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Weltkino für die Provinz Auf dem 64. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg Von Wolfram Schütte
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Weil das Festival mit seiner 64. Ausgabe 2015 »in die Jahre gekommen« sei, müsse man »aufpassen, nicht zu stagnieren«, meinte Michael Kötz, verantwortlicher Leiter & spiritus rector der einstigen »Mannheimer Filmwoche«. Dabei hat er das nach der »Berlinale« & neben den »Kurzfilmtagen Oberhausen« wichtigste Filmfestival der Bundesrepublik schon früher immer wieder umgemodelt, erweitert & aufgemöbelt seit er es 1992 übernommen hat. Zuerst mit den »Mannheim Meetings«, um Produzenten zur internationalen Kooperation anzustiften, dann das Festival durch die Zusammenarbeit mit Heidelberg auf den Länder übergreifenden »Metropolenraum« der beiden Universitätsstädte auszuweiten; und schließlich hat der umtriebig-innovationsfreudige Enthusiast des Autorenfilms seit 2005 auch noch sein von ihm gegründetes »Festival des deutschen Films« im Frühsommer auf der Ludwigshafener Rheininsel zum unbestreitbar, lokalbedingt, »schönsten Filmfest« in Deutschland gemacht. Gleich sechsfach hat Kötz, der ja wie der Zirkusdirektor in Ophüls »Lola Montez« gerne vor jeder Vorstellung sein Publikum persönlich begrüßt, anspricht & lobt – dass es gekommen ist – diesmal die öffentliche Erscheinung seines Festivals verändert. Etwas provinziell scheint mir dabei die »Internationalisierung« der Hauptpreise semantisch aufs Angelsächsische (»Grand Newcomer Award«, »New Creators Award« & »Master of Cinema«) zu sein. Als »Meister des Films« wurde von Kötz diesmal der 1955 in Paris geborene Olivier Assayas ausgerufen, dem er »ein leichtes aber tiefgründiges Schweben über den Dingen« nachsagte & der die undotierte Ehrung, begleitet von seinen jüngsten Filmen (u.a.»Die Wolken von Sils Maria«, »Die wilde Zeit«), ebenso bescheiden wie erfreut in Mannheim entgegen nahm. Der »New Creators Award« ging an die norwegische Fernsehserie «Occupied«, womit Kötz zugleich eine neue Sektion seines Festivals in den Focus der Öffentlichkeit zu rücken versuchte. So »avantgardistisch« das Mannheim-Heidelberger Filmfestival mit diesem bislang einzigartigen Preis sein dürfte, so prekär, bzw. problematisch erscheint mir aber die Form dieser Initiative zu sein. Zweifellos ist der Mehr-& Vielteiler ein weltweit augenblicklich im Aufwind befindliches (& womöglich zukünftig dominantes) TV-Erzählformat. Es überhaupt als Ästhetikum wahrzunehmen & nicht weiterhin »unbeaufsichtigt« zu lassen, wie Kötz seine Option für die TV-Serials leicht ironisch begründet, ist verständlich bei seinem weiten Herzen für das Erzählerische im Film. Wie man mit den TV-Serials umgehen sollte Hierbei wäre jedoch die diesjährige Form, sowohl vollständige als auch nur mit einer ersten oder einzigen Folge präsentierte Serien vorzuführen, bzw. gegeneinander abzuwägen, künftig zu meiden, weil sie die Beurteilungskriterien prekär schief anlegt. Wenn man überhaupt den Gedanken hat, solche optischen Erzählgroßformate mit einander ästhetisch zu vergleichen & zu qualifizieren, müssten sie schon alle in toto zu begutachten sein – wie etwa illustre deutsche Vorläufer von Fassbinder (»Berlin Alexanderplatz«, »Welt am Draht«, »Acht Stunden sind kein Tag«) oder Reitz´ ästhetisch höchst unterschiedliche »Heimat«- Serien. Sinnvoll wäre dann eher eine vorausgegangene qualifizierte Juryentscheidung für maximal 2 bis 3 hervorragende Serien, die dann, wie das ja heute häufig im Privaten geschieht, im Ganzen an einem Termin gezeigt & gesehen werden können – wie das ja schon mit Reitz´ »Heimat« in ausländischen Kino geschehen ist. Ob zwei weitere diesjährige Veränderungen – die Rückverlegung vom November in den Oktober & die Verlängerung auf 16 (!) Tage – beibehalten werden sollten, wird sich der experimentierfreudige Festivalleiter bestimmt überlegen. Die alte Terminierung im November ist fürs nächste Jahr schon beschlossene Sache, & eine gedrängte Fülligkeit des Programms akzentuiert das Außergewöhnliche des Festivals wie überall auf der Welt – wenn auch, durch die DVDs, die Kosten verringert & die Vorführungsmöglichkeiten erleichtert wurden. Aber ein gut mit erwartungsfrohem Publikum gefülltes Kino macht mehr her als bloß schütter besetzte