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Die letzten 500 Bücher ...

Was einem Leser beim Umräumen
seiner Bibliothek durch den Kopf geht

Von Lothar Struck

Manchmal hört man von Menschen und ihren Unmengen von Büchern. Dunkel erinnere ich mich an eine lange zurückliegende Dokumentation über Umberto Eco und seine Büchersammlung, in der er wie ein Bibliothekar auf einer Regalleiter hin- und hertänzelte. Vom unlängst verstorbenen Karl Lagerfeld wurden 300.000 Bücher gemeldet. Die Mär, er habe diese alle gelesen, gab es kostenlos dazu (im Schnitt hätte er hierfür 10 Bücher pro Tag lesen müssen). Michael Krüger, der ehemalige Hanser-Verleger, meldete neulich, dass die Statik seines Hauses infolge der Büchermassen problematisch werde.

Verglichen damit ist mein Aufkommen lächerlich. Womöglich weil ich etliches über Stadtbibliotheken gelesen habe. Ich musste jetzt nur 1.500 Bücher bis zum Tag X für die Maler aus den Regalen holen. Grüne "Euroboxen", die normalerweise Gemüse Obhut bieten, dienen nach erfolgter Reinigung (nebst Sonnentrocknung) als Zwischenlager. Nur nicht vergessen, sie sorgfältig zu beschriften. Denn trotz der alphabetischen Sortierung bei den Dichtertexten gibt es zahlreiche Ausnahmen, die entweder merkwürdigen Formaten oder einfach nur Spezialeditionen geschuldet sind. Kann man das "Echolot" unter "K" wie "Kempowski" einsortieren? Fiktional ist es auch eher weniger. Regeln bedingen Ausnahmen.

Einige Bücher sind mir so wichtig, dass ich sie den Boxen nicht anvertrauen kann. Sie stehen in meinem Arbeitszimmer wie bunte Soldaten. Jetzt aber die Regale. Sofort wird es aufregend, weil sich hinter den ersten Regalreihen fast immer eine zweite befindet. Welche Bücher stehen dort eigentlich? Meiner Vergesslichkeit sind keine Grenzen gesetzt. Und warum ausgerechnet dieses oder jenes in der zweiten Reihe? Tatsächlich finden sich dort auch ungelesene Bücher, was ich auch daran erkenne, dass sie noch eingeschweisst sind. Aus den Notfällen (für wenn nichts Besseres zu lesen da ist) sind Lagerfälle geworden. Egal, erst einmal in die Boxen. Nur wenige Bücher werden spontan für ein Gnadenbrot in einer noch zu findenden Büchertafel vorgemerkt. Die öffentlichen Bücherschränke in Düsseldorf fallen leider aus – ich müsste zu sehr die Umwelt für den Transport dorthin belasten. 

Später, bei den Sachbüchern, wächst meine Trennungsbereitschaft. Die sogenannte Maobibel behalte ich aus Sentimentalitätsgründen noch – es war ein Geschenk. Aber die politischen Entwürfe von Oskar Lafontaine und Peer Steinbrück interessieren mich nicht mehr. Gedanken mit eingebautem Verfallsdatum. Ich denke mir, dass sich Sahra Wagenknechts Kapitalismuskritik bestimmt gut auf einem Büchertisch der Diakonie machte. Auch ein kritisches Buch aus den 1970er Jahren über den Katholizismus dürfte dort Anhang finden. Nicht? Egal. Bei Drewermann zögere ich noch. Den braucht man womöglich für die Märchendeutungen noch einmal?

Je nach Standort sind vor allem die Bücher aus den zweiten Reihen mit einer Staubschicht überzogen, die sicherlich die zulässige Feinstaubgrenze für Wohnungen weit überschreitet. Der Swiffer stösst an Grenzen, er muss mehrmals auf dem Balkon ausgestaubt werden. Der Rest verteilt sich gleichmässig im Raum, was im Sonnenschein interessante Bilder zeigt. Nach den ersten beiden gefüllten Kisten durfte ich wieder einmal feststellen, wie steinschwer Bücher sind. Die Freunde der Haptik konnten infolge von Rückenschmerzen nicht helfen. Demzufolge habe ich zunächst die Standorte der Boxen im Treppenhaus festgelegt und dann die Bücher in Gruppen balancierend händisch einsortiert. Später brauchte ich nur einmal die Kisten zum Stapeln anheben. Die Waden am Ende der beiden Tage waren Tour-de-France-würdig. 

Der Stapel der aussortierten Bücher wächst bedrohlich. Amazon überlässt man besser den Großeinkäufern, wenn man nicht gerade ein gesuchtes Buch hat. Antiquariate nehmen halbwegs zeitgenössische Literatur höchst ungern. Und da war noch der mitleidige Händlerblick über die Halbbrille vor einigen Jahren, als es um die Früchte einer Haushaltsauflösung ging. Keine Erstausgabe von Goethe? Schuldig schüttelte ich den Kopf. Ich möchte meine Bücher nur noch ohne großen Aufwand loswerden. Dabei ist Verschenken schwieriger als man denkt. Der Spender wird da schnell zum Bittsteller. Ein Freund macht mich auf momox aufmerksam. Etliche der auf der Rückseite als grosse Literatur ausgewiesenen Werke werden dort gar nicht erst angekauft; manche bringen immerhin 15 Cent. Ein paar Euro bringen jene, von denen man es am wenigsten vermutet (Spaemann etwa oder ein Buch über Steinbrück).

Nach zwei Tagen bin ich fix, aber fertig. Der Maler fragt mich, ob ich alle Bücher ausgeräumt habe. Nein, sage ich, erst 1.000. Rund 500 stehen noch im Regal. Aber morgen sei ich fertig, verspreche ich. Er ist zufrieden. Langsam strecke ich nach dem Gespräch meinen Arm aus. Und ich nehme die noch fehlenden 500 Bücher mit einer Hand aus dem Regal.

Artikel online seit 10.03.19
 


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