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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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EINE FAMILIE
Regie: Oliver Reese
Constanze Becker, Corinna Kirchhoff
Foto: Birgit Hupfeld

Zerfall einer Familie

Mit Tracy Letts Stück »
August. Osage County« dem man hierzulande
den phantasielosen Titel »Eine Familie« verpaßt hat, schenkt
Oliver Reese dem Frankfurter Publikum einen großen Theaterabend.

Von Herbert Debes
 

Der stürmische Beifall und die zahlreichen Bravo-Rufe der Besucher ließen keinen Zweifel aufkommen. Es war ein gelungener Premierenabend am Freitag, den 13. im Frankfurter Schauspiel, der zugleich auch ein Abschiedsabend war. Denn mit seiner Inszenierung von Tracy Letts Stück »August. Osage County« dem man hierzulande den wenig phantasievollen Titel »Eine Familie« verpaßt hat, verabschiedet sich Intendant Oliver Reese als Regiesseur vom Schauspiel Frankfurt, um im Sommer Claus Peymann am Berliner Ensemble abzulösen.

Der geringste Beitrag zum Gelingen des Abends war die Qualitäts des immerhin mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Stücks selbst, das in der Tradition amerikanischer Theater-Klassik
er wie Eugene O'Neill (Eines langen Tages Reise in die Nacht), Tennessee Williams (Endstation Sehnsucht, Die Katze auf dem heißen Blechdach) und Edward Albee (Der amerikanische Traum, Wer hat Angst vor Virginia Woolf) steht, indes an zeitgenössischer Substanz und Relevanz kaum über diese modernen Klassiker hinausgeht.

Eine Familie als mikrokosmisches Sinnbild für den Zustand der USA, zerrüttet, krank, desaströs, »a waste land«, um T.S Eliot einzuführen, der in einem kurzen, aber großartigen Epilog des vom Leben in diesen Zuständen müden Beverly Weston (Wolfgang Michael) eindrucksvoll zitiert wird.



Was sich danach in 3 1/2 Stunden auf dem in die Mitte des Z
uschauerraumes gerückten Breitbandlaufsteg abspielt, ist ein äußerst unterhaltsames, amüsantes, ja auch ergreifendes Schaulaufen der Ensemblemitglieder.

Die Szenen, in denen jeweils die Konflikte der Familienmitglieder untereinander als Subszenarien thematisiert werden, unterteilt Reese durch Live-Musik einer Country-Band um Jörg Gollasch, was atmosphärisch gut unterfüttert. Dabei wirken die Gesangseinlagen von Carina Zichner, die auch in der Rolle der juvenilen Jean Fordham zu sehen ist, allerdings etwas zu ambitioniert. Überrahmt werden die Zuschauerränge zu beiden Seiten von beiläufig ornamental wirkenden Video-Einspielungen, die Landscapes aus dem Mittleren Westen der USA zeigen. Ein durchaus verzichtbares Zierwerk.

Und was ist das für eine Familie? Die Männer sind allesamt Versager. Martin Rentzsch (Charlie Aiken) als gutmütiger Mittwestler ist seiner boshaften Frau Josefin Platt (Mattie Fae Aiken) nicht gewachsen und zeigt erst gegen Ende Haltung. Oliver Kraushaar (Bill Fordham) als kleinintellektueller Ehebrecher, und Till Weinheimer (Steve Heidebrecht), der ein falsches Spiel mit Franziska Junge (Karen Weston) treibt und sich skrupellos an die pubertierende Carina Zichner (Jean Fordham) ranmacht. Und da ist noch Sascha Nathan (Little Charles Aiken), der vermeintlich unterbelichtete Sohn, den mehr mit Verena Bukal (Ivy Weston) verbindet, als seiner Mutter lieb ist.

So
sind es die Frauenfiguren, die das Stück tragen. Allen voran Corinna Kirchhoff als die an Mundhöhlenkrebs erkrankte Mutter (Violet Weston) und Constanze Becker als (Barbara Fordham), die älteste ihrer drei Töchter, die sich untereinander auch nicht gerade grün sind. Von Tablettensucht und Alkohol gezeichnet taumelt Kirchoff in wechselnden fadenscheinigen Hauskleidern nuancenreich zitternd über die Bühne, um Haltung ringend angesichts ihrer sich zusehends auflösenden Familie. Opfer und Täterin zugleich demütigt sie ihre Töchter, bohrt in den Wunden derer Enttäuschungen und Lebenslügen, um sich in den entscheidenden Momenten als die große Leidende unangreifbar in ihre vom Krebs brennende Mundhöhle zu flüchten.
Einzig Constanze Becker (Barbara Fordham) scheint ihr gewachsen zu sein und versucht im Kampf um die Vorherrschaft über die Familie, ihre Mutter unter Kontrolle zu bringen, indem sie nimmt ihr die Tabletten wegnimmt.
Es ist das Duell dieser beiden tragischen Frauenfiguren, das den Abend zu großem Theater werden läßt. Stets glaubhaft verkörpert Constanze Becker virtuos die Seelenlandschaft Barbaras, ein verzweifeltes und am Ende vergebliches Aufbäumen der im eigenen Scheitern Gefangenen.

Die wenigsten Zuschauer werden an diesem Abend an Amerika oder gar an Donald Trump gedacht haben. Namen und Orte sind bedeutungslos, Osage County kann überall sein, aber selten wird es so gut auf die Theaterbühne gestellt wie in Oliver Reeses Inszenierung mit diesem großartigen Ensemble.

Artikel online seit 16.01.17

 

 


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