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© Herbert Debes
Raimund Fellinger Buchmesse 2019


Uneitle Selbstlosigkeit & Nibelungentreue

Zum Tod Raimund Fellingers

Von Wolfram Schütte
 

Als Raimund Fellinger zum ersten Mal im Suhrkamp-Verlag auftauchte, hatte ihn Siegfried Unseld quasi aus dem Hut gezaubert, um ihn 1979 an die Stelle Günther Buschs zu setzen, der sich mit dem Verleger verkracht hatte. Busch war nicht bloß einer der Lektoren des Verlags & hatte sich 1968 am gescheiterten Aufstand der Lektoren gegen Unseld nicht beteiligt, obwohl er wohl mit ihnen innerlich sympathisiert hatte. Günther Busch war durch die von ihm verantwortete »edition suhrkamp« der Lektor des Verlags, gewissermaßen der ebenso persönlich diskrete wie politisch entschiedene Bannerträger, der das linke Image des Verlags für die jüngere bundesdeutsche Intelligenz mit dem Gesamtwerk der 1000 (!) regenbogenfarbigen Bände der »edition surkamp« über Jahre hin geprägt hatte.

Es waren denkbar schlechte Ausgangsbedingungen für den achtundzwanzigjährigen Nachfolger, den Saarländer Raimund Fellinger. Er wurde von den Sympathisanten Buschs, der nach dem Weggang seiner aufständischen Kollegen, allein »die Stellung« an der »vordersten Front« des intellektuell gärenden »Weltprozesses« (Bloch) gehalten hatte, als williger Helfer Unselds betrachtet, wo nicht gar verleumdet. Zu den Fellinger-Gegner gehörte auch ich.

Jedoch der Neuling war ebenso zäh wie freundlich; bald hatte er diese Phase seiner Karriere unbeschadet überstanden, & im Laufe seines Lektorenlebens ist Fellinger immer einflußreicher & souveräner geworden, ohne je sich im Verlag äußerlich nach vorne zu drängen oder sich demonstrativ zu exponieren.

Fellinger war nicht nur ebenso stark politisch interessiert & geistesgeschichtlich-literarisch gebildet wie der von Unseld geschasste Busch; er konnte überdies auch offenbar sehr gut Schach spielen – eine zentrale Leidenschaft Unselds. Ob dieser auch im Schach verlieren konnte oder ob sein Angestellter klug genug sein musste, um den Chef öfters gewinnen zu lassen, weiß ich nicht; nur dass beide diese Passion teilten & sich wohl wöchentlich dazu trafen.

Dabei sind sie aufs engste miteinander vertraut geworden & Fellinger unentbehrlich für den alternden Patriarchen, der jeden seiner von ihm avisierten möglichen Nachfolger wegbiß, den loyalen Mann an seiner Seite, dem er immer mehr heikle Autoren zum Lektorat anvertraute, zog er jedoch nie in Betracht. Ganz offenbar hatte Fellinger die Position Verlagsleiter nie angestrebt – obwohl er nach Unselds Tod 2002 de facto dessen Erbe antrat & fortführte.

Raimund Fellinger hatte neben allen anderen berufsbedingten qualitativen Fähigkeiten die hervorragendste Eigenschaft eines großen, erfolg- & einflußreichen Lektors: uneitle Selbstlosigkeit! Wenn Unseld von sich behauptete, er sei ins Gelingen verliebt, so traf für Fellinger zu, dass er primär ins Gelingen seiner Autoren »verliebt« war & alles hilfreich dazu tat, was ihm nur möglich war.

Das Verhältnis von Autor & Lektor ist noch prekärer, riskanter, leidvoller (sprich: gelegentlich demütigender für den Lektor) als das zwischen Autor & Verleger (selbst wenn dieser, wie Unseld, auch bei einigen seiner Autoren lektorierte). Vermutlich haben aber die beiden Großen des Suhrkamp-Verlags auf dem Höhepunkt von dessen öffentlichem Ansehen zwischen den Achtziger Jahren & Unselds Tod nicht nur die Arbeit der Autorenpflege & -förderung oder die Programmentwicklung geteilt, sondern bei besonders heiklen Lektorats-Problemen (»Wie sag ich's meinem Kinde?«) sich die Bälle zugespielt.

Raimund Fellinger, der gewissermaßen der (seiner) Natur gemäße Nachfolger seines ideellen Vorbilds Siegfried Unseld wurde & Garant der Kontinuität über Unselds Tod hinaus für den Suhrkamp- & Insel-Verlag war, hatte von seinem ständigen Schachpartner noch einen Charakterzug übernommen: »Nibelungentreue« - zu jenen Autoren, die ihre Heimat im »Verlag für Autoren« (Unseld) gefunden hatten. Das offenbarte Fellinger erst kürzlich wieder in der öffentlichen Auseinandersetzung um den Nobelpreisträger Peter Handke & dessen jugoslawische Irrungen & Wirrungen. Peter Handke gehörte – wie Uwe Johnson, Thomas Bernhard oder Peter Sloterdijk – zu seinen »Schutzbefohlenen« als Lektor des Suhrkamp-Verlags. Zu den Rätseln seiner beruflichen Existenz gehörte – so lange ich ihn kannte – jedoch auch die unglaubliche Energie & sein Enthusiasmus, mit denen er die Vielfalt seiner stetig gewachsenen Tätigkeiten bewältigte. Es muss wohl passionierte Liebe zur Literatur, dem Buch & dem Verlag gewesen sein. Eine Berufung eben.

Artikel online seit 29.04.20
 

 

 


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