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»The times, they are a changing!«

Zur Gewalt in Stuttgart und zu einem Text von Hengameh Yaghoobifarah

Von Lard Hartmann

 

Nichts daran ist gutzuheißen, wenn ein Mob in den Straßen randaliert. Aber es ist eben auch an eine andere Form von Gewalt zu erinnern, wenn solche Sätze fallen »Stuttgart hat eine solche Gewalt noch nie erlebt«:

»Ach ja? Erinnerung 2: Beerdigung von Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Jan-Carl Raspe, 27. Oktober 1977. Nach dem Verlassen des Dornhaldenfriedhofs werden wir aus dem Nichts von im Wald rechts und links der Straße postierter Polizei angegriffen, darunter Berittene, die in die Menge stoßen. Wir werden auf eine Straßensperre zugetrieben, in der die Personalien der Beerdigungsteilnehmer*innen aufgenommen werden sollen. Wir entwischen, entkommen in eine belebte Fußgängerunterführung, Motorradpolizei jagt hinter uns her, Passant*innen springen gerade noch zur Seite, entsetzte Schreie. Einer von uns stürzt, drei Polizisten stoppen, steigen vom Motorrad, prügeln entfesselt auf den am Boden Liegenden ein, immer wieder, immer wieder. Ein alter Mann kann sie stoppen, indem er sich schützend dazwischen stellt und laut ruft: »Schämen Sie sich nicht!«. Die Polizisten steigen auf ihre Räder und fahren, wieder durch die Passant*innen hindurch, aus der Unterführung heraus. Der alte Mann gibt uns etwas Geld, wir fahren mit dem Zug nach Mannheim, rufen zuhause Freunde an, werden eineinhalb Stunden später abgeholt.«

(Gefunden bei Thomas Rudhof-Seibert. Dessen Buch »Zur Ökologie der Existenz. Freiheit, Gleichheit, Umwelt« ich sehr zum Lesen empfehle)

Gewalt ist vielfältig. Und auch an die Gewalt von Polizisten ist zu erinnern – in unterschiedlichen Kontexten -, ebenso wie an die Gewalt von der anderen Seite, wie ich sie vielfach als sinnlose Gewalt auf den Demos zum 1. Mai erlebt habe, wo nicht die Politik auf der Straße ist, sondern ein Mob wütet und Riots simuliert. Und manchmal gibt es auf Demos und bei Kontrollen auch unverhältnismäßige Gewalt von der Polizei. Der Tod von Oury Jalloh, obwohl zwar von Gerichten aufgearbeitet, hinterläßt eine Vielzahl an noch offenen Fragen. »Im Verlauf der Prozesse wurden zwei weitere ungeklärte Todesfälle im Kontext mit Festnahmen durch Polizisten der Dessauer Polizeiwache Wolfgangstraße 25 bekannt.« So heißt es bei Wikipedia. Auch hier bleiben also viele Fragen. 

Nur gibt es für solche Gewalt der Polizei keinen Freibrief für Pauschalkritik oder Satiren, die man nur mit Mühe bis gar nicht als Satire ausmachen kann und denen es nicht darum geht, auf Probleme zu weisen, sondern wo eine Autorin ihren Haß lediglich auf eine triviale Weise verbreitet – ohne Witz, ohne Esprit und mit bitterbösem Ernst, wie dies bei der taz-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah. Trivialkritik bestimmt den Ton und abgelatschte Bilder. Daß Satire ihren Gegenstand nicht unterlaufen, sondern sich ihm gewachsen zeigen sollte, hat jene auch in ihren sonstigen Texten grauenvolle Schreibmamsel Hengameh Yaghoobifarah nicht gut begriffen. Eine Polizei, die solche Feinde hat, braucht keine Freunde mehr, die sie verteidigen. Das erledigen dann solche taz-Kolumnen wie von selbst.

Allerdings: Frau Yaghoobifarah fährt die üblichen Provokationen im taz-Muffmilieu – dafür wird sie gebucht – und sie macht das, was sie am besten kann: ihren Gegenstand intellektuell unterlaufen oder besser: unterrollen. Gelungene Satire steht jedoch über ihrem Gegenstand und zeigt sich ihm gewachsen – das könnte sogar die Polizei sein, wobei ich mit der deutschen Polizei inzwischen eigentlich ganz zufrieden bin und nur wenige Probleme sehe, zumindest wenn ich es im Vergleich mit Frankreich, den USA und anderen Ländern sehe – von Rußland, der Türkei und China will ich gar nicht schreiben. Die Polizei ist zudem, wie viele Gruppen dieser Gesellschaft, ziemlich gemischt: es gibt solche und solche, und in Berlin beträgt der Anteil von Migranten bei der Polizei inzwischen ein Drittel: sollen die auch auf der Müllkippe entsorgt werden, wie weiland schon Gauland eine SPD-Politikerin mit Migrationshintergrund in Anatolien entsorgen wollte? Interessant, daß jene, die für alles mögliche Differenzierung einfordern, diese plötzlich aussetzen lassen und einen ganzen Berufsstand diffamieren, getarnt dann als Satire. Und jene, die sich vor ein paar Monaten noch über irgendwelche harmlos-trüben Greta-Witzchen von Dieter Nuhr aufregten oder bei der großartigen, witzigen und in der Tradition von Harald Schmidt stehenden Lisa Eckhart Antisemitismus witterten, werden bei solchem untertourigem Scheiß, wie ihn die taz produziert, zu Alles-Entschuldigern. Immerhin wird auch in der taz dieser Beitrag intern und auch öffentlich kritisch debattiert.

