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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Constanze Becker, Oliver Kraushaar


Alexandra Lukas, Oliver Kraushaar, Michael Benthin
Fotos: Birgit Hupfeld


»Komm, sag Ja, Schnecke!«

Daniel Foersters lustvoller »Totentanz« am Frankfurter Schauspiel
transformiert Strindberg in die Gegenwart.

Von Herbert Debes

Im Schlußbild des Strindbergschen Totentanzes, der zur Zeit in einer Inszenierung von Daniel Foerster im Frankfurter Schauspiel zu sehen ist, präsentiert uns der Regisseur, inmitten einer völlig zugerichteten Bühne, mit einem augenzwinkernden »Na, und Ihr« seine Adams Family, erschöpft, aber glücklich vereint.

Zuvor haben der Festungskommandant Edgar (Oliver Kraushaar) und seine Frau Alice (Constanze Becker), dem Schwager Kurt (Michael Benthin), der als Projektionsfläche für ihre egomanischen Phantasien zwischen Verlustängsten und Mordgelüsten herhalten muß, nach allen Regeln der Theaterkunst 1 Stunde 40 Minuten durchaus brachiale Szenen einer Ehe, zum Besten gegeben.

Foerster schafft es, Strindbergs konventionellen Text in die Gegenwart zu transformieren. Indem er seine Figuren ins Groteske überzeichnet, enthebt er sie der eindimensionalen Hoffnungslosigkeit und gibt ihnen eine neue Qualität, die Komödie in der Tragödie wird sichtbarer.

Die dramaturgisch geniale Idee, Judith (Alexandra Lukas), die Tochter des Paares, die ursprünglich erst im kaum gespielten 2. Teil des Stücks vorkommt, als Metaebene mit auf die Bühne zu bringen, verleiht dem Stück eine neue Dimension. Judith, die in ihrem puppenhaften Auftritt an die Figur der Pris (aus Ridley Scotts Bladerunner) erinnert, kommentiert außerhalb der Handlung stehend den Kampf ihrer Eltern, und puckt, angetrieben von kindlicher Angst & Boshaftigkeit, des öfteren die Fronten wechselnd, um ihre Eltern. In ihr haben sich auch die Verletzungen und Beschädigungen, die sich Ihre Eltern zufügen, fortgepflanzt und lassen für die Zukunft nichts Gutes erwarten.

Ja, und da ist dann noch die Szene mit dem Ei, bei der hörbares Raunen durchs Publikum schleicht. Der magische Moment, in dem sich das unrettbar in seine Beziehung verstrickte Paar am nächsten ist. Eine denkwürdige Metapher des Gebens und Nehmens: Edgar serviert seiner Gattin durchaus chaplinesk tänzelnd ein rohes Ei. Vorsichtig löst er das Eigelb aus der Schale, nimmt es in den Mund und »küßt« seine Frau, dabei gibt er das Eigelb in ihren Mund, bevor sie es ihm, seinen Kuß erwidernd, behutsam zurückgibt. Immer noch unversehrt wandert das Eigelb schlußendlich zurück in ihren Mund, wo es endlich zerplatzt und ihr aus den Mundwinkeln trieft.

Abgesehen davon, daß diese kleine Etüde den Schauspielern ein hohes Maß an Konzentration und Behutsamkeit abverlangt, läßt sich an ihr trefflich zeigen, wie subjektiv doch unsere Wahrnehmungen sind. Natascha Pflaumbaum vom Deutschland-Radio hat darin einen Blow-Job erkannt. Und Judith von Sternburg von der Frankfurter Rundschau
»graust es auch angesichts dieser dschungelcampartigen Ekel-Überwindung.«
D
em britischen Zoologen Desmond Morris zufolge, leitet sich das Küssen indes evolutionstechnisch von der Praxis der menschlichen Vorfahren ab, sich von Mund zu Mund zu füttern. So pressten in Zeiten der Futterknappheit Affeneltern ihren Kindern die Lippen auf den Mund: als Zeichen der Beruhigung und Fürsorge...

Allein, solch ein wirkungsvolles Bild auf die Theaterbühne zu bringen, spricht für eine bemerkenswert kreative Energie, die dem Schauspiel Frankfurt in Person des gerade 30-jährigen Daniel Foerster hoffentlich noch einige Spielzeiten erhalten bleiben wird. Denn d
as ist mutig, das ist sinnliches, intelligentes Theater, und das macht Spaß. Davon will man mehr sehen und hören.

Artikel online seit 18.12.16

 

Weitere Aufführungen:
11.01. 19:30
Theatertag! Alle Plätze nur € 12/8
19.00 Uhr / Einführung im Chagallsaal
18.01., 19:30
01.02.; 19:30

 





 


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