt werden können, sagt sie, was schließlich auch die geplante Trilogie um den IT-Spezialisten Darius Kopp, deren zwei Bände – Der einzige Mann auf dem Kontinent und Das Ungeheuer – bereits erschienen sind, beweist.

Indem Mora allmählich in die Tiefe ihrer Bücher und Figuren eintaucht, entblößt sie gleichzeitig sich selbst. Vom Komisch-alltäglichen ausgegangen, nähert sie sich dem schmerzhaften Inneren an. Genauso ist es auch in ihren literarischen Texten zu beobachten, nicht zuletzt in dem 2013 veröffentlichten Roman Das Ungeheuer, der „ein Buch über die Extreme im Inneren“ werden sollte. Nicht nur belegt die Autorin ihre Thesen mit direkten Zitaten aus ihren Büchern, sondern sie bezieht auch ihre Notizen mit ein, die sie beim Niederschreiben des Manuskripts verwendet hat. Sie ist tiefgreifend in der Analyse der Genese ihrer Romane und präzise in der Beschreibung ihrer Arbeitsweise. Sie verschweigt nicht, was sie am Schreiben hindert, warum sie radikal kürzt, oder was ihr besonders schwerfällt, nämlich der Umgang mit Gewalt, paradoxerweise dem, was sie am meisten beschäftigt.

Es ist ein Glücksfall, dass Mora bereit ist, den Schlüssel zu ihrem Arbeitszimmer zu übergeben, mit dem man auch ihre Texte aus neuer Sicht entschlüsseln kann. Darüber hinaus nimmt sie die Leser auf Recherchereisen nach Albanien und Rom oder auf ein Symposium nach Japan mit und erzählt von Begegnungen mit Menschen oder Besuchen von Orten, die sich in ihren Romanen widerspiegeln. Für Mora-Kennerinnen und -Kenner bereiten die Vorträge einen zusätzlichen Genuss. Sie dürfen rückblickend als Zeugen bei der Geburt von Figuren wie Abel Nema, Darius Kopp oder Flora Meyer dabei sein und auch einiges mehr davon erfahren, was aus den Endfassungen der Bücher ausgeklammert wurde. Mora reflektiert über ihr Schreiben nicht nur in Bezug auf ihre Methoden; sie bewertet sie auch und scheut sich nicht, den früheren Texten auch kritisch gegenüberzutreten.

Nicht sterben. Aus der Höhle kommen und handlungsfähig werden, gilt bei Mora für das Schreiben. Dieselbe Forderung stellt sie implizit an das menschliche Leben im Allgemeinen. Ihre Poetik-Vorlesungen sind ein intimes (Selbst-)Gespräch mit ihren Lesern, eine geschickt erstellte Einladung zur Lektüre für weitere Literaturinteressierte und nicht zuletzt eine Art hilfreicher Gebrauchs- und Sicherheitsanweisungen für alle, die selber schreiben wollen.

Artikel online seit 18.05.15
 

Terézia Mora
Nicht sterben
Luchterhand Literaturverlag
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
160 Seiten
978-3-630-87451-7
€ 18,99 [D] | € 19,60 [A] | CHF 25,90

Leseprobe

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten