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Fantasierte Wirklichkeiten Der spanische Comiczeichner Max verbeugt sich mit seinem aktuellen Comic vor den surrealistischen Querdenkern dieser Welt und erweist den Pionieren des amerikanischen Comics seine Ehre. Bardin, der Superrealist« ist ein Meisterwerk der bildenden Künste. »Bardin, der Superrealist. Seine Taten, Äußerungen, Einfälle und Abenteuer« ist Surrealismus pur, wobei die Eskapaden Bardins voll gestopft mit Zitaten aus den bildenden Künsten sind. Die Anekdoten des kugelköpfigen Bardin sind eine Hommage an den Surrealismus und seine berühmtesten Vertreter, den Maler Salvador Dali und den Regisseur Luis Buñuel, aber auch eine Huldigung der Meister und Pioniere des amerikanischen Comics. Der deutsche Maler Max Ernst wird zum Leuchtturm der Bardin’schen Phänomenologie und ist zugleich die visuelle Verkörperung des alles beobachtenden Bösen aus der Tolkien’schen Ringe-Saga – oder vielleicht der Wachturm der Zeugen Jehovas? Man weiß es nicht so genau. Die Landschaften der superrealen Welt erinnern nicht zufällig an Dalis sinnentleerte und surreal aufgefüllte Mondlandschaften. Dampfende Schiffe im Wüstensand, Leuchttürme in Gegenden, wo kein Meer rauscht und Schnecken, die aus dem Boden zu kriechen scheinen – das ist Bardins superreal surrealer Kosmos. Und überall befinden sich Augen, die Bardin beobachten, ihn taxieren, kontrollieren, verfolgen. Um es kurz zu sagen, sie treiben ihn in den su(pe)rrealen Wahnsinn. In der Episode „Bardins Beschreibung der superrealen Welt“ heißt es: „Die superreale Welt ist nur Horizont. Da sind Leuchttürme mit Augen, und sie drehen sich unentwegt. Augen tauchen aus dem Sand auf oder aus Schnecken. Augen über Augen. Es gibt keine Intimsphäre in der superrealen Welt.“ Die superreale Welt, die der spanische Zeichner Max entwirft, ist die Realisierung des Großen Bruders aus George Orwells Novelle „1984“, wie sie extremer kaum sein könnte – ohne jedoch das Leben Bardins in eine Ecke zu treiben. Insofern ist der Bardin-Comic nicht wirklich auf die gegenwärtige Auflösung der Bürgerrechte und die umgreifende Dauerüberwachung durch den Staat übertragbar – sie ist vielmehr ein su(pe)rreales Gleichnis. Der spanische Zeichner Max lebt mit seiner Frau und Tochter auf Mallorca und gehört zu den Granden der europäischen Comicszene. In den 1970er Jahren war er Mitglied einer Untergrund-Zeichnergruppe namens El-Rollo und gründete später das Magazin El Vibora. In den 1990er Jahren arbeitete er als Herausgeber für das internationale Comicmagazin Nosotros Somos Los Muertos. Neben den Comics sind Kinderbücher seine zweite Leidenschaft. 1997 erhielt er daher den Spanischen Nationalpreis für seine Kinderbuchillustrationen. Für sein Bardin-Album erhielt er beim 25. Spanischen Comic-Festival in Barcelona 2006 gleich drei der Hauptpreise, für das beste Album, für das beste Szenario und als bester Zeichner. Was ist das für ein Comic, in dem Sterne „superrealistische Gottheiten“ gebären, und Mickey Maus als „ehrwürdige und hohe Heiligkeit“ betitelt wird? Es ist schlicht und ergreifend ein famoses Experiment, irgendwo zwischen Sprachlabor und futuristischer Zeichenbastelei. Die erwähnten Gottheiten scheinen jedoch nicht einmal Herr ihrer selbst zu sein, sondern reine Gespinste Bardins, welcher sie gedanklich ins kosmologische Nirvana verbannt. Kann man ungestraft mit Göttern spielen? Nun, wohl kaum, denn Bardin wandelt am Ende der Episode scheinbar unbemerkt in den Klauen des Drachens Ki-Mo und seine Hoheit Mickey sitzt mit dem „psychopompen“ Teufel (wer oder was das auch immer ist) über ihn zu Gericht sitzt. Ist Religion Wahrheit oder Einbildung oder wird die Einbildung zur Wahrheit oder die Wahrheit durch Unglaube zur Einbildung – all diese Fragen stellt Max hier auf kleinem Raum mit seinen Textbildern und führt so die allgegenwärtige Thematisierung der Religion unserer Gegenwart auf höchst amüsante Weise endgültig ad absurdum. Ebenso wenig wie die großen Su(pe)rrealisten spart Max mit sexuellen und frivolen Anspielungen. In Albtraumepisoden wird Bardin immer wieder von einer Katze, die an eine Mischung aus Krazy Kat und Quimby the Mouse erinnert, und einem Jolly Jumper-Verschnitt heimgesucht. Sie flüstern ihm inzestuöse Träume in sein Ohr, die ihm den Schlaf rauben und aufschreien lassen. Sie werden es auch sein, die ihn in der abschließenden stummen Episode in den absoluten Wahn treiben und die Abenteuer des Bardin einem Ende zuführen. Stilistisch steht Max’ Comic in der Tradition der Zeichnungen von Chris Ware. Der Protagonist Bardin selbst erinnert nicht zufällig an Jimmy Corrigan, die Hauptperson aus der gleichnamigen Serie „Jimmy Corrigan, the smartest Kid on Earth“. Ware ist nicht nur ein Pionier der amerikanischen Comiczeichner, sondern auch ein passionierter Verehrer der Klassiker seines Genres. In seiner Corrigan-Serie bindet er immer wieder den träumerischen Stil von Windsor McCays Little Nemo in Slumberland oder Frank Kings Gasoline Alley ein. Eine weitere Figur von ihm, Quimby, the mouse, ist die moderne Reinkarnation von Herrimans Ignatz Mouse und taucht in Max Bardin-Band als Albtraumflüsterin wieder auf. Stellt man also Max in die Tradition eines Chris Ware, so wird die bedeutungsschwere Linie dieses Zeichners zu Herriman und Windsor McCay klar – welch ein intellektuell-zeichnerischer Stammbaum in der Comicszene.
Chris Ware führte
Anfang der 1990er Jahre einen völlig neuen Erzählstil ein. Emotionen wurden
durch die Formen und das Seitendesign übertragen, Texte und Dialoge traten
in den Hintergrund. Es geht also um das Durchdringen der Struktur und in
diesem Sinne ist auch die abschließende Episode von „Bardin der
Superrealist“ zu verstehen, die sprachlos das Überwinden der Einbildung
erzählt, die in der Su(pe)rrealität bitter endet. Bardin wird Teil seines
Albtraums und in einem Anfall rasender Zerstörungswut wird er sich selbst im
Bett liegend mit einem Schwerthieb richten, nachdem seine animalischen
Traumflüsterer seine Klinge spüren mussten. Ein Glück, wer aus solchem Traum
aufwachen kann, wenn es alles nur ein Traum war? Aber ist es das, in der
superrealen Surrealen Traumwelt? Wer weiß. Thomas
Hummitzsch |
Max
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