Daß Blätter wie SpOn und taz Nichtskönner aus der dritten Reihe zum Provozieren buchen, muß man wohl hinnehmen. Es korrespondieren solche Phänomene mit der lange schon ruinierten politischen Debatte. Diese Leute sind das Pendant zu Lichtmesz, Sellner, Kubitschek et al. (wie provoziert man Linke gut, fragte er in seinem Buch »Mit Linken leben«) und es fing solches Larifari an mit Talkshows wie Sabine Christiansen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wo dem Zuschauer simuliert wurde, er sähe da politische Diskussion und Meinungsbildung. Aber: wer Scheiße bucht, dem fliegt irgendwann die Scheiße um die Ohren.

Ein Text, wie der von Frau Yaghoobifarah ist schon deshalb eine mißlungene Satire, weil ihm jeder doppelte Boden fehlt. Der Text tritt mit einem verbitterten und verbissenen Ernst auf – und auch das ist das Gegenteil von gelungener Satire. Yaghoobifarahs Texte entstammen aus derselben humorbefreiten Zone aus der auch das Geschreibe eines Leo Fischers stammt. Trivialer Politikitsch getarnt als Satire. Bei Yaghoobifarah handelt es sich um einen Polit-Kommentar aus dem intersektionalen Gewalt-Milieu wie man es teils auch an den Universitäten erleben kann, wenn Vorlesungen verhindert werden sollen und die demokratischen Rederechte ausgesetz werden, wie zu Stalin Zeiten: man will eine bewußt aggressive Linie fahren und man will qua Predigt die Leute aus dem eigenen Milieu erreichen – wobei das wohl selbst taz-intern mißlungen ist – hoffen wir, daß die Minderleisterin dort rausfliegt. Aber das wird, fürchte ich, nicht passieren.

Diesselben Leute, die diesen Text nun verteidigen, würden freilich das politische Gemeinwesen in Gefahr sehen, wenn Don Alphonso oder Birgit Kelle sowas in der WELT geschrieben hätten – nur eben statt Polizei dann »junge männliche Migranten« – die auf einer Müllkippe dann unter ihresgleichen sind und da dann ihre Aggression auslassen und Frauen begrapschen können. Die Frage hier ist nicht, daß Kritik an der Polizei geübt wird, sondern das Wie steht zur Debatte. Der Text von Yaghoobifarah beraubt sich selbst also eines berechtigten Anliegens.

Demnächst werden zahlreiche Karstadt-Filialen geschlossen. Das interessiert die Leute, ihre wirtschaftliche Existenz, die Fragen politischer Ökonomie und wie Arbeit in einer Gesellschaft organisiert ist und ob es sie überhaupt gibt und zu welchen Bedingungen, und nicht irgendwelche halbgaren Verteidigungen dieser Frau und eine läppische Linke, die schon lange abgewirtschaftet hat, und die diesen Mist auch noch goutiert, anstatt schamvoll zu schweigen, daß man auch solches Dick- und Dumpfgemüse in den eigenen Reihen hat. Die Mehrheitsgesellschaft sollte zusehen, daß solche Leute eine Minderheit bleiben. Es ist sehr leicht, wenn irgendwelche weißen Jüngelchen und Mädchen ihre Black Lives Matter-Schilder auf Demos hochhalten. Gibt es auch solche für die rumänischen Arbeiter in den Schlachhöfen? Das wäre schön, wenn einmal die Arbeitsbedingungen hier in der BRD zum Thema würden. Auch das ist Gewalt.

Und für Frau Yaghoobifarah noch ein kleines Gedankenspiel: Beim nächsten Nazi-Aufmarsch durch Neukölln bleibt die Polizei einfach mal zu Hause: mal sehen, wer der Sieger bleibt. Und da wird es wohl für diese Linke nicht wie in dem Ton Steine Scherben-Song heißen: »Die letzte Schlacht gewinnen wir!« Und das wird dann sehr unwitzig.

The times, they are a changing! Paßt auf, daß ihr die Anschlußzüge nicht verpaßt!

Artikel online seit 03.07.20
 

 

 


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