Vorführsäle, so sehr sich der Festival-Programmierer Kötz von der vervielfältigten Vorführung eines Films größeren Zuspruch erwartet hat. Der dürfte aber womöglich doch nicht eingetreten sein. Hoffnungsvoller könnte Michael Kötz vielleicht sein, künftig zusätzlich ein interessiertes jüngeres türkisches neben dem studentischem Publikum mit seinem Festival anzuziehen, nachdem er das bislang vor sich hin dümpelnde lokale Festival mit türkischen Filmen unter seine Fittiche genommen hat. Die türkischen Filme, die das Festival in seinem Wettbewerb zeigte, waren zwar von unterschiedlicher Qualität; aber sie gaben auf erzählerisch-schlüssige Weise doch nachhaltige Einblicke in die gegenwärtige türkische Gesellschaft. Interessant war, dass beider männliche Helden als unscheinbare Verlierer, aber »herzensgute« Zeitgenossen dargestellt wurden. Zwei türkische Entdeckungen aus dem Blickwinkel von Underdogs In Aydin Saymans »Icimdeki Insan« begeht der von allen im Büro gehänselte verwitwete Staatsbeamter Sabri urplötzlich einen Mord an seinem Vorgesetzten & in der Haft dann Selbstmord. »Warum läuft Herr Sabri Amok?« könnte man mit einem Fassbinder-Titel fragen. Das aus »Citizen Kane« bekannte vielperspektivische Recherchemodell deckt nach und nach nicht nur die verborgene Wahrheit von Sabris Lebenstraumatas, sondern schlägt auch dabei ein vielgestaltiges Bilderbuch der Türkischen Gesellschaft auf. Ayhan Sonyüreks »Ein guter Junge« offenbart zwar große darstellerische Schwächen, gewinnt einen aber durch seine märchenhaft-allegorische Erzählung & seinen Humor. Der 1968 geborene Drehbuchautor & Regisseur schickt in seinem türkischen Road-Movie einen bereits vierzigjährigen Nichtsnutz, der noch immer seiner Familie auf der Tasche liegt, keinen Beruf erlernt & keine Arbeit hat, aber ein »guter Kerl« ist , mit einem wackeligen Dreirad & einem hinkenden dreibeinigen Hund zu einer groteskkomischen symbolischen Reise durch die ländliche Türkei jenseits der Metropole Istanbul. Mit diesem seltsamen Parzival erleben wir die abgründigsten Abenteuer, ohne dass diese brechtsche Gesellschaftsparabel jemals sentimental oder didaktisch würde. Schwarzen tschechischen Humor – im Sinne des Romanciers Bohumil Hrabal oder des Oscarpreisträgers Jiri Menzel – akzentuiert auch die Tragikomödie »Hauspflege«, mit der der 1975 geborene Slavek Horák sein Spielfilmdebüt vorlegt. Vlasta heißt eine verhärmte, von allen ausgebeutete Pflegerin, die auf dem Land täglich alle möglichen Alte & Einsame medizinisch betreut & hygienisch versorgt – darunter auch ihren Säufer-Ehemann & (wie sich später herausstellt) einen veritablen Simulanten. Die gehetzte Menschen-Pflegerin, die von ihrer aufopfernden Tätigkeit lebt, stirbt auch an ihr. Nachdem sie von ihrer tödlichen Krebserkrankung erfahren & bemerkt hat, dass die Heilungs-Versprechen einer quaksalbadernden Esoterikerin nichts helfen, lebt sie (noch) ein-, wo nicht sogar ein erstes Mal auf & richtet für ihre in Prag lebende hochschwangere Tochter eine zünftige Bauernhochzeit ein, wozu alle der von ihr Versorgten eingeladen sind: ein Hymnus auf das berauschte Leben. Noch mehr dem absurden Humor & der bitterbösen Satire zugeneigt zeigt sich »Zwei Schüsse« des 1961 geborenen Argentiniers Martín Rejtman. Es ist eine buchstäblich wahn-witzige Abrechnung mit der gelangweilten, nihilistischen bürgerlichen Jugend im südlichen Lateinamerika. Man fragt sich, was mehr an diesem dunkel glänzenden Juwel zu bewundern ist: seine beckettsche Lakonie oder sein erzählerischer Mut zur mitleidlosen Groteske. Unter den rund 90 (!) Filmen, die auf dem »64. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg« in seinen verschiedenen Kategorien - die nur für die Veranstalter & deren Jurys von Bedeutung sind – gezeigt wurden, will ich nur noch drei erwähnen, die durch ihre Eigenart des Ästhetischen mir besonders aufgefallen sind. Eröffnet wurde das Festival mit einem amour-fou-Film von dem Franzosen Armel Hostiou. Sein »Stubborn-Une Histoire Américaine« lebt ganz & gar von dem leidenschaftlichen Schauspiel vorallem seines Hauptdarstellers & Ko-Autor des Drehbuchs, dem hinreißend präsenten Vincent Macaigne & von der dokumentaristischen Kameraarbeit Mauro Herces. Ihnen beiden ist es zu verdanken, dass der sanfte Wahnsinn, in den sich der junge Taugenichts Vincent