Der stürmische
Beifall und die zahlreichen Bravo-Rufe der Besucher ließen keinen
Zweifel aufkommen. Es war ein gelungener Premierenabend am Freitag,
den 13. im Frankfurter Schauspiel, der zugleich auch ein
Abschiedsabend war. Denn mit seiner Inszenierung von Tracy Letts
Stück »August. Osage County«
dem man hierzulande den wenig phantasievollen Titel »Eine Familie«
verpaßt hat,
verabschiedet sich Intendant Oliver Reese als
Regiesseur vom Schauspiel Frankfurt, um im Sommer Claus Peymann am
Berliner Ensemble abzulösen.
Der geringste Beitrag zum Gelingen des Abends war die Qualitäts des
immerhin mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Stücks selbst, das
in der Tradition amerikanischer Theater-Klassiker
wie Eugene O'Neill
(Eines langen Tages Reise in
die Nacht), Tennessee Williams
(Endstation Sehnsucht, Die Katze auf dem heißen Blechdach) und Edward Albee
(Der amerikanische Traum, Wer hat Angst vor Virginia Woolf) steht, indes
an zeitgenössischer Substanz und Relevanz kaum über diese
modernen Klassiker hinausgeht.
Eine Familie als mikrokosmisches Sinnbild für den Zustand der USA,
zerrüttet, krank, desaströs, »a waste land«, um T.S Eliot
einzuführen, der in einem kurzen, aber großartigen Epilog des vom
Leben in diesen Zuständen müden Beverly Weston (Wolfgang Michael) eindrucksvoll
zitiert wird.
Was sich danach in 3 1/2 Stunden auf dem in die Mitte des Zuschauerraumes
gerückten Breitbandlaufsteg abspielt, ist ein äußerst
unterhaltsames, amüsantes, ja auch ergreifendes Schaulaufen der
Ensemblemitglieder.
Die Szenen, in denen jeweils die Konflikte der
Familienmitglieder untereinander als Subszenarien thematisiert
werden, unterteilt Reese durch Live-Musik einer Country-Band um Jörg
Gollasch, was atmosphärisch gut unterfüttert. Dabei wirken die
Gesangseinlagen von Carina Zichner, die auch in der Rolle der
juvenilen Jean Fordham zu sehen ist, allerdings etwas zu
ambitioniert. Überrahmt werden die Zuschauerränge zu beiden Seiten
von beiläufig ornamental wirkenden Video-Einspielungen, die
Landscapes aus dem Mittleren Westen der USA zeigen. Ein durchaus
verzichtbares Zierwerk.
Und was ist das für eine
Familie? Die Männer sind allesamt Versager. Martin Rentzsch (Charlie
Aiken) als gutmütiger Mittwestler ist seiner boshaften Frau Josefin
Platt (Mattie Fae Aiken) nicht gewachsen und zeigt erst gegen Ende
Haltung. Oliver Kraushaar (Bill Fordham) als kleinintellektueller
Ehebrecher, und Till Weinheimer (Steve Heidebrecht), der ein
falsches Spiel mit Franziska Junge (Karen Weston) treibt und sich
skrupellos an die pubertierende Carina Zichner (Jean Fordham)
ranmacht. Und da ist noch
Sascha Nathan (Little Charles Aiken),
der vermeintlich unterbelichtete Sohn, den mehr mit
Verena Bukal (Ivy Weston) verbindet,
als seiner Mutter lieb ist.
So
sind es die Frauenfiguren, die das Stück tragen. Allen voran
Corinna Kirchhoff als die an
Mundhöhlenkrebs erkrankte Mutter (Violet Weston) und Constanze
Becker als (Barbara Fordham), die älteste ihrer drei Töchter, die
sich untereinander auch nicht gerade grün sind. Von Tablettensucht
und Alkohol gezeichnet taumelt Kirchoff in wechselnden
fadenscheinigen Hauskleidern nuancenreich zitternd über die Bühne,
um Haltung ringend angesichts ihrer sich zusehends auflösenden
Familie. Opfer und Täterin zugleich demütigt sie ihre Töchter, bohrt
in den Wunden derer Enttäuschungen und Lebenslügen, um sich in den
entscheidenden Momenten als die große Leidende unangreifbar in ihre
vom Krebs brennende Mundhöhle zu flüchten.
Einzig Constanze Becker (Barbara Fordham) scheint ihr gewachsen zu
sein und versucht im Kampf um die Vorherrschaft über die Familie,
ihre Mutter unter Kontrolle zu bringen, indem sie nimmt ihr die
Tabletten wegnimmt.
Es ist das Duell dieser beiden tragischen Frauenfiguren, das den
Abend zu großem Theater werden läßt. Stets glaubhaft verkörpert
Constanze Becker virtuos die Seelenlandschaft Barbaras, ein
verzweifeltes und am Ende vergebliches Aufbäumen der im eigenen
Scheitern Gefangenen.
Die wenigsten Zuschauer werden an diesem Abend an Amerika oder gar
an Donald Trump gedacht haben. Namen und Orte sind bedeutungslos,
Osage County kann überall sein, aber selten wird es so gut auf die
Theaterbühne gestellt wie in Oliver Reeses Inszenierung mit diesem
großartigen Ensemble.
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online seit 16.01.17
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