rücksichts- & rückhaltlos hineinliebt, vollkommen schlüssig, anrührend & überzeugend erscheint. Obwohl ja die Figur eines Franzosen, der seiner amerikanischen Freundin als abgelegter Liebhaber & Stalker im kalten New Yorker Winter auf die Nerven geht, nicht gerade eine alltägliches & realistisches Sujet ist. Aber der vibrierende Realismus & die zarte Melancholie des außergewöhnlichen »Stubborn« lassen dieses Porträt eines verrückt Liebenden in unserer Zeit in bewegender Wärme aufleuchten. Requiem für einen früh Verstorbenen oder 1 Tag als ein Jahr in Amsterdam Ganz anders wußte die 1986 geborene Niederländerin Margot Schaap in ihrem Debut »12 Monate in einem Tag« einen zu begeistern. Ihr Film ist ein ebenso diskretes wie geheimnisvolles Requiem auf einen früh verstorbenen Freund, über dessen Verlust & Verschwinden die drei hinterbliebenen jungen Leute, denn er Bruder, Freund oder Geliebter war, übers Jahr zurechtzukommen versuchen. Zugleich durchstreifen sie die Stadt-, Park-& Kneipenlandschaft Amsterdams, und während der mit einem Jahreswechsel beginnende Film sich zu einem zweiten Jahreswechsel rundet, vergeht in den 74 Minuten des Films die Zeit fast unmerklich – so fluid wird er wie ein übermütiger, rasanter & auch nachdenklicher Tanz durch das Jahr erzählt. Dabei gleiten die zwei Frauen & der Mann durch die Jahreszeiten wie im Oeuvre des Griechen Angelopoulos einst die »Wanderschauspieler« durch die Geschichte Griechenlands: ein bewundernswertes Meisterwerk der Zeit & der Liebe zum Leben, das die Drei ohne den Verstorbenen verbringen (müssen). Morgan Knibbe ist für Buch, Kamera & die Regie seines zwischen Fantasma & Dokumentarismus unter hybride Spannung gesetzten Films »Those who feel the fire burning« gleichermaßen verantwortlich. Der junge Niederländer versucht in einer ästhetisch riskanten Melange aus experimenteller Imagination & poetischer Imagination den Tod & das Ertrinken der aus Afrika nach Lampedusa in der Nacht bei hohem Wellengang übersetzenden Flüchtlinge filmisch-akustisch zu beschwören & dann das reale Elend der glücklich Gelandeten hinter den bekannten TV-Berichten aufzuspüren. Es
fällt schwer zu entscheiden, ob er mit dieser gewagten Phantasmagorie mitten ins
Herz & Bewußtsein unserer alarmierten Zeitgenossenschaft getroffen hat; als
anteilnehmender kinematographischer Versuch, uns die Augen für die Tragödie der
übers Meer Geflüchteten aufzureißen, ist der merkwürdige Film ein Unikat
sowohl dokumentierender Aufmerksamkeit als auch nachempfindender Anteilnahme &
künstlerischer Phantasie, wie man sie bisher weder auf der Leinwand noch im
Fernsehen gesehen hat – aber auf dem 64. Internationalen Filmfestival
Mannheim-Heidelberg. Früher – ja in den sechziger bis achtziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts – wäre diese Festival-Entdeckung gewiß von einer der
einst qualifizierten Fernseh-Spielfilm-Redaktionen für eine Ausstrahlung im
öffentlich-rechtlichen Fernsehen angekauft worden! Heute wird ein Festival wie
dieses wohl noch nicht einmal mehr von den deutschen TV-Anstalten
wahrgenommen. |
Grand Newcomer Award 2015
Die Preise des
64. Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg Grand Newcomer Award 2015
THE THIN YELLOW LINE
(MEXIKO)
Special Newcomer Award 2015
12 MONTHS IN 1 DAY (NIEDERLANDE)
Special Achievement Award 2015
SIMSHAR
(MALTA)
Lobende Erwähnungen 2015
MAGALLANES (PERU, ARGENTINIEN, KOLUMBIEN, SPANIEN) von Salvador
del Solar
BRIDGEND (DÄNEMARK, GROßBRITANNIEN)
Weitere Preise und Auszeichnungen 2015
Nicht weniger
ernst nahmen die anderen Jurys ihre Aufgabe.: Internationaler Filmkritiker Preis 2015
12 MONTHS IN 1 DAY (NIEDERLANDE)
Preis der Ökumenischen Jury 2015
WALKING DISTANCE (MEXIKO)
Empfehlungen der Kinobetreiber 2015
JEREMY (MEXIKO)
PARADISE TRIPS (BELGIEN, NIEDERLANDE)
von Raf Reyntjens
HOME CARE (TSCHECHIEN)
Publikumspreis 2015
JEREMY (MEXIKO)
Publikumspreis 2015 Die Filme im Internationalen Wettbewerb Newcomer-Filme im Einzelnen waren:
12 Months in 1 Day von Margot Schaap , Niederlande
// Europäische Premiere Info Das 65. Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg, das Forum der Entdeckungen neuer Regietalente im Arthouse-Bereich, findet von 4. bis 19. November 2016 in den Spielstätten Mannheim und Heidelberg statt.
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